Als vom Facebook-Skandal um Cambridge Analytica noch nichts ruchbar war, schoben die Richter des Europäischen Gerichtshofs bereits einen Riegel vor: Sie untersagten dem österreichischen Datenschutz-Aktivisten Max Schrems eine national gebündelte Sammelklage gegen die Internetplattform mit Sitz in Irland – wohl aber gestanden die Richter in Luxemburg zu, dass gegen Facebook auch in Österreich geklagt werden kann. Schrems hatte sich in seiner Heimat mit einer Sammelklage an die Justiz gewandt, um Verstöße gegen österreichische, irische und europäische Datenschutzregeln ahnden zu lassen. Er forderte bereits damals festzustellen, dass bestimmte Vertragsklauseln von Facebook unwirksam seien. Darüber hinaus verlangte er für sich und weitere Nutzer die Unterlassung der Verwendung von Daten. Die Klage gegen den internationalen Konzern sei in jedem Land der Europäischen Union möglich, beschieden die Richter, doch eine Sammelklage könne es nicht sein. Jeder müsse für sich den Rechtsweg beschreiten.
Dabei hatte EU-Justizkommissarin Vera Jourova Ende vergangenen Jahres angekündigt, vor europäischen Gerichten zumindest Gruppenklagen geschädigter Konsumenten zuzulassen: eine Erfahrung aus dem Diesel-Skandal um den Volkswagen-Konzern. Nun liegt der Entwurf vor, in dem die Kommissarin das Wort „Sammelklage“ tunlichst vermeidet. Sie nennt das neue juristische Instrument gerne „Gruppenklage“. Denn in der Kommission besteht Einigkeit darüber, dass nicht einer Klage-Industrie nach US-Vorbild der Weg geebnet werden soll. In den USA machen Großkanzleien mit Sammelklagen auf Schadenersatz den ganz großen Reibach. Dabei treten zunächst geschädigte Verbraucher ihre Rechte an Anwälte oder Kanzleien ab, die dann in Vorleistung gehen, die Klage durchfechten und im Erfolgsfall ein stattliches Honorar kassieren. So auch im Dieselskandal: Während die rund 500 000 davon betroffenen VW-Kunden in den Vereinigten Staaten bereits eine finanzielle Entschädigung von mehreren tausend Dollar bekommen haben, sahen die mehr als 8,5 Millionen Kunden in Europa bislang nicht einen einzigen Cent. Hier bietet der Wolfsburger Konzern lediglich ein Software-Update für die betroffenen Diesel-Fahrzeuge an.
In vielen Mitgliedstaaten der EU sind Sammelklagen nicht zulässig. Auch in Deutschland nicht. Dennoch versucht derzeit die deutsche Niederlassung der US-amerikanischen Anwaltskanzlei Hausfeld, in der Causa Volkswagen eine Sammelklage nach US-Muster durchzuziehen. Im Auftrag von mehr als 15 400 geschädigten Kunden fordert die Kanzlei beim Landgericht Braunschweig insgesamt 358 Millionen Euro Schadenersatz. Offiziell tritt die Firma „My Right“ als Kläger auf. Finanziert wird die Sammelklage durch den britischen Prozessfinanzierer Burford Capital. Der kassiert – im Erfolgsfall – eine Provision von 35 Prozent. Was am Ende des Verfahrens und nach Abzug aller Kosten übrig bleibt, soll an die vertretenen VW-Kunden ausgezahlt werden. Die Kanzlei vertritt seit Anfang April auch VW-Kunden aus Slowenien in einer Sammelklage gegen den Konzern. In Italien will ein Verbraucherverband 400 Millionen Euro Schadenersatz von Volkswagen erstreiten.
EU-Kommissarin Jourova will nun auch „qualifizierte Institutionen“ – wie Verbraucherschutz-Verbände – berechtigen, künftig in der gesamten EU stellvertretend für Geschädigte auf Unterlassung oder Schadenersatz klagen zu können. Dazu benötigen sie, so die Pläne der Justizkommissarin, kein Mandat, sondern können selbstständig Klagen anstrengen. Allerdings dürfen die Organisationen nicht profitorientiert sein und müssen die Finanzierung durch Dritte offenlegen und von einem Gericht absegnen lassen. Der Entwurf aus Brüssel unterscheidet überdies zwischen einfachen Fällen, in denen viele Verbraucher ähnliche Interessen verfolgen, und komplexeren mit unterschiedlichen Gemengelagen aufseiten der Kläger. In diesen Fällen sollen europaweite Sammelklagen nur bedingt einsetzbar sein. „Wir haben die besten Verbraucherschutzgesetze der Welt“, so Vera Jourova gegenüber der Tageszeitung Der Tagesspiegel, „aber die Durchsetzung muss schlagkräftiger werden.“ Das Ziel müsse sein, „dass die Konzerne zweimal nachdenken, bevor sie betrügen“.
EU-Parlament und Mitgliedstaaten müssen dem Vorschlag noch zustimmen, und schon regt sich Widerstand dagegen. Deutsche Industrieverbände bemängeln, die Anforderungen an die gemeinnützigen Verbände seien zu gering, und sehen die Waffen – etwa im Hinblick auf die Beweisdokumentation – ungleich verteilt. Der Entwurf gebe dem Kläger quasi ein Schwert in die Hand, argumentiert der Jurist Christoph Baus auf der Rechtsplattform Juve, „während die Unternehmen mit einem Küchenmesser ausgestattet sind“. So könnten Unternehmen beispielsweise verpflichtet werden, belastendes Material offenzulegen.
Bis das Vorhaben greift, werden allerdings in der EU noch viele Urteile gesprochen werden. Letzten Endes kommt der Vorstoß der EU-Kommission für VW-Kunden und Facebook-Nutzer zu spät. Bei den derzeitigen Skandalen.