Vollendete Tatsachen wollte die vorige Regierung mit dem Finanzierungsgesetz zum Spitalwesen schaffen, das in aller Eile noch kurz vor dem Ende der Legislaturperiode verabschiedet wurde. Das Gesetz, das die finanzielle Beteiligung des Staates an 15 Infrastrukturprojekten auf rund 20 Milliarden Franken festlegt, schreibt einen Kuhhandel, der zwischen dem Bistum, dem Gesundheitsministerium und der LSAP vereinbart wurde, gesetzlich fest. Nach den Parlamentswahlen kommen nun deutliche Zweifel auf, ob alle, sorgfältig nach parteipolitischen, lokalpatriotischen und konfessionellen Kriterien ausgehandelten Vereinbarungen in die nächste Legislaturperiode hinübergerettet werden können. Die neue Regierung wäre imstande, unter dem Einfluß der DP, die gegen das Gesetz gestimmt hatte, den Deal wieder rückgängig zu machen. Neben den Divergenzen, die in Standortfragen (Rehazentrum) zwischen der vorigen Regierung und der früheren Opposition entstanden waren, könnte die Kostendynamik, die durch die Krankenhausplanungen ausgelöst wird, zu einem triftigen Argument für eine Umkehr werden.
Die überbordende Kritik am Finanzierungsgesetz ist in diesem Punkt am deutlichsten: Staatsrat, Commission permanente pour le secteur hospitalier, Krankenkassenunion (UCM) und Wirtschafts- und Sozialrat haben gemeinsam angeprangert, daß über das Finanzierungsgesetz den Krankenhausbetreibern quasi ein Blankoscheck ausgestellt wird: Nur acht der 15 Modernisierungs- oder Neubauprojekte sind bisher im Detail klar und konnten von den beratenden Gremien begutachtet werden; ein aktualisierter Spitalplan, der den Infrastrukturplanungen zugrunde liegen müßte und die Bettenzahl und die Arbeitsteilung zwischen den einzelnen Häusern festlegt, hätte längst verabschiedet werden müssen, befindet sich aber immer noch auf dem Instanzenweg.
Vor allem die Krankenkassenunion ist von dieser falschen Prioritätensetzung betroffen: Sie muß nach dem gesetzlich verankerten Verteilungsschlüssel über die jährlichen Budgets der Krankenhäuser ein Fünftel der Investitionen tragen, ohne an allen infrastrukturellen Entscheidungen beteiligt gewesen zu sein. In ihrem Gutachten zum Gesetzesprojekt nimmt die UCM die Planungspraxis des Gesetzgebers denn auch Stück für Stück auseinander: Die prozedurale Eile mache es unmöglich, die Krankenhauslandschaft schrittweise und im Rhythmus der medizinischen Fortschritte, anzupassen; zudem könnten die Planungs-, Bau- und Betriebskosten bei der Fülle der Projekte, die gleichzeitig in Angriff genommen werden, schnell aus dem Ruder laufen. Eine Aufteilung der Projekte über einen längeren Zeitraum sei vor allem angesichts der Unkenntnis über die Höhe der Fixkosten, die bis zu 70 Prozent der Gesamtkosten eines Krankenhauses ausmachen, anzuraten.
Erste Wellen der Kostenflut hat die UCM in ihren Prognosen für das Jahr 1999 und 2 000 zu spüren bekommen. UCM-Präsident Robert Kieffer machte angesichts drohender massiver Defizite vor allem den Spitalsektor verantwortlich, dem mittlerweile bereits die Hälfte der Ausgaben für medizinische Dienstleistungen zufließen und der die Krankenkassen angesichts der begrenzten finanziellen Beteiligung des Staates am Modernisierungsprogramm, weiter empfindlich schröpfen könnte.
