Vergangenes Jahr entstand im Auftrag des Nachhaltigkeitsministeriums die Kurzfilmreihe Eist wëllt Lëtzebuerg. Einer der sieben Filme ist Fledermäusen gewidmet: Man sieht darin den Biologen und Fledermausexperten Jacques Pir mit einem Beamten der Umweltabteilung des Ministeriums eine Fledermauskolonie besuchen, die in einem Dorf auf dem Dachboden eines Wohnhauses ihr Sommerquartier genommen hat. Die Weibchen hängen dicht aneinander gedrängt unter einem Dachstuhl. Nach Sonnenuntergang zählen die beiden Männer mit einem Bat Recorder die aus dem Quartier davonfliegenden Tiere, und gegen Ende des Films hocken sie auf einem Waldboden und halten Fledermäuse, ein Langohr und ein Großes Mausohr, vorsichtig in den Händen. Im Hintergrund sind angenehme Celloklänge zu hören. Vielleicht schienen Fledermäuse noch nie derart possierlich.
Gesprochen wird über sie in letzter Zeit öfter. Nicht nur, weil der Wahlkampf schon schwelt und DP-Generalsekretär Claude Lamberty den Grünen vorhielt, im Gegensatz zur DP würden sie „die Fledermäuse vor die Menschen stellen“. Oder weil das Verwaltungsgericht Ende März urteilte, die Umweltministerin habe nicht klar genug zeigen können, dass in Schieren alte Obstbäume als Biotop und als Fledermaus-Quartier einzustufen sind.
Die nachtaktiven geflügelten Säugetiere waren schon vorher zu einer Art Sinnbild dafür geworden, was hierzulande „nicht geht“, wo nicht gebaut werden darf, wo der Staat vielleicht mit zu vielen Regelungen eingreife oder die Politik nicht kohärent genug vorgehe. DP-Fraktionschef Eugène Berger fragte sich im September 2017 öffentlich, „ob wir wirklich jede Fledermaus und jede Blume drei Mal zählen müssen, ehe wir eine Baugenehmigung erteilen“. Der CSV-Abgeordnete und frühere Landesplanungsminister Michel Wolter meinte vor vier Wochen in einer Parlamentsdebatte, „wenn wir wirklich eine Million Leute ins Land kriegen wollen“, könne es nicht sein, „dass jedes einzelne Biotop uns daran hindert, dort zu bauen, wo es landesplanerischen Kriterien entspricht, aber eine Fledermaus herumfliegt oder irgendein Schmetterling gesehen wurde“.
In Luxemburg sind ziemlich viele Fledermäuse heimisch. Wie viele es ganz genau sind, ist zwar unbekannt, aber 20 Arten sind es noch, und von manchen sind die Tiere offenbar zahlreicher als in größeren Ländern. „Von der Großen Hufeisennase leben noch an die 180 Tiere an der Mosel“, sagt der Biologe Jacques Pir dem Land. „Das sind mehr als in ganz Deutschland.“ Von der Wimperfledermaus bestünden zwölf Kolonien, in Deutschland seien es 17. „Wir haben demnach eine Verantwortung.“
Doch wie in anderen Ländern stehen die Fledermäuse auch in Luxemburg unter Druck. „Der Fledermausbestand in der EU macht heute schätzungsweise nur noch zehn Prozent des Bestands von vor 50 Jahren aus“, weiß Pir. Das Kleine ausohr sei in Luxemburg mittlerweile ausgestorben. Von den 20 hier noch heimischen Arten sind 18 nach EU-Lesart in „schlechtem Zustand“ und durch die EU-Habitatrichtlinie geschützt. Pir, im Hauptberuf Biologielehrer am Mamer Lyzeum und seit 25 Jahren Fledermausforscher, arbeitet stundenweise für die Umweltabteilung im Nachhaltigkeitsministerium und hilft, Aktionspläne zum Schutz der Tiere aufzustellen. Der Rückgang innerhalb der Fledermausarten sei „tragisch“, sagt er. „Seit 50 Millionen Jahren gibt es in Europa Fledermäuse. Als die Menschen begannen, Höhlen zu besiedeln, sich später Häuser bauten, haben Fledermäuse profitiert und breiteten sich aus. Nun aber sind sie ausgerechnet durch den wachsenden Siedlungsdruck bedroht.“
An den Versuchen, den Siedlungsdruck zu managen, liegt es auch, dass über Fledermäuse öfter gesprochen wird. Alle Gemeinden sind gehalten, ihre kommunalen Flächennutzungspläne (PAG) an neue Regeln zur Kommunalplanung anzupassen. Bei jeder PAG-Reform wird eine „Strategische Umweltprüfung“ fällig, die unter anderem zu geschützten Arten auf dem kommunalen Territorium ermittelt. Weil über Fledermäuse noch viele Daten fehlen, beauftragen die Gemeinden Expertenbüros mit der Erhebung. Das ist aufwändig, kann schnell Tausende Euro kosten, und das kann für Konflikte sorgen.
