Kino

Männliche Herrscher waren gestern

d'Lëtzebuerger Land vom 01.02.2019

Wer ein konventionelles Kostümdrama und einen der üblichen Historienschinken erwartet, wird definitiv enttäuscht. Giorgos Lanthimos, dessen Spielfilm The Lobster 2015 den Europäischen Filmpreis erhielt, überrascht mit The Favourite auf der ganzen Linie. Die Kritik überschlägt sich fast unisono im Lob. Der Film, der 2018 im Rahmen der Filmfestspiele von Venedig uraufgeführt wurde, ist dieses Jahr für zehn Oscars nominiert, darunter für den besten Film und die beste Regie.

Nicht surrealistisch, wie in seinen letzten Filmen, sondern pompös inszeniert Lanthimos das englische Königshaus im 18. Jahrhundert, an dem eine bettlägerige und launische Queen Anne (Olivia Colman) regiert und ohne den Rat ihrer engsten Vertrauten Lady Sarah (Rachel Weisz), Herzogin von Marlborough, kaum fähig ist, eigene politische Entscheidungen zu treffen. Der griechische Regisseur, der seine Karriere am Tanztheater begann, zeichnet den Hof opulent. Die gefüllten Tafeln, an denen Gelage stattfinden, die prunkvollen Einrichtungen und die prächtigen barocken Kostüme vermitteln Dekadenz. Rund 15 Millionen Dollar kostete die Produktion des Films, der auf einem Drehbuch von Deborah Davis und Tony McNamara beruht. Gezeigt werden Gänserennen, Taubenschießen, üppige Gelage als barocker Augenschmaus aus ungewöhnlichen Blickwinkeln. Die Kameraführung unterstreicht das weibliche Macht- und Ränkespiel, in dem zwei Frauen um die Gunst der Königin buhlen.

Lady Sarah, gespielt von einer starken Rachel Weisz, ist an der Seite der Königin die eigentliche Herrscherin. Sie zieht die Strippen, weiß die wankelmütige Queen Anne, die sich mit Gichtanfällen und Depressionen im Bett wälzt, bei Laune zu halten und teilt mitunter mit ihr das Bett. Ein ungleiches und eingespieltes Duo, dessen Welt durch die Ankunft von Sarahs Cousine Abigail (Emma Stone) ins Wanken gerät. Abigail, die einst ihren Adelstitel verlor, weil ihr Vater ihn im Suff verspielte, wird alles daransetzen, um sich am Hof hochzudienen. Aufmerksam beobachtet sie das Verhältnis der Königin und ihrer Vertrauten, um sich die Gunst der Queen zu erschleichen. Sie wird mit ihr und ihren Maskottchen (17 Kaninchen für 17 verlorene Kinder) spielen und sie nach Kräften umgarnen, um sich den eigenen sozialen Aufstieg und am Ende Macht zu sichern.

„Wollen Sie mich verführen oder vergewaltigen?“, fragt Abigail abgeklärt einen Lord vom Hof, der sich in ihre Kammer schleicht, und als dieser antwortet „Ich bin ein Gentleman“, schließt sie resolut: „Dann also Vergewaltigung!“ In ihrer Hochzeitsnacht wird sie ihren Ehemann routiniert mit der Hand befriedigen, um dabei konzentriert darüber nachzudenken, wie sie ihre Konkurrentin ausschalten kann.

Es sind kluge, wenngleich durch und durch intrigante und berechnende Frauen, die in Lanthimos’ Historiendrama die Geschicke am Hof leiten. Männer spielen hier nur Nebenrollen und wirken in ihrer Ausstaffierung und mit den überdimensionalen Perücken wie eitle Narren. Allein die drei starken Frauen bekommen Konturen und schaffen es, durch ihr nuanciertes (Schau)spiel plastisch zu werden. Die Stärke und zugleich Zerbrechlichkeit, die das Drehbuch den drei Frauenfiguren verleiht, wissen diese mit Niveau zu verkörpern.

Als Soundtrack zu dem barocken filmischen Gemälde, in dem einfach alles zu stimmen scheint, läuft Händel, Vivaldi oder Bach. Falls The Favourite bei der Oscar-Verleihung für seine Darstellerinnen, sein Drehbuch und/oder seine Kameraführung ausgezeichnet wird, dann zu Recht; denn der Blick ist differenziert und im Vergleich zu den Hunderten Kostümfilmen, die in der Filmgeschichte gezeigt wurden, nicht nur hochästhetisch, sondern erfrischend anders. Anina Valle Thiele

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