Finanzminister Pierre Gramegnas erstes Budget erntet vor allem Kritik

Netter Versuch bis Mogelpackung

d'Lëtzebuerger Land vom 11.04.2014

Ausgerechnet die Regierung, die heroisch die Staatsverschuldung bekämpfen will, hatte sich in ihrem am 5. März hinterlegten Haushaltsgesetz vertan und sollte dieses Jahr statt einer halben Milliarde zwei Milliarden Euro leihen. Artikel 35 ihres Haushaltsgesetzes sah eine Anleihe von 1,5 Mil­liar­den Euro und Artikel 43 noch eine weitere von einer halben Milliarde vor. Am 27. März ließ die Regierung in einem Brief kleinlaut wissen, das sei alles ein Missgeschick, Artikel 35 gehöre gestrichen.

Doch den ersten Haushaltsentwurf des neuen Finanzministers Pierre Gramegna (DP) scheint ohnehin niemand richtig ernst zu nehmen: Der Staatsrat kündigte in seinem Gutachten an, dass er sich aus Zeitmangel bloß mit den groben Zügen und dem Haushaltsgesetz befasst (S. 1). Der Präsident der Zentralbank, Gaston Reinesch, hatte dem Finanz- und Haushaltsausschuss des Parlaments am 1. April erklärt, dass die Zentralbank dieses Jahr überhaupt kein Haushaltsgutachten verfassen werde, weil der Haushaltsentwurf nur ein „Übergangs- und Zwischenhaushalt“ sei und die zur Verfügung stehenden Informationen „bruchstückhaft“ seien. Allerdings ist nicht klar, auf welcher gesetzlichen Grundlage die Zentralbank überhaupt ein Gutachten zum Haushaltsentwurf erstellt, das dann ein offizielles Parlamentsdokument wird. Denn in Artikel 104 der parlamentarischen Hausordnung heißt es lediglich: „Les chambres professionnelles, le Conseil d’État et, le cas échéant, la Cour des Comptes, sont invités à rendre leurs avis le 15 novembre au plus tard.“ Der zerstrittene Wirtschafts-und Sozial­rat seinerseits veröffentlicht schon seit vier Jahren kein Gutachten „über die wirtschaftliche, soziale und finanzielle Lage des Landes“ zur Vorbereitung des Staatshaushalts mehr. Obwohl das Gesetz vom 15. August 2004 ausdrücklich in Artikel 2(1) vorschreibt: „Le conseil établit chaque année, au cours du premier trimestre, un avis sur l’évolution économique, sociale et financière du pays.“ Das Gesetz sieht jedoch keine Strafbestimmungen vor.

Diejenigen, die den Haushaltsentwurf zu lesen sich die Mühe machten, werfen ihm mangelnde Transparenz vor, wohlwissend, dass Transparenz ein zentrales Wahlkampfversprechen der neuen Koalition war. Der Staatsrat moniert, dass die Regierung ihre Berechnungshypothesen und Haushaltsprognosen nicht ausführlich genug erkläre (S. 8). Die Salariats­kammer vermisst sogar den in der Logik der Regierung wichtigsten Indikator, das strukturelle Saldo, und klagt sarkastisch: „Welche Transparenz!“ (S. 30). Auch die übliche Tabelle über die geplanten Investitionsausgaben fehle (S. 40). Der Haushaltsentwurf sei „wenig transparent, sogar noch weniger als in den Vorjahren“, ärgert sie sich (S. 64).

Die Beamtenkammer bedauert, dass der Finanzminister weder in seiner Rede vor dem Parlament, noch im Haushaltsentwurf Einzelheiten geliefert habe, welche Betriebskosten gesenkt und welche Investitionen storniert würden, so dass keine globale Strategie ersichtlich sei (S. 2). Für einmal sind sich Handwerkskammer (S. 8) und Salariatskammer (S. 30) sogar einig, dass der Finanzminister, anders als seine Vorgänger, keinerlei politische Akzente genannt und jeglichen politisch gestalterischen Ehrgeiz vermissen gelassen habe. Sein einziger Ehrgeiz sei es, so die Salariatskammer (S. 62), als „europäischer Musterschüler“ das Gleichgewicht der öffentlichen Konten wieder herzustellen und die Schuldenentwicklung umzukehren.

