Jetzt also doch. Nachdem der christlich-soziale Wohnungsbauminister Fernand Boden mehrfach versprochen hatte, den Sektorplan Wohnung zu veröffentlichen und dies immer wieder verschoben wurde, soll er also kommen. Am nächsten Freitag, so heißt es aus dem Ministerium, werde man den Plan den Ministerkollegen vorstellen. Die Verabschiedung für den Ministerrat ist für eine Woche später vorgesehen. Am 4. Mai dann sollen die Abgeordneten informiert werden und noch am selben Tag die Presse.
Einen Monat vor dem offiziellen Ende der Legislaturperiode hätte die schwarz-rote Regierung somit eine ihrer wichtigsten wohnungsbaupolitischen Hausaufgaben endlich abgehakt. Wiederholt hatten Experten aus Politik und Wirtschaft die erhebliche Verzögerung moniert, zuletzt der Wirtschafts- und Sozialrat am vergangenen Mittwoch. Eigentlich sollte der Sektorplan als zentrales landesplanerisches Instrument den Gemeinden als Richtschnur für ihre Flächennutzungs- und Baupläne dienen, um so nachhaltiges Bauen im Sinne des Integrativen Verkehrs- und Landesentwicklungskonzeptes (IVL) zu gewährleisten. Nun also ein kleiner Fortschritt, denn das, was der Wohnungsminister voraussichtlich in wenigen Tagen vorstellen wird, ist lediglich ein Vorentwurf, der mit den anderen Sektorplänen abgestimmt werden muss; die Endversion soll im Herbst kommen. Dass der Zeitplan realistisch ist, bezweifeln aber selbst Insider aus den betreffenden Ministerien.
Verspätungen beim Erstellen wichtiger Planungsinstrumente sind, zumal aus dem Wohnungsbauministerium, nichts Neues. Die mehrere Tausend Euro teure Bedarfsanalyse zum Wohnungsbau, die den Bestand an leer stehenden oder falsch genutzten Wohnungen im Land erheben sollte, erschien mit zweijähriger Verspätung zur Semaine du logement 2008 – als zwölfseitige Kurzfassung. Auf die Langfassung warten die Abgeordneten noch immer; an den Autoren, einem Planungsbüro aus Wien, liegt das nicht.
Aber wahrscheinlich ist die auch gar nicht mehr nötig: Die wichtigsten Ergebnisse hatten die Lip-Studie aus dem Jahr 1991 sowie eine weitere vom Planungsbüro Zilm von 2002 vorweg genommen. Damals schon bezifferten die Experten den Wohnraummangel auf rund 3 200 Wohnungen jährlich, und das hat sich bis heute nicht geändert. Wohl in dunkler Vorahnung, dass das neuerliche Expertenurteil ähnlich kritisch ausfallen würde, hatte Premierminister Jean-Claude Juncker die – verbale – Notbremse gezogen und sich in seiner Rede zur Lage der Nation 2005 für das wohnungsbaupolitische Scheitern seines Ministers entschuldigt (d’Land, 21.10.05). Personelle Konsequenzen blieben aber aus. Kurze Zeit später legte Boden die Reform des Mietgesetzes als Maßnahme gegen die hohen Preise auf dem Mietwohnungsmarkt vor. Drei Jahre nach Inkrafttreten beweisen aktuelle Zahlen des Observatoire de l’habitat allerdings, dass dieses Ziel verfehlt wurde.
Während der Mietpreis für Häuser um knapp zwei Prozent gegenüber dem Vorjahr fiel, stieg er bei Wohnungen um 0,69 Prozent. Die Nachfrage nach preiswertem Wohnraum ist ungemindert. Daniel Miltgen, Direktor des Fonds du Logement, der dieser Tage sein 30-jähriges Bestehen feierte, freute sich zwar über einen ausgesprochen guten Jahresbericht: Der Gewinnzuwachs für 2008 betrug 63 Prozent. Das liegt vor allem daran, dass der Fonds selbst als Verkäufer von Immobilien kräftig auf dem Markt mitmischt. Die Bilanz beim sozialen Wohnungsbau, laut Gesetz eigentliches Kerngeschäft des Fonds, liest sich dagegen minder rosig: Obwohl der Mietwohnpark langsam aber stetig wächst, stehen noch immer rund tausend Menschen auf der Warteliste, weil sie sich die Preise auf dem freien Markt nicht leisten können.
