Doctor Sleep von Regisseur Mike Flanagan beruht auf Stephen Kings gleichnamigem Roman und ist als Fortsetzung des Films Shining von Stanley Kubrick aus dem Jahr 1980 angelegt. Kubricks Film gilt als Klassiker des modernen Horrorfilms. In seinem Mittelpunkt steht der alkoholabhängige Jack Torrance (Jack Nicholson), der allmählich dem Wahnsinn verfällt und Frau und Kind angreift. Der Zuschauer blickt in die Hölle einer kranken Existenz. Für Jacks Sohn Danny, der übernatürliche Fähigkeiten besitzt, geht es um die Begegnung mit dem väterlichen Bösen, die tiefe in ihm Spuren hinterlässt. In Shining ist besonders die Instanz bedroht, die vor allem im amerikanischen Kino für die bürgerliche Existenz von so zentraler Bedeutung ist: die Familie. Und wie kann man vor den Schrecken der Welt noch sicher sein, wenn der Schrecken sogar aus dem Innern der Familie herrührt? So gesehen, konnte jeder zur tödlichen Bedrohung werden.
In der Fortsetzung leidet der nun erwachsene Danny Torrance (Ewan McGregor) immer noch unter den traumatischen Ereignissen, die sich damals im Overlook Hotel abspielten. Er betrachtet sich im Spiegel, als ob das Böse nun auch dort zu finden sei. Wie einst sein Vater, ist auch er zum Alkoholabhängigen geworden und sucht nach einem Sinn in seinem Leben. Er ist, kurz gesagt, nur noch ein Schatten seiner selbst. Es scheint, als wisse dieser gealterte Danny mit sich selber nichts rechtes mehr anzufangen. Als sich sein Weg mit dem der jungen Abra (Kyliegh Curran) kreuzt, muss er feststellen, dass sie seine Begabung, das Shining, teilt. Doch Abra befindet sich in äußerster Gefahr, denn eine gnadenlose Sekte, angeführt von der mysteriösen Rose the Hat (Rebecca Ferguson), ist hinter ihrem Shining her, den sie als Lebenssaft braucht ...
Wer weder die Literaturvorlage noch den Vorgängerfilm kennt, wird vermutlich seine Probleme haben, Doctor Sleep zu folgen. Der Film setzt ein gewisses Maß an Vorwissen voraus, da er Elemente aus Kings Roman und Kubricks Verfilmung frei kombiniert. Der Film versucht aber auch, neben einer Portion Humor so etwas wie die Rückgewinnung der mit Shining verlorenen gegangenen Geborgenheit zu entwickeln, die zwischen Danny und Abba erwächst. Doctor Sleep gibt die Situation des huis clos aus dem Vorgängerfilm auf und ist dafür eher nach den Gesetzmäßigkeiten eines Verfolgungs-Thrillers quer durch die Vereinigten Staaten inszeniert. Unter seinen verteilten Erzählsträngen und dem ständigen Fokuswechsel auf unterschiedliche Figuren leidet der Film allerdings. Ewan McGregor schafft es zwar, die ihm auf genuine Weise anhaftende Sympathie für die Anbindung an seine Figur nutzbar zu machen, doch das Motiv seiner Heldenreise bleibt fragwürdig. Das Schicksal jedenfalls ist so vorhersehbar, wie es für ihn unabwendbar ist. Und so muss die Reise dann auch, kaum verwunderlich, an den Ort zurückführen, an dem alles begonnen hatte. Im letzten Drittel erweist Regisseur Mike Flanagan (Ouija, 2015; Oculus, 2013) Kubrick seine Reverenz, aber Flanagan erschöpft sich nicht nur an filmischen Verweisen, sondern versucht beides – den visionären Stil Kubricks und seine eigene Bildsprache – zusammenzuführen. Daraus gelingt ihm ein über weite Strecken visuell reizvolles Abenteuer. Aber es ist das Gewicht des Vorgängerfilms, das gleichsam unentwegt über dieser Fortsetzung liegt. Wie angeführt, war Shining hinsichtlich der Angst-auslösenden Affekte a priori auf einem Superlativ aufgebaut – und Superlative lassen sich bekanntlich nicht steigern. Mit Blick auf die Logik einer Fortsetzung, dem Ausbauen und Vertiefen der schon bekannten Charaktere, dem Wiederaufgreifen der ursprünglichen Themen, hat Doctor Sleep wenig zu bieten. So wirkt er eher wie eine Kopie bekannter Muster, die sich in den Schatten eines regelechten Meisterwerkes stellen muss, zitiert dieses ausgiebig, ohne es jedoch zu erreichen. Doctor Sleep ist ein mäßig spannender Horrorfilm, aber auch eine Fortsetzung, die man nicht braucht.