Der als Shootingstar gefeierte Quereinsteiger Pierre Gramegna riskiert, zur Achillesferse der neuen Regierung zu werden

Harakiri

d'Lëtzebuerger Land vom 07.03.2014

„Wir werden 2015 einen schweren Stand haben“, so Finanzminister Pierre Gramegna (DP) am Mittwoch im Parlament, als er den Haushalt für das laufende Jahr vorlegte. „Deshalb wird der Haushalt auf eine ganz neue Art und Weise vorbereitet“, fuhr er fort. Die Arbeiten hätten vor einigen Wochen angefangen, es gehe darum „einen Haushalt der ganz neuen Generation aufzustellen“. „Das heißt, es wird eine Bestandaufnahme aller Ausgaben gemacht, nicht nur in den Ministerien, sondern in allen staatlichen Einheiten und in den Gemeinden. Auf dieser Grundlage wird geschaut, ob die finanziellen Mittel auch ihr Ziel erreichen oder und ob eine andere, effizientere Methode angepeilt werden kann.“

Einen schweren Stand riskiert wegen dieser Übung auch der Finanzminister selbst und zwar früher, als ihm lieb sein dürfte. Nicht nur weil Minister­ien, Verwaltungen und Gemeinden wahrscheinlich dazu neigen werden, „hire Biftek“ zu verteidigen. Sondern auch wegen der Gehilfen, die Pierre Gramegna dafür ins Boot geholt hat: die Beratungsfirma McKinsey, Synonym für Firmenrestrukturierungen und Stellenabbau, auch in Luxemburg. Unter dem Titel „Lean“ hatte die Firma 2012 eine Abmagerungskur für die Produktionsstandorte von Arcelor-Mittal in Frankreich, Belgien und Luxemburg vorbereitet. Im Verlagshaus St. Paul hat sie geholfen, die gefühlte halbe Belegschaft wegzurationalisieren. Dass ausgerechnet diese Firma nun helfen soll, den Haushalt zu restrukturieren, hat Signalwirkung. OGBL-Präsident Jean-Claude Reding hatte diese Woche gewettert, der erste schwere Fehler der Regierung sei es gewesen, während der Haushaltsvorbereitung nicht mit den Sozialpartnern geredet zu haben und sie mit dem fertigen Haushaltsentwurf vor vollendete Tatsachen zu stellen. Da kann man sich ausmalen, welche Grundstimmung zwischen Regierung und Gewerkschaften geschaffen wird, wenn letztere das Gefühl haben, dass sie beim Thema Haushaltsgestaltung nicht mitreden dürfen, McKinsey dafür aber schon. Zumal es der neuen Regierung, die sich nach den Skandalen der Vorgängerregierung durch ihren Transparenzanspruch legitimiert, nicht besonders gut zu Gesicht steht, dass McKinsey ohne Ausschreibung beauftragt wurde. Ein Umstand, der riskiert für Gramegna zum persönlichen Problem zu werden, denn bis zum 1. März hat seine Tochter beim Beratungsunternehmen McKinsey gearbeitet. Ihr Urlaubsjahr hat sie erst angetreten, nachdem ihr Vater ihrem Arbeitgeber den Auftrag erteilt hat. Pierre Gramegna äußerte sich dazu am Donnerstag nicht, trotz mehrerer Versuche ihn zu erreichen.

In der ersten Phase der Haushaltsbestandsaufnahme, die im Hinblick auf die Aufstellung des Haushalts für 2015 erfolgt und die, so Gramegna bereits am Mittwoch gegenüber dem Land, zwischen sechs und acht Wochen dauern soll, werde McKinsey helfen, die Methodologie der Übung auszuarbeiten, die Ministerien beraten, wie sie sich dafür aufstellen können. In der zweiten Phase, die laut Gramegna bis Juli abgeschlossen sein soll, würden „für jedes Ministerium Arbeitsgruppen gebildet“, außerdem „horizontale Arbeitsgruppen.“ „Da kann jedes Ministerium Aushilfe bekommen und das ist dann komplett offen für die Konkurrenz.“ Dass die Beratungsfirma für die erste Phase à discre­tion ausgewählt wurde, rechtfertigt Gramegna mit der Dringlichkeit der Angelegenheit: „Wegen der Dringlichkeit und der Vorarbeiten, die McKinsey geleistet hat.“ Die Firma habe in Frankreich, in den Niederlanden und Großbritannien schon ähnliche Aufträge durchgeführt. „Sie sind an uns herangetreten, sie hatten schon viele Überlegungen gemacht, weil sie dies in anderen Ländern getan haben. Sie haben also eine Erfahrung darin, die niemand anders mitgebracht hat.“

Dabei ist dies längst nicht der einzige fragwürdige Vorgang im Finanzministerium von Pierre Gramegna, so dass, noch bevor die neue Regierung 100 Tage im Amt ist, fraglich wird, ob der als Shootingstar gefeierte Quereinsteiger aus der Handelskammer, nicht riskiert, zur Achillesferse der neuen Regierung zu werden.