Bleibt als zweiter wichtiger Baustein von Bodens Kampf gegen anhaltend hohe Bauland- und Wohnpreise der Wohnungsbaupakt. Er soll die gedrosselte Bautätigkeit auf kommunaler Ebene anregen. Auf den ersten Blick scheint das zumindest geglückt: 83 Gemeinden haben seit Verabschiedung des Pakts im Herbst 2008 eine entsprechende Konven-tion mit dem Wohnungsbauministerium unterschrieben, mit 16 weiteren sei man im Gange zu verhandeln. Das große Interesse der Gemeindemütter und -väter ist nicht wirklich erstaunlich: Gemeinden, die sich dazu verpflichten, binnen zehn Jahren um mindestens 15 Prozent zu wachsen, deren Bevölkerungszuwachs mehr als ein Prozent und mindestens 30 Einwohner jährlich beträgt, erhalten 4 500 Euro pro zusätzlichen Einwohner. Sogar rückwirkend bis 2003. Schon im Vorfeld der Abstimmung im Parlament warnte der Grüne Camille Gira daher vor „kontraproduktiven Effekten“, die das Pakt-Gesetz auf die Landesplanung haben würde.
Heute überlegen auch grüne Bürgermeister und Schöffen, ob sich ihre Gemeinde nicht am Wohnungsbaupakt beteiligen soll, winken doch mehrere hunderttausend Euro Subventionsgelder, in Zeiten klammer Gemeindekassen nicht gerade ein Pappenstiel. Auf Land-Nachfrage, in welcher Höhe die rückwirkend geleisteten Subventionen pro Gemeinde im Staatshaushalt zu Buche schlagen, hieß es aus dem Ministerium entschuldigend, wegen fehlendem Personal und vieler Sitzungstermine sei man derzeit nicht in der Lage, die Zahlen herauszugeben.
Eine kleine Ahnung vermitteln vereinzelt im Internet veröffentlichte Gemeindeberichte. Betzdorf beispielsweise, das den Pakt im Januar unterzeichnete und eigenen Angaben zufolge zwischen 2003 und 2008 um 24 Prozent wuchs, darf sich nun über eine Geldspritze von 2,2 Mil-lionen Euro freuen. Rückwirkend. Eschweiler erhält für sein 27-prozentiges Wachstum 500 000 Euro für die vergangenen fünf Jahre. Im Préizerdaul, wo der Bevölkerungszuwachs im selben Zeitraum 9,3 Prozent betrug, sind es immerhin noch 200 000 Euro. Deutlich wird: Gewinner des Pakts sind jene Gemeinden, die in den vergangenen Jahren kräftig Wohnungen gebaut haben, unabhängig davon, wie nachhaltig dies tatsächlich geschah. Wer dagegen in den 80-er und 90-er in Wohnungsbau und Infrastrukturen investiert hat, geht leer aus.
Bei IVL-Gemeinden gilt die Retroaktivität nur bis Anfang 2007. Dank eines fast doppelt so hohen Satzes von 6 750 Euro pro zusätzlichen Einwohner kommen aber auch so erkleckliche Summen zusammen: Für ein Bevölkerungswachstum von 1,24 Prozent zwischen 2007 und 2008 erhält die Stadt Luxemburg 1,6 Millionen Euro. Ein Jahr später betrug das Wachstum 3,36 Prozent, das bringt 15,7 Millionen Euro für die Gemeindekasse. Zusammen mit der Société nationale des habitations à bon marché (SHNBM) plant die Hauptstadt größere Investitionen im sozialen Wohnungsbau – mit denen Minister Boden seine dürftige Baubilanz aufpoliert. Rund 40 000 neue Wohneinheiten, davon zehn Prozent zu sozial verträglichen Preisen, würden im Rahmen des Pakts neu gebaut, rechnete Boden auf einer Pressekonferenz Anfang Februar vor – und verschwieg, dass das Verdienst weniger ihm zuzurechnen ist: Die Verpflichtung für Gemeinden, verdichtet zu bauen und verstärkt in sozialen Wohnungsbau zu investieren, kam erst auf Drängen der sozialistischen und grünen Abgeordneten ins Gesetz.
