Wenn eine Regierung stürzt, dann fallen Projekte mit ihr oder drohen unterzugehen. So geschah das im Sommer 2013 mit dem „Wissenschaftsmuseum Differdingen“: Jean-Claude Juncker persönlich wollte dafür sorgen, dass das damals auf 55 Millionen Euro veranschlagte Vorhaben zu zwei Dritteln aus der Staatskasse finanziert werde, und fast hätte der Regierungsrat dem noch zugestimmt. Doch zwei Tage vor der entscheidenden Kabinettssitzung stürzte Juncker über seinen Geheimdienst.
„Unter der neuen Regierung wurde es erst einmal schwierig für uns“, sagt Nicolas Didier. Er ist der Präsident der Vereinigung, die die Museumsidee aufgebracht hat. Die DP-LSAP-Grüne-Koalition ist dem Projekt gegenüber zunächst nicht nur deshalb skeptisch eingestellt, weil sie es für ein „Juncker-Vorhaben“ hält. Obendrein will sie sparen. 55 Millionen Euro und zwei Drittel davon vom Staat sind ihr zu viel. Obwohl Claude Meisch (DP), der nun Bildungsminister ist, als Differdinger Bürgermeister begeistert von der Idee war und in Aussicht gestellt hatte, sollte die Regierung eine staatliche Finanzierung des Museumsbaus beschließen, könnte die Gemeinde den Rest übernehmen (d’Land, 17.05.2013).
Grund für den hohen Kostenpunkt ist, dass das Konzept „Wissenschaftsmuseum“ nicht einfach einen Neubau auf der Differdinger Hochofenterrasse vorsieht, jener 15 Hektar großen Industriebrache mitten in der Stadt, wo derzeit an der Internationalen Schule, einem Einkaufszentrum und an vielen Wohnungen gebaut wird. Vielmehr soll für das Museum die „Gasmotorenzentrale II“, die im Differdinger Stahlwerk seit 1979 brach liegt, Stein für Stein abgebaut und renoviert wieder errichtet werden.
Der Prunkbau der Industriearchitektur des 19. Jahrhunderts mit seiner gewölbten Decke und den Oberlichtern darin, mit Säulen und Bögen an den Fenstern und bunten Kacheln im Fußboden soll am neuen Standort an die schwerindustrielle Vergangenheit Differdingens erinnern. Vor allem aber soll gemeinsam mit der Halle auch die „Groussgasmaschinn Nr. 11“ verlagert werden. Sie ist der mit Abstand größte der Motoren, die in der Gasmotorenzentrale II mit Hochofengas befeuert wurden und Generatoren zur Stromerzeugung antrieben. Mit 11 000 PS oder acht Megawatt Leistung, was vier modernen Windkrafträdern zusammengenommen entspricht, ist „Nummer elf“ sogar der größte Gasmotor der Technikgeschichte. Auf der Liste der nationalen Kulturdenkmäler steht er schon. Doch weil die Motorenhalle sich auf dem Betriebsgelände des Differdinger Stahlwerks befindet, kommt eine Ausstellung dort nicht in Frage. Die ASBL Groussgasmaschinn, der Nicolas Didier vorsteht und die 2007 begonnen hatte, Geld für den Erhalt des Riesenmotors zu sammeln, erdenkt deshalb ein „Science Center“: ein Museum „über Energie, Energiegewinnung und Energieverbrauch“, mit dem historischen Motor als Mittelpunkt. Spielerisch und interaktiv sollen auch größere Zusammenhänge aus Naturwissenschaft und Technik erläutert werden; eines der Vorbilder ist das Technorama im Schweizer Winterthur.
Heute ist davon keine Rede mehr. Aber Nicolas Didier hält die Version 2.0 des „Science Center“, die in den letzten zwölf Monaten nach und nach entstand, für noch besser als die erste. Die Regierung sah das im Oktober vergangenen Jahres auch so, stufte das Vorhaben als „im nationalen Interesse“ liegend ein und machte eine Finanzierungszusage für die erste Ausbauphase, die Mitte nächsten Jahres fertig sein soll.
„Anstelle eines Museums vor historischer Kulisse und mit Event-Charakter für die breite Öffentlichkeit, schaffen wir eines vor allem für Kinder und Jugendliche“, erläutert Didier. Seien in einem „traditionellen Science Center“ 90 Prozent der Fläche für Exponate und zehn Prozent für Workshops bestimmt, würden im Science Center Differdingen, wie es nun angedacht ist, zwei Drittel für Workshops vorgesehen. Damit will die ASBL helfen, insbesondere den Fünf- bis Zwölfjährigen Technik und Naturwissenschaften nahezubringen, von der Mechanik über Mathe und IT bis hin zur Genetik. „Zu wenige Jugendliche ergreifen einen technischen oder naturwissenschaftlichen Beruf“, sagt Didier, nur 15 Prozent der Hochschulstudenten aus Luxemburg studierten auf diesen Gebieten. Mit dieser Feststellung rannte die ASBL bei der Regierung offene Türen ein.
Der Durchbruch sei aber erst gelungen, „als wir zeigten, wie das Science Center arbeiten wird, wie es wird demonstrieren können, was man sich unter dem Gebiet ,Biologie’ vorstellen kann, weshalb Mathematik gebraucht wird, wie man einen Industrieroboter programmiert, was Elektromagnetismus ist, wie genetische Informationen aus der DNA übertragen werden und so weiter“. 500 verschiedene Stände will die ASBL kreieren – alle aus eigener Fertigung und oft in Zusammenarbeit mit Luxemburger Betrieben. 25 Stände existieren schon. „Damit haben wir die Regierung letztlich überzeugt“, sagt Didier.
Preiswerter wird die neue Planung wohl auch, wenngleich Didier noch keine Zahlen nennt. Aber Arcelor-Mittal kann sich mittlerweile doch vorstellen, die historische Gasmotorenzentrale II der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Würde ein separater Eingang vom Kreisverkehr beim Differdinger Bahnhof aus angelegt, wäre der Stahlkonzern einverstanden mit einer Museums-Enklave auf seinem Werksgelände. Dann müsste Groussgasmaschinn Nr. 11 nicht umziehen und die prunkvolle Halle nicht abgetragen werden. Ein architektonisch-urbanistisches Konzept für das Museum, erstellt von 15 Studenten der Architektenschule Nancy, hat Didier schon vorliegen. Geht alles wie die ASBL es sich vorstellt, könnte das Science Center im Stahlwerk 2022 eingeweiht werden. Sollte der Landessüden dann eine der europäischen Kulturhauptstädte sein, wäre die Eröffnung ein Highlight.
In der Zwischenzeit soll das Science Center in einer verkleinerten Ausgabe schon Mitte kommenden Jahres starten. Mit hundert Experimentier-Ständen und einem separaten Ausstellungraum, die in der ehemaligen Arbed-Berufsschule, der „Léierbud“ schräg gegenüber des Differdinger Stahlwerks aufgebaut werden. Bis dahin tüfteln die ASBL und das Bildungsministerium noch weiter an dem didaktischen Konzept des Science Center: „Wir werden nicht nur den Grundschulbereich abdecken, sondern auch die Sekundarstufe“, sagt Nicolas Didier, „und wir wollen auch die Lehrer inspirieren und ihnen Ideen geben, die sie im Unterricht vertiefen können.“