Für den Rechnungshof steigen die laufenden Ausgaben um 4,36 Prozent gegenüber 2013 und „sehr beachtlich um 1 006,0 Millionen Euro im Vergleich zu den provisorischen Generalkonten 2012 (9,81 Prozent)“ (S. 55). Er stellt zudem fest, dass die Speisung des Schuldenfonds 2014 lediglich ausreiche, um die Zinsen zu zahlen, aber die Rücklagen fehlten, um Anleihen zurückzuzahlen (S. 69). Überhaupt fielen die Guthaben der staatlichen Fonds bis Ende dieses Jahres um nicht weniger als 34,4 Prozent (S. 77).

Was Pierre Gramegna einst als Direktor der Handelskammer jahrelang seinen Vorgängern vorwarf, die Konjunktur und Steuereinnahmen zu überschätzen, bekommt er nun selbst vorgehalten. Und sein Nachfolger, Handelskammerdirektor Carlo Thelen, übt in seinem Internet-Blog am wenigsten Nachsicht. Aus der Sicht eines „hausväterlichen“ Umgangs mit den Staatsgeldern hätte Thelen es für angebrachter gehalten, den Haushalt auf ein „vorsichtigeres makroökonomisches Szenario“ aufzubauen. Die Handelskammer stellt in ihrem Gutachten fest, dass die Zentralverwaltung weiter „über ihren Verhältnissen lebt“ (S. 17), und nennt das für 2014 vorgesehene Wirtschaftswachstum von 3,2 Prozent „optimistisch“. Sie schlägt stattdessen 2,5 Prozent vor (S. 11), denn die negativen Auswirkungen der Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen auf diese Prognosen würden ebenso wenig berücksichtigt wie die möglichen Folgen des automatischen Informationsaustauschs. Die Handelskammer kann sich vorstellen, dass die Einnahmen aus Abonnementtaxe, Lohn- und Mehrwertsteuer nur 75 oder gar 50 Prozent der im Haushaltsentwurf vorgesehenen Summe ausmachten (S. 29).

Allerdings meint der Rechnungshof, dass angesichts eines erwarteten Wirtschaftswachstums von wertmäßig 6,5 Prozent die Hypothesen über das Wachstum der wichtigsten Steuereinnahmen „realistisch“ erscheinen können (S. 23). Und die Beamtenkammer schätzt, dass, „wie in den Vergangenheit“, auch dieses Jahr die Steuereinnahmen unterschätzt würden (S. 3) oder dass sie „realistisch“ seien (S. 36). Was den Steuerausfall im elektronischen Handel angeht, wirft sie der Regierung allerdings vor, von einem „Katastrophen­szenario“ auszugehen, so als ob sämtliche Firmen der Branche schlagartig das Land verließen (S. 49).

Auch das laut Finanzminister 231,2 Millionen Euro schwere „Sparpaket“ wird von den meisten Gutachtern als eine Mischung aus nettem Versuch und Mogelpackung abgetan. Der Staatsrat beschwert sich, dass die Regierung ihren Ausgabenkürzungen im Vergleich zu „einer aus der Fortführung verschiedener Zahlen des Jahres 2013 bis 2014 erhaltenen theoretischen Zahl“ darstellt, so dass er aufgrund der „methodologischen Unsicherheiten“ gar nicht im Einzelnen auf die Einsparungen eingehen will. Ihm fällt jedenfalls auf, dass in einer Tafel Seite 26* im Haushaltsentwurf der Rückgang der Betriebskosten mit 8,5 Prozent angegeben wird, in einer Tafel auf Seite 27* dagegen mit 1,7 Prozent (S. 12).