Auch gegen die Agence immobilière sociale, die Boden auf der letzten Semaine du logement mit viel Pomp vorstellte und die Menschen mit geringem Einkommen mittels staatlich subventionierten und verwalteten Wohnungen helfen soll, hatte sich der Minister lange gesträubt. Dito bei der Spezialsteuer gegen Bodenspekulation: Eigentümerfreund Boden wehrte sich viele Jahre eisern, sie auch nur in Erwägung zu ziehen, dabei hatte der Premierminister sie schon in seiner Rede zur Lage der Nation von 2002 angekündigt. Nun ist es den Gemeinden überlassen, sie einzuführen.
Ungeachtet dessen preist auch die CSV in ihrem Wahlprogramm die Wohnungsbauoffensive als wirkungsvolles Instrument zum richtigen Zeitpunkt an, Boden führt als Beleg die – auf hohem Niveau – stabilisierten Immobilienpreise an. Das ist aber nicht ganz richtig: Spürbare Effekte des Wohnungsbaupakts dürften frühestens in ein paar Jahren eintreten – jedenfalls, was neue Bauprojekte betrifft. Zuvor muss jedoch der Stau bei den Baugenehmigungen gelöst werden, 2 631 Bauanträge wurden laut ministeriellem Tätigkeitsbericht in den ersten neun Monaten von 2008 genehmigt, das entspricht einem Rückgang von 13,1 Prozent. Besserung soll die Reform des Kommunalplanungsgesetzes bringen, eine weitere Schwergeburt, dieses Mal von Landesplanungsminister Jean-Marie Halsdorf (CSV). Der Entwurf, bereits vor Jahren angekündigt, wurde vor zwei Wochen als Teil des Konjunkturpakets der Regierung dem Parlament vorgelegt.
Zudem ist der leichte Preisrückgang für Gebrauchthäuser keine neue Entwicklung, Immobilienagenturen meldeten niedrigere Preise schon vor mehr als einem Jahr. Für Neubauten gilt das aber nicht. Von einer Trendwende auf dem Immobilienmarkt kann daher nicht die Rede sein. Das ist aber auch nicht so wichtig. Als Stimmenfänger Nummer eins im Osten bleibt Fernand Boden für die Partei unverzichtbar, auch wenn er nun nicht mehr der offizielle, sondern „nur“ noch der heimliche Spitzenkandidat ist. Vor allem für die traditionelle CSV-Klientel der Wohnungs- und Grundstückseigentümer war und ist der Wohnungsbauminister der Garant dafür, das alles beim Alten bleibt.
Allenfalls die Wirtschafts- und Finanzkrise könnte dieser Erwartung noch einen Strich in die Quere kommen und Bewegung in den festgefahrenen Markt bringen. Dass sich potenzielle Käufer in diesen Zeiten mit dem Kauf einer Immobilie zurückhalten, in der Hoffnung, bessere Preise erzielen zu können, wurde schon im Abschlussbericht des parlamentarischen Anti-Krisen-Ausschusses thematisiert. Selbst historisch niedrige Zinsstände haben an dieser Zurückhaltung bislang nichts geändert. Erstmals seit Jahren sei der Immobilienverkauf eingebrochen, ist aus der parlamentarischen Finanzkommission zu hören, eine Beobachtung, die auch Gaétan de Lanchy vom Observatoire de l’habitat bestätigt. Allerdings: Die aus Zeitungs- und Agenturannoncen ermittelten Durchschnittspreise seien auch im ersten Trimester 2009 „noch immer erstaunlich stabil“.
Nachdem die CSV 30 Jahre lang die Grundstücks- und Hausbesitzer gehätschelt hat, fällt das Umdenken schwer. „Irgendwann muss das an den Käufer weitergereicht werden“, prognostiziert der CSV-Politiker Lucien Thiel, und es klingt wie eine Warnung. Einem Hausbesitzer, der sein Haus verkaufen muss, aber nicht kann, drohen dann vielleicht wirklich Einbußen. Für andere kommt der mögliche Preissturz ohnehin zu spät: Sie haben sich jenseits der Grenze ein neues Zuhause gebaut. Laut einer Studie von Ceps-Instead wanderten zwischen 2001 bis 2007 rund 9 400 Einwohner ins angrenzende Ausland ab, darunter viele Luxemburger Familien, die sich die Preise auf dem heimischen Wohnungsmarkt nicht mehr leisten können. Das sind auch potenzielle CSV-Wähler.