Werden an Grundstücke Auflagen gemacht, sorgt das ebenfalls für Konflikte. Umweltstaatssekretär Camille Gira (Grüne), der am Mittwochabend unerwartet verstarb, hatte mit dem Land am Tag zuvor über den Artenschutz gesprochen und betont, die Umweltabteilung im Nachhaltigkeitsministerium unternehme „Anstrengungen“, um das 2008 in Kraft getretene Gesetz über die Strategische Umweltprüfung „systematisch“ umzusetzen. „Als wir 2013 ins Amt kamen, war Luxemburg davon weit entfernt.“ Aber: Man könne nicht behaupten, dass wegen Fledermäusen oder anderen geschützten Arten „nicht mehr gebaut“ werden könne. 2016 und 2017 habe die Umweltabteilung 350 Änderungen, auch punktuelle, an PAG begutachtet und über sie entschieden. „Wir erteilten nicht einen ablehnenden Bescheid. Kein Projektentwickler kann sagen, er habe sein Vorhaben nicht realisieren können.“
Konflikte um Siedlungsprojekte seien „eigentlich alle planerisch lösbar“, sagt Yves Schaack, Biologe beim Naturschutzsyndikat Sicona und dort Berater in kommunalen Planungsfragen. „Meist reicht es schon, innerhalb einer Gemeinde, wo Fledermäuse ein Quartier haben, Grünzüge mit Hecken oder ein paar Bäumen anzulegen oder zu erhalten.“ Fliegen die Tiere aus, würden ihnen die Grünzüge als „Leitstruktur“ dienen, denn sie reflektieren den Ultraschall, mit dem die Fledermäuse sich orientieren. „Es mag auch sein, dass der Fledermäuse wegen entlang eines Baches ein Streifen nicht bebaut werden kann oder nicht so viele Bäume entfernt werden können.“ Dass „gar nicht gebaut“ werden könne, sei allenfalls auf „ganz kleinen Parzellen“ vorstellbar – allerdings überaus selten.
Kein Problem also für die Koexistenz von Mensch und Fledermäusen? Auch Jean-Paul Scheuren, der Präsident der Chambre immobilière, kennt kein Projekt, das „wegen Fledermäusen abgelehnt wurde“. Scheuren betont aber, er kenne nicht alle Vorhaben, „die noch in der Pipeline sind und für die noch eine Lösung gesucht wird“. Eine Lösung werde immer gesucht, und ein Problem könne es vor allem geben, wenn ein Projekt mehrere geschützte Tierarten zu beeinträchtigen droht: „Dann kumulieren die Auflagen sich und die Suche nach einem Ausweg wird komplizierter.“ Und allein die Prozedur, mit der ermittelt wird, ob Fledermäuse beeinträchtigt werden könnten, dauere ein Jahr. Am besten wäre, es sei von vornherein klar, „wo gebaut werden kann und wo nicht“.
