Und dann brach der Frühling wie ein Jubelschrei über die Wälder um die Mattisburg herein ... und Ronja Räubertochter zog in den Wald für ihren Frühlingsschrei. Zumindest in Europa kennt fast jedes Kind die Geschichten von Ronja Räubertochter, den Brüdern Löwenherz, Karlsson vom Dach oder Mio, mein Mio. Mit einer Gesamtauflage von rund 160 Millionen Büchern zählt Astrid Lindgren wohl zu den bekanntesten Kinderbuchautorinnen weltweit.
Wie aber wurde das Mädchen, das auf dem Lande im südschwedischen Småland aufwuchs, zu der Berühmtheit? Biopics sind stets eine Gratwanderung zwischen biografischen Fakten, Effekt und Fantasie. Dass Becoming Astrid trotz eines recht seichten Drehbuchs kein triefend kitschiger Arthouse-Film geworden ist, liegt vor allem an Alba August, die die junge Astrid Lindgren mit Leidenschaft verkörpert. Staunend folgt man dem Energiebündel, wie es im Schweden der 20er Jahren mit seinen Geschwistern auf die Felder zieht, die Predigten des Pfarrers in der Kirche fantasievoll umdeutet und schließlich in das Büro des Verlegers Blomberg (Henrik Rafaelsen) hineinschlittert, wo das Bewerbungsgespräch aus reinen Assoziationsfetzen besteht: „Zukunft?“, sagt Blomberg, „Freiheit!“, trällert Astrid, bevor sie sich beim Frisör die Zöpfe abschneiden lassen wird, in den Händen eine Illustrierte mit Aufnahmen der „Neuen Frau“.
Freilich sind vor allem die Dialoge mit dem dandyhaften Verleger Blomberg etwas klischeehaft geraten: „Du bist glänzend, gib mir was von Deinem Glanz ab!“, sagt der etwa, bevor er sie vernascht. Gerade die Episoden zwischen Blomberg und der minderjährigen Sekretärin wirken recht abgeschmackt. Doch Regisseurin Pernille Fischer Christensen verleiht ihrer Hauptfigur genug Charakter, um selbstbestimmt aus der Lolita-Beziehung auszubrechen. Ihr Verhältnis mit dem deutlich älteren verheirateten Mann und ihre Schwangerschaft sind vor allem für ihre Familie ein Skandal. Denn das Land, das ihre Familie beackert, ist Pachtland der Kirche. Astrids Mutter (Maria Bonnevie) blickt ihre sture Tochter stets mit steifen Kragen und monotoner Miene, weit aufgerissene Augen, an. So als könne sie nicht glauben, was für eine Teufelsbrut sie da in die Welt gesetzt hat. In Dänemark wird Astrid schließlich anonym ihren Sohn Lasse zur Welt bringen und die ersten Jahre von einer Leihmutter aufziehen lassen, bis sich der Abteilungsleiter des Automobilclubs, für den sie arbeitet, in sie verliebt und sie sich in seine Arme flüchtet.
Was frei an der Biografie Lindgrens inspiriert scheint, wird gegen Ende dann leider doch recht schmonzettig. Vor allem die Szenen zwischen Astrid und ihrem Sohn sind auf Effekt angelegt. Es rührt einen zwar, wenn sie die verlorene Bindung zu ihrem – nach drei Jahren entfremdeten – Sohn wiederherstellt, indem sie beginnt, ihm Geschichten zu erzählen, doch wenn am Ende ihre Familie versöhnt mit ihr und dem kleinen Jungen um den großen Tisch am Bauernhof sitzt und Waffeln isst, ist das Bild zu kitschig – und ein Kontrast zum Stil Astrid Lindgrens!
Es wirkt, als wolle Regisseurin Christensen dem Zuschauer ein Stück heile Welt mitgeben und damit einen Teil der Welt, die Astrid Lindgren Kindern zu vermitteln vermochte. Am Anfang wie gegen Ende des Films sieht man so die gealterte Autorin (von hinten) am Schreibtisch sitzen und ihre Post öffnen. Es sind Geburtstagsglückwünsche von Kindern aus aller Welt: „Ich frage mich, wieso Du so gut darüber schreiben kannst, ein Kind zu sein“, schreibt ein Junge ihr. Becoming Astrid liefert keine Antworten auf diese Frage, aber Alba August als lebenshungrige Astrid Lindgren verzaubert die Zuschauer, indem sie diese auf die unwirtlichen Felder Smålands entführt, in eine raue, märchenhafte Welt, in der die Geschichten der Brüder Löwenherz entstanden.