Zwei Männer, eine übergroße Fliege und ein plan foireux. Endlich. Mandibules, der neue Film von Quentin Dupieux ist da. Unter normalen Umständen hätte dieser Film ‒ nach seiner spätsommerlichen Weltpremiere in Venedig ‒ im Dezember letzten Jahres seinen Weg in die Kinos antreten sollen. Französische Regierung sei Dank waren jedoch die Kinos in Frankreich für mehr als sieben (!) Monate geschlossen und somit auch jegliche Neuveröffentlichungen seitens der französischen Filmlandschaft hierzulande blockiert. Ironischerweise ist es nun am „Film mit der Fliege“, den lang ersehnten retour en salles einzuläuten. Und diese Ironie besteht eben nicht nur darin, dass das Wetter draußen und jenes im südfranzösischen Setting so langsam aber sicher übereinstimmen sollten.
Manu und Jean-Gab sind zwei Slacker, die sich mehr schlecht als Recht durchs Leben hangeln. Ersterer verbringt seine Nächte im Schlafsack am Strand, Letzterer hilft in einer Autowerkstatt aus. Wegen einer (in der Filmgeschichte ansonsten zwielichtigen) Mission, für die Manu aus dem Schlaf gerissen wird, soll ein Koffer mit unbekanntem Inhalt von A (bei Michel-Michel) nach B (ebenfalls unbekannt) gebracht werden. Mit einem Auto. Und mit Koffer im Kofferraum. Selbstverständlich. Ehe Manu seinen langjährigen Kindheitsfreund mit einer Anteilnahme aufgabelt, muss noch ein Wagen geklaut werden. Unterwegs zu Michel-Michel entdecken die beiden die im Kofferraum eingesperrte Fliege in der Größe eines mittelgroßen Hundes. Weniger vom Anblick dieses Insektes überrascht, als genervt von der Tatsache, dass sie so nicht bei Michel-Michel aufkreuzen können, schmieden sie schnell einen neuen Plan. Denn wen interessieren die paar Kröten eines Handlangerjobs, wenn man eine übergroße Fliege dressieren kann, die dann zum Beispiel Banken ausleeren könnte. Aus der Not wird eine phantasmagorische Tugend gemacht und die Barriere der dramaturgischen Chaostheorie à la Quentin Dupieux zum Vorteil an sich gezogen.
Dupieuxs neuer Spielfilm Mandibules läuft Gefahr, gleich auf mehreren Ebenen sein erfolgreichster Film zu sein. Für einen dieser Erfolge wird er jedoch nur bedingt verantwortlich sein können. Denn die Franzosen gelüsten regelrecht danach, wieder ins Kino ‒ die Kunstform, die sie eigenen Aussagen nach selbst erfunden haben ‒ rennen zu dürfen. Und dann das Casting: Das aus Grégoire Ludig und David Marsais bestehende Duo hat sich über Jahre hinweg als publikumswirksames Gespann im Netz etabliert. Der Sprung ins Kino war nur eine Frage der Zeit und findet mit Mandibules künstlerisch einen ersten Höhepunkt. Von Adèle Exarchopoulos und ihrer seit ihrem Durchbruch am spektakulärsten zusammengestellten Rolle gar nicht zu reden. Aber den Cinephilen reicht schon der Name Dupieuxs aus, um den Gang gen Kino anzutreten.
Das Kino feiert seit Beginn Debilität und schwachsinnige Figuren (im Doppelpack), die immer wieder das Publikum auf ihre Seite ziehen. Von Laurel und Hardy über Dumb and Dumber der Farrelly-Brüder ist es nicht sehr weit zu Manu und Jean-Gab. Kreativköpfe, die intelligente Filme über sogenannte Blödsinnigkeit und solche Charaktere machen, sind eher rar. Die Coens (schon wieder ein Duo) sind die konsequente Ausnahme. Deren ganze Filmographie dreht sich eigentlich immer um die Dummheit der Spezies Mensch. Ihre Abhandlungen zu dem Thema werden dabei exklusiv unter dem existenziellen Blickwinkel beleuchtet. Das ist bei Quentin Dupieux anders. Seine Zieheltern sind ganz woanders verankert und in der Essenz bei den Absurden wiederzufinden. Der Vergleich zu Samuel Beckett kommt nicht von ungefähr. Nonfilm hieß der erste Film von Dupieux, Film der einzige von Beckett (wenn es Ufos der Filmgeschichte gibt, dann ist dieser moyen métrage mit Buster Keaton in der Hauptrolle eins). Und so wie die Bühne in En attendant Godot nur sehr spartanisch ausgestattet ist, so zeichnet sich auch Dupieux ‒ vor allem seitdem er im Jahresrhythmus Filme liefert ‒ durch eine ähnliche formale Sparsamkeit aus.
Während sich Mandibules durch seine naive, grenzdebile Fröhlichkeit an einen heranschmiegt, verpasst man fast den Punkt, an dem Dupieux einen mit in den Film reißt. Weil es sind eben nicht Manu und Jean-Gab, die moderne Vladimirs und Estragons werden, sondern die Zuschauer. Diese warten auf ihren dramaturgischen Godot, auf die Antwort nach dem Sinn hinter dem Unsinn. Hinter den infantilen Codes der ewigen Kinder, die die beiden Protagonisten geblieben sind und ad perpetuum bleiben werden, muss es doch einen größeren Sinn geben. Es wäre zu einfach, Dupieux als ewigen Studenten abzustempeln, der herümblödelt und einen exercice de style nach dem anderen abliefert. Hat sich Beckett mit Godot schon die Frage nach dem Sinn von dem ganzen Theater gestellt, so macht es Dupieux genau gleich. Comédie française ‒ was soll eigentlich der Scheiß? Einen Vorteil hat Dupieux gegenüber Beckett auf alle Fälle: Seine Filme sind zum Sich-Bepissen lustig.