„Konnichiwa“ begrüßte der ehemalige Botschafter in Japan vergangene Woche beim Renminbi-Forum von Luxembourg for finance (LFF) charmant eine Journalistin aus dem Land des Lächelns. Vorher hatte er flockig und fließend einen kurzen Diskurs über die Internationalisierung der chinesischen Währung gehalten und selbstbewusst seine „Wunschliste“ gegenüber der chinesischen Zentralregierung formuliert. Als dann eine Frage zu Verhandlungen über die gegenseitige Anerkennung von Investmentfonds kam, die in den für ihn vorbereiteten Speaking-Points nicht vorkam, wandte er sich vertrauensvoll an den ehemaligen Diplomaten und LFF-CEO Nicolas Mackel, der sich ungerührt und ohne zu Blinzeln eine Antwort einfallen ließ, die zwar wenig Information enthielt, aber keine weiteren Fragen hervorrief. Auftrag erledigt. Für solche Situationen haben Minister schließlich Mitarbeiter, die ihnen aus der Klemme helfen, weil sie die Dos­siers im Detail kennen und sie beraten können.

Von wem sich Pierre Gramegna in Zukunft in seinem Ministerium beraten lassen wird, ist derzeit offen, denn um den Finanzminister wird es einsam. Unabhängig voneinander haben ihm in den vergangenen Wochen drei seiner Top-Beamte ihre Absicht mitgeteilt, das Ministerium zu verlassen. In alphabetischer Reihenfolge: Alphonse Berns, Georges Heinrich und Sarah Khabirpour. Das riskiert zum größeren Problem in einem der Schlüsselministerien zu werden, und dass es so weit gekommen ist, daran ist der frühere Direktor der Handelskammer, wie es scheint, nicht ganz unschuldig. Auf die angekündigten Ausfälle angesprochen, reagiert der Minister knapp. RTL gegenüber sagte er vergangenen Freitag, er habe die Absicht der drei Beamten, zu gehen, zur Kenntnis genommen „und damit hat es sich“. Davor hatte RTL gemeldet, Sarah Khabirpour habe ihm einmal geantwortet: „Für wen hältst du dich?“ und Georges Heinrich ihm ein anderes Mal gesagt: „Das kommt nicht in Frage, dass wir das so machen“. Informationen, die, obwohl Gramegna betonte, er kommentiere die Interna des Ministeriums nicht, direkt oder indirekt von ihm kommen müssen. Ein Umstand, der, auch weil er nicht abstritt, dass es Streit gegeben habe, so manches über die Stimmung in der rue de la Congrégation aussagt. „Sie wollen sich beruflich weiterentwickeln“, wiederholte Gramegna, vom Land auf die Personalien in seinem Ministerium angesprochen. Eine wenig plausible Erklärung, wenn man bedenkt, dass weder Heinrich, noch Khabirpour, die sich, wie Berns, nicht äußern wollen, einen neuen Arbeitsvertrag haben.

Dass ihre Abgänge nicht nur Personalien sind, liegt an den Aufgaben, welche die drei im Ministerium bisher innehatten. Alphonse Berns, altgedienter Diplomat von Botschafterrang, der bei Mitarbeitern auch wegen seiner Kollegialität einen guten Ruf genießt, hatte Ex-Finanzminister Luc Frieden (CSV) extra aus dem Außenministerium rekrutiert, um die Steuerdossiers zu betreuen. Die Steuerfragen, sei es nun die Besteuerung natürlicher Personen oder die von Firmen, zählen auch für die Experten vom Internationalen Währungsfonds, die am Dienstag zu Besuch in Luxemburg waren, zu den größten Herausforderungen der kommenden Jahre, weil durch die Umwälzungen auf internationaler Ebene das Geschäftsmodell Luxemburgs und damit die Haushaltspolitik auf dem Spiel stehen. Kein günstiger Moment demnach, um den ranghöchsten zuständigen Beamten zu verlieren. Ob sich Berns, der in den vergangenen Monaten die Ärmel hochgekrempelt hat, unter anderem um das für die Bankiers so wichtige Fatca-Abkommen mit den USA abzuschließen, in den Ruhestand zurückzieht oder ins Außenministerium zurückkehrt, bleibt abzuwarten.