Sind die Flächennutzungspläne aller 102 Gemeinden erneuert – was lange dauert und wofür der Innenminister unlängst die Frist bis ins nächste Jahr verlängert hat –, wird man darüber mehr wissen. Doch der Siedlungsbau in den Gemeinden ist nicht der einzige Faktor, der geschützte Arten unter Druck setzt. Ein weiterer ist die intensiv betriebene Landwirtschaft, noch einer ist der Flächenverbrauch für Verkehrswege und Gewerbegebiete. „Dass manche Fledermausarten in Luxemburg besonders zahlreich sind im Vergleich zum Ausland liegt gerade daran, dass die Landschaft hier noch immer ziemlich kleinflächig ist, abwechslungsreich strukturiert und mit viel Wald“, erklärt Simone Schneider, wissenschaftliche Koordinatorin des Sicona-Syndikats. „Fledermäuse gelten nicht nur als ein Bioindikator für den Zustand der Umwelt ,hinter ihnen‘, weil sie am Ende einer Nahrungskette stehen. Ihr Vorkommen ist zugleich ein Indikator für die Qualität einer Landschaft. Wo es viele Fledermäuse gibt, ist die Natur noch ziemlich intakt.“
Trotzdem könnte es sein, dass sich beim nächsten Artenschutz-Reporting an die EU-Kommission, das im kommenden Jahr ansteht, zeigt, dass sich Lebensräume und Biodiversität nicht verbessert haben, fürchtet Jacques Pir. „Wir verlieren pro Jahr rund ein Prozent der geschützten Lebensräume, obwohl sie geschützt sind.“ Das liege an dem Druck auf die knappe Ressource Boden, den hohen Grundstückspreisen „und daran, dass der Naturschutz es bei uns so schwer hat“. Bezeichnenderweise dauerte es zwölf Jahre, bis Luxemburg die EU-Habitatrichtlinie von 1992 im Jahr 2004 in nationales Recht übernahm.
Camille Gira betonte gegenüber dem Land, „es ist einfach unsere Pflicht, geschützte Arten zu erhalten. Von afrikanischen Ländern erwarten wir, dass sie ihre Elefanten und ihre Löwen schützen, also müssen wir das mit unseren Fledermäusen, dem Roten Milan oder der Wildkatze tun“. Die Fledermäuse seien „unsere Elefanten“. Das Ökosystem müsse man sich „wie ein riesiges dreidimensionales Spinnennetz“ vorstellen: „Fällt an einer Ecke zu viel weg, gerät auch der Mensch in Bedrängnis“. Deshalb hätten vor kurzem 15 000 Wissenschaftler aus 184 Ländern in einem gemeinsamen Brief an die gewarnt, es sei „bald schon zu spät“, um den Menschen zu retten. „Es geht ja nicht darum, den Planeten zu retten, es geht um uns.“
Und tatsächlich gibt es für den Fledermausschutz nicht nur moralischen Anlass. Als Insektenvertilger tragen Fledermäuse zum Funktionieren der Landwirtschaft bei. In den USA wurde 2011 errechnet, eine 150 Tiere starke Kolonie der Großen Braunen Fledermaus fresse in einem Jahr rund 1,3 Millionen Insekten, die andernfalls den Getreideanbau schädigen würden. Insgesamt erspare die Anwesenheit von Fledermäusen in den Vereinigten Staaten den Landwirten Kosten von rund 23 Milliarden Dollar jährlich, einschließlich reduzierter Kosten für die Ausbringung von Insektenvertilgungsmitteln, aber noch ohne den „downstream impact“, den diese Pestizide, kämen sie zum Einsatz, auf Menschen, Haus- und Wildtiere und auf die Umwelt hätten.
