Ein Lidstrich. Perfekt gezogen. Lidschatten. Nicht zu knapp. Smokey Eyes. Ein Trend der Saison. Dazu die Erdbeer-Diät, die Eiscreme-Diät und die Iss-soviel-du-willst-und-nehme-im-Schlaf-ab-Diät. Selbstredend auch Tipps für die Partnerschaft, wenn der Ehemann mal wieder muffig ist, wie man den Traumtypen am Strand sich angelt und was die Sterne zum morgigen Tag sagen. Eine Blaupause für ein Frauenmagazin, nach der auch Laviva gestrickt ist – eines der erfolgreichsten Frauenmagazin Deutschlands in den letzten Jahren, auch wenn die verkaufte Auflage von knapp einer halben Millionen auf rund 370 000 Exemplare zurückgegangen ist. Das Erfolgsrezept war denkbar einfach: Laviva startete mit 60 Cent am Kiosk und der Ladentheke, heute kostet das Magazin einen Euro. Zu haben ist es prominent in den Läden und Filialen der Rewe-Gruppe wie Rewe, Nahkauf oder Penny. Produziert wird es vom Hamburger Gruner-und-Jahr-Verlag, der zur Bertelsmann-Gruppe gehört. Der besondere Clou am Heft: Rabattmarken für Produkte aus dem Rewe-Regal – selbstredend passend zu den Themen im Heft. Mit dem Gegenwert der Coupons warb Laviva ganz ungeniert: „60 Cent bezahlen, 60 Euro Rabatt bekommen“, prangte Anfangs auf dem Cover.
Der günstige Verkaufspreis und die vielen Rabattcoupons erklären sich vor allem Dingen dadurch, dass Laviva ein Corporate Publishing-Produkt ist, wie es heute heißt, oder ein Kundenmagazin, wie man diese Hefte früher nannte. Ein Kundenmagazin, mit dem Rewe seine Werbebotschaften seiner Lieferanten ungeniert an die Frau bringt. Hübsch verpackt mit wertvollen Beautytipps und Modetrends. Kein Ding nur für Frauen: Um Männer bemühen sich meist Automobil-Konzerne – nicht weniger platt: Statt Glockenrock gibt es eine Winterjacke, statt Seelenmassage der Traum vom schnellen, coolen, schier unbezahlbaren Luxusvehikel. Mit Schiebedach, vierfachem Auspuffrohr und einem Spritverbrauch jenseits des Heizöltanks. Hier setzen Coupons Kaufanreize für Fußmatten, Tuningzubehör oder verlocken zum nächsten Werkstattbesuch.
Unternehmen, Verbände und Organisationen haben einen Zweck oder einen Inhalt im Sinne eines Produkts, eines Anliegens oder einer Dienstleistung. Dieser Inhalt wird auf der Metaebene zum Content, in dem er um Emotionen aufgeladen, um Sinnhaftigkeit bereichert und um Notwendigkeit ergänzt wird. Erst durch den Content wird der Inhalt für Kunden zum begehrenswerten, erstrebenswerten, unbedingt kaufbaren Gut. Heutzutage reicht es nicht mehr aus, zwei Spots im Werbefernsehen zu buchen und vier Seiten in einem Hochglanzmagazin zu schalten, um Aufmerksamkeit für seinen Inhalt zu bekommen. Denn in der Vielzahl der Kommunikationskanäle, derer sich heute der Konsument bedient, braucht es jemanden, der den Überblick behält und die Botschaft vermittelt. Dabei muss der Content für jeden dieser Kanäle eigens und entsprechend aufbereitet werden. Früher waren dazu Marketing und Public Relations getrennte Bereiche und Aufgaben in einem Unternehmen, die im Laufe der 1990-er-Jahre unter das Dach der Unternehmenskommunikation gepackt wurden, die dann zu Beginn des Jahrtausends das Corporate Publishing übernahm, das heute – On- und Offline-Medien verbindend – sich um Content Marketing ergänzt. „Der Trend Content strategisch für die Kommunikation eines Unternehmens oder einer Institution einzusetzen, wurde auch in Luxemburg erkannt“, erklärt Mike Koedinger, „auch wenn der Markt noch viel weniger reif ist als die wichtigen europäischen Märkte wie England und Deutschland.“ Koedinger ist Chef von Maison Moderne. Mit zwanzig Jahren Expertise ist sein Haus wohl die führende Agentur in diesem Segment in Luxemburg. Die Medienfirma sieht im Content Marketing eines ihrer wichtigsten Entwicklungspotenziale.