Georges Heinrich hat seinerseits eine der eindrucksvollsten Karrieren im Staatsdienst überhaupt hingelegt. Andere Beamte nennen ihn deshalb manchmal ein wenig eifersüchtig „the one-man-show to save the world“. Seine Kompetenz haben allerdings sogar eventuelle Neider nie in Abrede gestellt. Heinrich war sozusagen der europäische Rettungsschirm, bevor die anderen Euroländer zum in Luxemburg gegründeten EFSF hinzustießen, hat den Griechen quasi ihre Rettungsgelder überwiesen, für Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker in Brüssel als „Sherpa“ gedient und die Verhandlungen um den Fiskalpakt geleitet. Als Schatzamtsdirektor hat er in den vergangenen Jahren die Staatsschuld nicht nur verwaltet – Lieblingsthema der neuen Regierung und der Arbeitgeberverbände, aus deren Kreis Gramegna stammt – sondern durch ein aktiveres Management versucht, die jeweils günstigsten Zinssätze für Luxemburg rauszuholen. Und in Voraussicht der Neuwahlen und der Verzögerung des Budgets für 2014 vorsorglich das Geld geborgt, das der Staat derzeit ausgibt. Wenn der Finanzminister am Mittwoch im Parlament eine Grafik hochhalten konnte, auf der „AAA“-Rating Luxemburgs bei allen großen Rating-Agenturen abgebildet war, ist das wahrscheinlich auch ein wenig das Verdienst von Georges Heinrich. Er war Ansprechpartner der Analysten, erklärte ihnen, welchen Plan Luxemburg mit seiner Haushaltspolitik verfolgt, obwohl zuhause oft bezweifelt wird, dass es einen gibt.

Vielleicht bringt der Umstand, dass Berns und Heinrich ebenfalls gehen wollen, diejenigen zum Nachdenken, die Sarah Khabirpour zu viel Nähe zu Luc Frieden vorgeworfen und etwas voreilig geschlussfolgert hatten, sie werde ohnehin mit dem ehemaligen Minister, der sie als Kabinettschefin eingesetzt hatte, weiterziehen. Als solche war es Khabirpours Aufgabe, den Überblick über das Große Ganze im Ministerium zu behalten, eine Position auf der man sich nicht nur Freunde macht. Khabirpour hatte in den vergangenen Monaten keinen leichten Stand, als sie öffentlich für einen vermeintlichen Interessenkonflikt angeprangert wurde. Medien die daran teilgenommen haben, wie Kritiker im Haus und in der Finanzbranche sollten sich die Frage stellen, ob es so viel Aufregung auch gegeben hätte, wenn Luc Frieden statt einer attraktiven jungen Frau einen Mann als Kabinettschef eingesetzt hätte?

Dass im Finanzministerium jemand gebraucht wird, der den Überblick behält, dürfte, Polemik um Khabirpours Person hin oder her, außer Frage stehen. Das liegt auch daran, dass die Dreierkoalition bei der Ressortverteilung davon abgesehen hat, die Zuständigkeiten im Finanzministerium zwei Regierungsmitgliedern statt nur einem anzuvertrauen. Die Aufgabenteilung zwischen Haushalts- und Finanzminister war unter der Juncker-Asselborn-Regierung dem Mandat Jean-Claude Junckers als Vorsitzender der Eurogruppe geopfert worden. Juncker musste, um Eurogruppen-Vorsitzender bleiben zu können, irgendeine Zuständigkeit in Verbindung mit den Finanzen behalten, wurde Pro-Forma-Schatzamtsminister. Die ganze Arbeit, der Haushalt, die Finanzmarktregulierung, die Finanzplatz-Standortpolitik, Steuerpolitik blieb indes an Luc Frieden hängen und wurde sogar ihm, der sich mit protestantischem Arbeitseifer und einiger Erfahrung, hineinstürzte zu viel. Da stellt sich die Frage, wie das ein Newcomer ohne starke Beamte an seiner Seite schaffen soll. In der durch die Vorkommnisse – auch in anderen Ministerien – angefachte Diskussion um das Einsetzen politischer Beamte sollte deswegen nicht übersehen werden, dass nicht-politische Beamte mit Erfahrung irgendwie das Gedächtnis des Staates sind und ein Wissen besitzen, das sich neue Minister durchaus zu Nutze machen können.

Der ehemalige Finanzminister Luc Frieden genoss in Arbeitgeberkreisen großes Ansehen. Er war für sie der tragische Held der Vorgängerregierung, weil er gerne sparen wollte, aber nicht durfte, weil ihn die Regierungskollegen, allen voran der Staatsminister, nicht ließen. Welche Rolle sein Nachfolger Pierre Gramegna spielen wird, bleibt abzuwarten. Denn in Zeiten der Austerität, wie sie die Regierung und er selbst predigen, ist der Stuhl des Finanzministers ein Schleudersitz. Zumal wenn sich Gramegna nur zum Thema Haushalt profilieren kann – Außenminister Jean Asselborn diskutierte im Februar Steuerfragen mit OECD-Chef Angel Gurría, Wirtschaftsminister Etienne Schneider gab das Interesse weiterer chinesischer Banken am Standort Luxemburg bekannt. Bei seinen anderen Themen bedienen sich bereits jetzt andere Minister...

Michèle Sinner
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