Für die Handelskammer bestehen die Einsparungen zu 60 Prozent aus für die Wettbewerbsfähigkeit wichtigen und nun stornierten Investitionen, die zudem den Betrieben als Aufträge entgingen (S. 21). Der Haushaltsentwurf sei auch undurchsichtig, da schwer nachzuvollziehen sei, wo Ausgaben gekürzt worden seien. Die Betriebskosten würden nur um 8,3 Prozent gesenkt statt um die angekündigten zehn Prozent, und meist handele es sich nicht um Einsparungen sondern um keine zusätzliche Ausgaben. Obwohl der Numerus clausus auf 150 zusätzliche Posten festgelegt worden sei gegenüber 320 vergangenes Jahr, erreichten die Gehälterausgaben des Zentralstaats dieses Jahr die „symbolische Schwelle“ von drei Milliarden Euro. Die Salariatskammer nennt den auf 150 festgesetzten Numerus clausus einen reinen „Ankündigungseffekt“ (S. 34), weil die Ministerien die Möglichkeit hätten, über andere Gesetze als das Haushaltsgesetz Leute einzustellen. Der Rechnungshof findet, dass das im März abgeänderte Gehälterabkommen im Widerspruch zur Haushaltskonsolidierung stehe und zitiert den französischen Rechnungshof, der meint, dass der Staat in erster Linie Einsparungen bei der Gehältersumme machen solle (S. 64).

Selbstverständlich hat der Finanzminister es dadurch nicht einfacher, dass alle fürs Sparen sind, aber immer bloß auf Kosten der anderen. Die Handelskammer beschwert sich, dass die staatlichen Zuschüsse für die Unternehmerversicherung zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall nicht um 45 Millionen Euro erhöht und die Mittel für die Werbung zugunsten Luxemburgs als Einkaufszentrum der Großregion um 150 000 Euro gekürzt worden seien (S. 26). Die Handwerkskammer verlangt ihrerseits eine selektive Sozialpolitik und weist stattdessen darauf hin, dass die öffentlichen Investitionen zahlreiche Arbeitsplätze im Baugewerbe sicherten (S. 2).

Nur der Staatsrat zeigt Mitleid mit Pierre Gramegna und rechnet vor, dass von 535 Millionen Euro zusätzliche Ausgaben alle bis auf die krisenbedingten für den Beschäftigungsfonds das Ergebnis von politischen Entscheidungen der CSV/LSAP-Regierung seien (S. 11). Auch rechnet er vor, dass seit 2008 die deutschen Staatsfinanzen einen hauchdünnen Überschuss und die belgischen und französischen eine Begrenzung der negativen Entwicklung von 2,7 und 6,5 Prozent verzeichnen konnten. Nur die luxemburgischen hätten sich um 11,3 Prozent verschlechtert (S. 7). Damit reicht der Staatsrat die Verantwortung an Gramegnas Amtsvorgänger Luc Frieden (CSV) weiter, der nicht in der Lage gewesen schien, die Staatsfinanzen ins Lot zu bringen.

Doch das Interesse gilt weder den vergangenen, noch dem aktuellen Staatshaushalt. Alle reden von einem „Übergangshaushalt“, die Handwerkskammer nennt ihn „die Ruhe vor dem Sturm“ (S. 5), vor der Mehrwertsteuererhöhung, dem automatischen Informationsaustausch und der „kopernikanischen Wende“ der Haushaltsführung. Mit Spannung wird der Haushaltsentwurf für 2015 erwartet, alle Gutachter wollen wissen, auf wessen Kosten die Regierung sparen will, ob sie ihren großen Reformversprechen gerecht werden kann und ob sie sich von ihnen, den richtigen Experten, beraten lassen wird.

Romain Hilgert
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