Es gilt die Werbung – was es im ureigenen Kern ist – recht hübsch zu verpacken. Mit dieser Strategie macht sich Corporate Publishing den Journalismus untertan. Vordergründig. Judith Matz arbeitet bei einer Stockholmer Agentur, die Kommunikationskonzepte, in der Fachsprache „Storytelling“ genannt, für den skandinavischen und europäischen Markt entwickelt. Als gelernte Journalistin versuchte sie zu Beginn der 2000-er-Jahre, bei einer Tageszeitung Fuß zu fassen, was aufgrund der Krise in der Zeitungs- und Zeitschriftenbranche – ausgelöst durch einbrechende Werbeerlöse – misslang. So heuerte sie in einer Agentur an. Erst in Frankfurt am Main, dann in der schwedischen Hauptstadt. „Erste Lernstunde: Texte werden stets vom Auftraggeber freigegeben“, erzählt Matz offen. „Da heißt es dann ganz schnöde, wess’ Brot ich ess, dess’ Lied’ ich sing’.“ Heißt: Der Kunde nimmt Einfluss auf die Berichterstattung und hat das letzte Wort dabei, welches Thema in welchem Umfang und in welcher Art mit welcher Meinung behandelt wird. Das mag bei einem Lippenstift oder einer Zierleiste für den eigenen Pkw sich etwas überambitioniert anhören, doch wenn ein Frauenmagazin in seinen Modeshootings das Schönheitsbild einer magersüchtigen Frau propagiert, dann beginnt die Suche nach der Verantwortlichkeit
Daraus das breite und weite Feld der Medienkritik zu betreten, ist sehr kurz geschritten. Noch kürzer, wenn zwischen gutem und bösem Journalismus unterschieden wird und die Rollen dabei klar verteilt scheinen. Auch Tageszeitungen – wie Zeitungen und Nachrichtenmagazine – agieren unter dem ökonomischen Druck des Anzeigenmarkts und dürfen sich allzu wichtige Inserenten durch überkritische Berichterstattung nicht verprellen. Dem gegenüber steht jedoch der hinterfragende Leser, der sich von seiner Zeitung eine möglichst neutrale Redaktion erwartet, aber mault, wenn der Bezugspreis für eine neutrale, ausgewogene, fundierte und recherchierte Berichterstattung steigt. Die Frage ist, wie viel unabhängigen Journalismus sich eine Gesellschaft leisten kann und wie viel unabhängigen Journalismus sich eine Gesellschaft leisten will.
Ob Corporate Publishing oder Corporate Media: Die Branche ist technologiegetrieben wie keine andere. Es gilt, Trends zu erkennen, zu wissen wie der Konsument morgen ticken wird, welche Webseiten er liest und welche digitalen Angebote er nutzt, nach welchen Produkten er im Netz sucht und in welchen Kreisen er sich tummelt. Hinzu kommen die Megatrends: Stimmen die Prognosen, dass in den kommenden zwei Jahren sich 70 Prozent der Userinnen und User von Facebook abwenden werden? Auf welchen Technologiezug gilt es aufzuspringen, um den Anschluss nicht zu verpassen? Braucht jedes Unternehmen seine App? Und welche Inhalte muss diese bieten? „Ja, alle Welt ist wild auf Apps“, fasst Alfred Harke, Senior Manager bei Arvato, der Bertelsmann-Tochter für CM und CM zusammen. „Aber es geht nicht mehr um die digitale Verlängerung von Magazinen, sondern um eigenständige Formate, die sich mit der Darstellung an ganz unterschiedliche Endgeräte anpassen.“ Marc Koedinger geht noch weiter: „Multichannel-Publishing ist ganz klar der Trend. Inhalte an die Zielgruppe verteilen und das ganz unabhängig vom Kanal. Die Debatte Print versus Digital ist vorüber. Printmedien sind komplementär zu digitalen und sozialen Medien. Schlagwörter sind: Mobile, Suchmaschinenoptimierung (SEO), Video, Digital Print, aber auch natürlich Big Data.“ Alles so schön bunt hier, mag man meinen und ergibt sich in die elektronische Vielfalt der Angebote von Corporate Publishing.
Mike Koedinger kennt jedoch auch die Risiken: „Die größte Gefahr im Corporate Publishing liegt in schlechter Qualität, die meistens dann entsteht, wenn zu billig produziert wird oder einfach kein Vertrauensverhältnis zwischen Auftraggeber und Agentur besteht.“ Judith Matz nähert sich von der Seite des Journalismus: „Die Gefahr besteht, wenn der Journalismus seine Glaubwürdigkeit verliert.“ Corporate Publishing müsse als Corporate Publishing gekennzeichnet sein, so wie sie auch bei Lebensmitteln wissen möchte, was die Zutaten sind. „Ich will mir selber meine Meinung bilden und nicht unterschwellig beeinflusst werden.“ Mike Koedinger teilt diese Kritik: „Besonders bei einem Publikum mit weniger Medienerziehung, kann es natürlich zu einem Missverständnis kommen, wenn der Leser nicht mehr klar unterscheidet zwischen Journalismus und kommerzieller Kommunikation.“
Corporate Publishing ist kommerzielle Kommunikation. Nichts anderes. Aber es unterscheidet sich darin kaum von dem, was von vielen als unabhängiger Journalismus wahrgenommen wird. Denn auch dieser handelt mit einer Ware und verkauft Informationen nur dann, wenn sie einen Nachrichtenwert haben. Es bleibt am Leser oder Konsumenten, diesen Content zu erkennen, einzuordnen und zu bewerten.