Ebenfalls in den USA meldeten vor drei Wochen die Centers for Disease Control and Prevention einen raschen Zuwachs gefährlicher Infektionen, die von Mücken übertragen werden. Die Verbindung zu Fledermäusen herzustellen, ist nicht weit hergeholt: „Eine Fledermaus vertilgt rund ein Drittel ihres Körpergewichts an Mücken, bis zu 3 000 Stück pro Nacht, das ist viel“, sagt Jacques Pir. Nehme man eine größere Fledermauskolonie von 400 Tieren an, wie in Mersch eine besteht, und 150 Tage im Jahr, in denen sie aktiv sind, dann ergeben sich bei zehn Gramm (das eine Drittel Körpergewicht) Fresskapazität pro Fledermaus insgesamt 600 Kilogramm durch die Kolonie innerhalb eines Jahres vertilgter Mücken. In Süddeutschland träten am Oberrheingraben mittlerweile wieder Malaria-Fälle auf. Gehe das wo weiter, könne das ein starkes Argument für den Schutz der Fledermäuse sein – wo doch die Bestände in der EU innerhalb eines halben Jahrhunderts um 90 Prozent abgenommen haben.
Zu erwähnen wäre auch, dass die Wissenschaft fasziniert ist vom Immunsystem der Fledermäuse: Die Tiere sind einerseits Wirte für viele der für den Menschen tödlichsten Viren, erkranken aber selber nicht daran, und Übertragungen zwischen Fledermaus und Mensch sind ausgesprochen selten. Anscheinend haben die Fledermäuse auf eine noch weitgehend ungeklärte Wiese gelernt mit den Viren zu leben – und dass das so ist, könnte auch ein Grund dafür sein, dass Fledermäuse kaum von Krebs befallen werden. Schon gibt es Stimmen, die meinen, das Studium der Fledermaus-Biologie werde eines Tages Behandlungsmöglichkeiten in der Humanmedizin eröffnen.
Was natürlich voraussetzt, dass man die akut dezimierten Arten schützt und erhält. Zum Glück scheint in Luxemburg die Öffentlichkeit gegenüber Fledermäusen ziemlich positiv eingestellt zu sein, wie Jacques Pir und das Sicona-Syndikat beobachten. Die Bat Nights mit Fledermausbeobachtung und Hörbarmachung ihrer Rufe seien ein Renner als Familienfest mit Kindern. Mit Landwirten laufe derzeit ein interessantes Projekt, um Viehställe als Sommer-Quartiere für Wimpernfledermäuse zu nutzen.
Die Umweltabteilung im Nachhaltigkeitsministerium stellt anhand der verfügbaren Daten fest, dass es auch Fledermauspopulationen gibt, die wachsen: Die der Großen Hufeisennase hat in den letzten drei Jahren zugenommen, wie die Dinge liegen, aber nur diese Population. Dass es sich dabei um eine der zahlenmäßig stärksten in der Großregion handelt, ist ein Anzeichen dafür, wie vergleichsweise intakt die Umwelt in Luxemburg noch ist. Allerdings ist diese Kolonie die einzige der Großen Hufeisennase hierzulande. „Würde sie beeinträchtigt, wäre das verhängnisvoll“, warnt Gilles Biver vom Nachhaltigkeitsministerium. So wertvoll sei dieser Bestand, dass die Umweltabteilung nicht öffentlich macht, wo die Kolonie sich befindet.
Dazu, dass der Artenschutz und die Nutzung der knappen Landesfläche sich besser miteinander vereinbaren lassen, soll das neue Naturschutzgesetz beitragen: Die Kompensation, die geleistet werden muss, wenn ein geschütztes Stück Land verlorengeht, soll künftig in einem öffentlich verwalteten Pool erfolgen, der Flächen zusammenfasst, deren Erhalt ökologisch besonders sinnvoll ist. Camille Gira versprach sich viel davon, dass es der öffentlichen Hand gelungen ist, von solchen Flächen bereits mehr als 450 Hektar aufzukaufen, was genug sein könnte, um darauf während neun Jahren Verluste zu kompensieren, die an anderer Stelle entstehen. Wie das zum Schutz der Fledermäuse und anderer bedrohter Arten beiträgt, muss sich zeigen. Die EU ist von ihrem Ziel, den Artenschwund bis 2020 zu stabilisieren, abgerückt, weil kein Mitgliedstaat drauf und dran ist, das zu schaffen, Nun soll er bis 2030 „gebremst“ und für 15 Prozent der am stärksten bedrohten Arten sollen die Lebensräume restauriert werden.