Die Kostendynamik im Krankenhauswesen scheint nicht mehr aufzuhalten, um so mehr da sie auch durch andere Faktoren ständig angetrieben wird: Die Aufwendungen für das Krankenhauspersonal steigen automatisch mit dem Index (und aufgrund der letzten Tarifabschlüsse großzügig); die Logik, nach der Ärzte pro Akt und nicht pro Krankheitsbild bezahlt werden, heizt die Umsätze weiter an, zusätzlich belasten die sich im Zuge des medizinischen Fortschritts und der zunehmenden Veralterung der Bevölkerung abzeichnenden Entwicklungen das Budget. In ihrem Luxemburg-Bericht für 1999 arbeitet die OECD die erwähnten Automatismen klar heraus, und weist darauf hin, daß, trotz erster Ansätze von Qualitätsmanagement, im Luxemburger Krankenhauswesen bisher kaum ein Kostenbewußtsein besteht. Im Gegenteil: "Comme les contrats (entre l'UCM et les hôpitaux, ndlr.) sont négociés sur la base des coûts historiques, le processus actuel peut même pénaliser les prestataires efficients et n'incite guère les prestataires inefficaces à faire des progrès." Krankenhausärzte bestätigen dies und machen gleichzeitig auf die enge Verzahnung zwischen dem Kosten- und dem Qualitätsbewußtsein hin. Die Logik des Systems führt dazu, daß ein Krankenhaus, welches einem Blinddarmpatienten hundert Komplikationen beschert und ihn daraufhin mehrere Wochen stationär behandelt, mehr profitiert, als ein Haus, das eine Hygienekommission einsetzt und strenge Schutzbestimmungen zur Infektionskontrolle erläßt.
Die Folgen des qualitativen und quantitativen Mißmanagements liegen auf der Hand: Werden auf beiden Ebenen Gegenmaßnahmen unterlassen, verhebt sich Luxemburg mittel bis längerfristig finanziell an einem Gesundheitssystem, das in medizinischer Hinsicht letztlich nur Mittelmaß bietet. Vor dem Hintergrund des Decker/Kohll-Erlasses des Europäischen Gerichtshofes gewinnt dieses Problem rasch eine europäische Dimension. Würde dieses Gerichtsurteil, das Patienten bisher im ambulanten Bereich die Möglichkeit bietet, medizinische Dienstleistungen europaweit nachzufragen (und von der Luxemburger Kasse zurückerstattet zu bekommen) auch im stationären Bereich Anwendung finden, könnten die Luxemburger Krankenhäuser unter massiven Druck von grenznahen ausländischen Häusern geraten, die nicht nur kostengünstigere, sondern auch qualitativ bessere Leistungen anbieten (könnten). Krankenhausökonomen weisen daher eindringlich darauf hin, daß man mit einer Politik der Abschottung, durch die auf der Ebene der Krankenhäuser Informationen über die finanzielle und medizinische Effizienz zurückgehalten werden und politisch die ausländische Konkurrenz banalisiert wird (die vom Ministerium für soziale Sicherheit einberufene Kommission zum Decker/Kohll-Urteil tagte nicht ein einziges Mal) die Zukunft verpaßt. Das Luxemburger Überangebot an Krankenhäusern würde in diesem Sinne weniger durch die Kostenexplosionen im Gesundheitssektor bedroht die in einem reichen Land wie Luxemburg im Verhältnis zum hohen BSP noch immer zu verdauen wären (1997: 7,1 Prozent) , sondern durch die zunehmende Erkenntnis der Patienten, die vor wissenschaftlich-organisatorischen Rückständen ins Ausland flüchten notfalls privatversichert.
