EZB-Kandidatur von Yves Mersch

Kompromisskandidat?

d'Lëtzebuerger Land vom 27.01.2012

„Wir werden die Verdienste dieser hochqualifizierten Individuen sorgfältig prüfen.“ MEHR sagte der Vorsitzende der Eurogruppe, Jean-Claude Juncker, nach dem Treffen der Euro-Finanzminister am Montag nicht. Drei Kandidaturen sind bisher für die Nachfolge des Spaniers José Manuel Gonzáles-Parámo im Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB) eingegangen. Spanien schlägt den Landsmann Antonio Sáinz de Vicuña vor, einen Juristen, der bislang die EZB-Rechtsabteilung geleitet hat. Slowenien schickt seinen ehemaligen Notenbankchef Mitja Gaspari ins Rennen um den Direktoriumsplatz, Luxemburg seinen aktuellen Zentralbank-Gouverneur: Yves Mersch.

Es ist nicht das erste Mal, dass Mersch kandidiert. Im Frühjahr 2010 hatte er sich um die Nachfolge des mittlerweile zum Regierungschef avancierten Griechen Lukas Papademos beworben. Durchgesetzt hatte sich der Portugiese Vítor Manuel Ribeiro Constâncio. Damals ging man noch davon aus, der damalige Bundesbankchef Axel Weber werde 2011 die Nachfolge von Jean-Claude Trichet antreten. Um das Nord-Süd-Gefüge im Direktorium nicht zu gefährden, wobei die nördlichen Vertreter für eine stramme,die Südländer für eine laschere Geldpolitik stehen, fiel die Wahl damals auf Constâncio.

In der Zwischenzeit hat Weber seinen Notenbankjob hingeschmissen und an der Spitze der EZB steht der Italiener Mario Draghi. Und wenn sich die Spanier nach der ungeschriebenen Regel durchsetzen, laut der die vier „großen“ Euroländer Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien immer im sechsköpfigen Führungsgremium der Europäischen Notenbank vertreten sind, während sich die „kleinen“, die beiden anderen Posten turnusgemäß teilen, droht wieder das Nord-Süd-Gefüge aus der Balance zu geraten. Denn mit dem Spanier Vicuña wären der Italiener Draghi, der Portugiese Constâncio und der Franzose Benoît Cœuré als Südländer gegen den Deutschen Jörg Asmussen und den Belgier Peter Praet in der Mehrzahl. Für Mersch als Direktoriumsmitglied sprechen: das AAA-Rating Luxemburgs, seine geldpolitische Haltung, sowie seine langjährige Erfahrung. Denn dass außer Deutschland kein AAA-Staat im höchsten EZB-Gremium vertreten ist, gefällt beispielsweise den Niederländern nicht, deren Finanzminister Jan Kees de Jager kürzlich sagte, er bevorzuge Kandidaten geldpolitisch nordeuropäischen Schlages. In diese Schablone passt Mersch genau. Er gilt als geldpolitischer Falke, für den die Inflationsbekämpfung einzige Aufgabe und damit oberste Priorität der EZB ist. Immer wieder spricht er sich vehement gegen ein verstärktes Eingreifen der Zentralbank in die Euro-Schuldenkrise ein. Damit hält er den Deutschen treu die Linie, deren Vertreter bei der EZB aus Protest gegen die, in ihren Augen inflationsfördernden und von Trichet eingeleiteten Ankäufe von Staatsanleihen insolventer Eurostaaten zurücktraten. Was Mersch deutsche Medien seit vergangenen Freitag mit großer Fürsprache danken und ihn quasi ins Amt loben. Ob sich Merschs Ruf als Hardliner diesmal für, statt gegen ihn auswirkt oder ob ihn genau das im politischen Kuhhandel zwischen Falken und Tauben sowie zwischen großen und kleinen Ländern am Ende als Kompromisskandidaten disqualifiziert, bleibt abzuwarten.

Noch gibt es keine formalen und öffentlichen Regierungszusagen für Mersch. Nur gegen ihn. Die Franzosen, selbst keine AAA-Nation mehr, wollen dem Spanier ihre Stimme geben, um das Erbrechtsprinzip im Direktorium aufrecht zu erhalten. Und noch sind weitere Kandidaturen möglich. Am 20. Februar, nachdem die Kandidaten vor dem EU-Parlament Rede und Antwort gestanden haben, wollen die Finanzminister der Eurozone einen Kandidaten auswählen, der beim Frühlingsgipfel Anfang März bestätigt werden soll.

Michèle Sinner
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