Soll Luxemburg sich demnach auf eine Basismedizin beschränken und dem Rat von provokanten Kritiker folgend schwere chirurgische Eingriffe generell ins Ausland verlegen, da die bescheidene Zahl der Operationen, die in Luxemburg pro Pathologie durchgeführt werden, unverantwortbar sind gegenüber dem damit entstehenden Risiko und dem finanziellen Aufwand? Eine Schocktherapie, die die bestehende Fülle an (kleinen und kleinsten) Krankenhäusern nach quantitativen und qualitativen Kriterien neu sortieren würde, käme den einheimischen Patienten wohl gelegener. Diese würde allerdings auf allen Ebene tiefgreifende strukturelle Änderungen voraussetzen. An erster Stelle wäre eine Abkehr von der klientelistischen Organisation der Krankenhäuser nötig, die nicht nur bei der Infrastrukturplanung, sondern auch bei der internen Verwaltung der einzelnen Häuser zum Ausdruck kommt. Vor allem in den fünf Häusern kommunaler Trägerschaft überwiegen bei der Einstellungs- und der Anschaffungspolitik lokalpolitische Motive oft vor medizinisch-fachlichen Erwägungen. Die Förderung von Seiteneinsteigern, die nach der Universität im Ausland an größeren Anstalten eine Reputation erworben haben, wird dabei des öfteren zurückgestellt.
Ein grundlegender Mentalitätswechsel ist auch bei der Arbeitsteilung zwischen den einzelnen Krankenhäusern nötig. Der Spitalplan versucht diese relativ rabiat durchzusetzen, in dem er einzelnen Häusern die Zulassung für spezielle Dienste und damit die Finanzierung von spezifischen medizinischen Apparaturen verweigert (darunter leidet vor allem die Zitaklinik, die vor dem Verwaltungsgericht klagt und nun auf DP-Sukkurs hofft; Plädoyers am 20. September); etwas verträglicher könnte die Idee eines nationalen runden Tisches sein, der, unter Führung einer etwas dirigistischeren Krankenkassenunion, Kooperationsfelder und Spezialisierungen absteckt. Bisher, so bemängelt auch der Collège médical ausdrücklich, deutet nichts darauf hin, daß die Synergien in der Region Zentrum und Süden, auf denen das Spitalmodernisierungsprogramm beruht, zum Tragen kommen.
Das Gremium bedauert insbesondere, daß die Kooperation zwischen dem Hôpital de la Ville d'Esch und der Clinique Sainte Marie sowie zwischen den privaten Kliniken der Hauptstadt nicht zustande kommt. Auch bei den Spezialisierungen tobt immer noch ein sinnloser Konkurrenzkampf zwischen den Häusern, der dazu führt, daß quasi alle nicht immer ausreichend qualifiziert die gesamte Bandbreite der chirurgischen Eingriffe und medizinischen Behandlungen anbieten und sich kaum in eine Richtung spezialisieren (bei der Behandlung der Volkskrankheit Diabetes sind die Kompetenzen beispielsweise heillos verstreut). In der Folge bilden sich in den kleineren Kliniken auch keine Fachabteilungen heraus, die durch einen permanenten Austausch mit universitären Partnern den Rückstand auf das Ausland aufholen würden und eventuell sogar auf die Großregion ausstrahlen könnten.
Letztlich würden durchgreifende Reformen auch das Entscheidungssystem im Gesundheitsbereich berühren. Der Krankenkassenunion müßte sicherlich bei Infrastrukturentscheidungen ein stärkeres Mitentscheidungsrecht eingeräumt werden. Zu dieser Aufwertung der UCM gehört auch eine strengere finanzielle Kontrolle der Krankenhäuser und eine grundlegende Diskussion über die schizophrene Rolle der Gewerkschaften im Krankenkassensystem. Die Koalitionsverhandlungen, in denen diese Woche über die Zukunft der Sozialversicherung beraten wurde, bieten die Gelegenheit, über eine nützlichere Aufteilung der ministeriellen Ressorts zu beraten, die diesen Strategiewechsel verdeutlichen würde: Eine Zusammenlegung von Gesundheits- und Sozialministerium würde den nötigen Überbau zu einer Kosten- und Qualitätsreform bilden und zwischen der UCM, die mit vielem Aufwand die Kostenstruktur der Krankenhäuser analysiert und dem Gesundheitsministerium, das auf dieser Basis Zukunftsentscheidungen treffen soll, eine direkte Verbindung herstellen.