Meere düngen, Wolken aufhellen, Wälder verkohlen oder Jalousien in den Weltraum hängen: neue Großtechnologien sollen die Erderwärmung aufhalten. Umweltschützer warnen vor unkalkulierbaren Risiken.
Deutschland bangt um Polareis und Regenwälder, Russland hätte es gerne ein paar Grad wärmer, die USA finden, China solle nicht so viel CO2 in die Atmosphäre pusten, Indien sieht nur die Industrieländer in der Pflicht, und wieder andere halten die ganze Erderwärmung bloß für einen PR-Schmäh der Atomindustrie. Der gescheiterte Klima-Gipfel von Kopenhagen oder das jüngste Gemurkse in Cancún erwecken nicht den Eindruck, dass internationale Verhandlungen eine rasche Verringerung der Treibhausgase erreichen könnten. Daher nehmen Forderungen zu, nicht auf eine globale Einigung zu warten, sondern das Problem ruckzuck durch Geo-Engineering zu lösen: Einzelne Länder oder auch Unternehmen sollten mit großtechnischen Umwelt-Manipulationen das Weltklima im Alleingang retten.
Dass Menschen das Klima verändern können, beweisen trockengelegte Sümpfe und abgeholzte Wälder. Aber können sie das auch gezielt und gleich für die ganze Erde? Lange wurden derartige Überlegungen als hirnrissige Science-Fiction abgetan. Als zum Beispiel Edward Teller, der Vater der Wasserstoffbombe, in den 1970er Jahren nicht nur an Atombomben für den Staudammbau tüftelte, sondern auch über Wetter-Beeinflussung nachdachte, nahm das kaum jemand ernst. Sowjetische Pläne, die Beringstraße abzuriegeln, um das Eis der Arktis zu schmelzen und Sibirien wohnlicher zu gestalten, wurden ebenso gestoppt wie Versuche, die Flüsse Russlands vom Süden in den Norden umzuleiten.
Nun bemühen sich besonders amerikanische und britische Wissenschaftler, Geo-Engineering salonfähig zu machen. Als erster Durchbruch gilt ein Bericht der Royal Society vom Herbst 2009: Die Londoner Wissenschaftsakademie forderte, zehn Prozent des britischen Klima-Forschungsbudgets für Technologien zur Klima-Veränderung einzusetzen. Die englische Regierung genehmigte immerhin ein Drittel davon, bis zum Jahr 2012 knapp 3,5 Millionen Euro. Jetzt wird die Menschheit mit neuen Abkürzungen traktiert, die für die beiden Hauptansätze des Geo-Engineering stehen: SRM und CDR.
Das „Sonnenstrahlungsmanagement“ (SRM) soll von der Erde mehr Licht zurück in den Weltraum reflektieren, um die weltweite Durchschnittstemperatur zu senken. Dazu könnte man zum Beispiel Dächer und Straßen weiß anmalen oder Wüsten mit Plastikfolien abdecken. Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen schlägt vor, die Stratosphäre mit reflektierenden Schwefel-Partikeln anzureichern, also sozusagen Vulkanausbrüche nachzumachen. Intellectual Ventures, die Firma eines Ex-Microsoft-Chefs, weiß auch schon, wie das gehen soll: mit Flugzeugen, Heißluftballons oder 25 Kilometer hohen Schornsteinen. Microsoft-Gründer Bill Gates fördert derweil Projekte, die von Schiffen aus Meerwasser-Tröpfchen in die Atmosphäre sprühen. So sollen einmal große Teile der Ozeane mit hellen Wasserdampf-Wolken bedeckt werden.
Warum die Sonnenstrahlen nicht gleich im Weltraum aufhalten? Roger Angel von der Universität Arizona will 16 Billionen kleine Scheiben hinausschießen und ein riesiges Sonnensegel schaffen; allerdings müssen die Kanonen dafür noch entwickelt werden. Schwefel- und Wasserdampf-Technologien gelten dagegen bereits als praktikabel und vergleichswei-se preiswert. Sie würden knallbunte Sonnenuntergänge bewirken, aber auch den blauen Himmel verschwinden lassen und die Besitzer von Solardächern verärgern. Weitere Nachteile könnten saurer Regen, Schäden der Ozonschicht und Veränderungen der globalen Wasserkreisläufe sein. SRM würde zwar die Erwärmung bremsen, nicht aber die weitere Zunahme von CO2 – niemand weiß, wie eine kalte Welt mit verschmutztem Himmel aussehen würde.
„Kohlendioxid-Entfernung“ (CDR) soll nicht nur an Symptomen herumdoktern, sondern Treibhausgase aus der Atmosphäre filtern, zum Beispiel mit künstlichen Bäumen. Das soll die vorindustrielle Klima-Situation wieder herstellen. Bislang gab es bereits rund ein Dutzend Experimente, in den nährstoffarmen Polargewässern das Wachstum von Algen zu fördern, um CO2 zu binden. Peinlich war besonders das Lohafex-Projekt, bei dem das deutsche Forschungsschiff Polarstern zehn Tonnen Eisensulfat über 300 Quadratkilometer des Südatlantik verstreute: Zum einen hatte kurz davor eine Uno-Konferenz in Bonn aus Sorge um die maritimen Nahrungsketten ein Moratorium für Ozean-Düngung beschlossen. Zum anderen stellte sich heraus, dass zwar Algen aufblühen, sie aber gleich von Flöhen gefressen werden, die das CO2 umgehend wieder freisetzen.
Das vom Ölkonzern Shell gesponserte „Oxford Geoengineering“-Programm will lieber von Schiffen Kalk rieseln lassen, um das im Wasser gelöste CO2 zu binden und die zunehmende Versauerung der Ozeane zu stoppen. Andere Forscher haben allerdings ausgerechnet, dass man für nennenswerte Effekte die gan-zen Dolomiten ins Meer schmeißen müsste. Unklar ist auch, was mit dem beim Kalkbrennen anfallenden CO2 geschehen soll.
Andere CDR-Anhänger setzen auf „Biokohle“. Firmen wie Carbon Gold oder Pacific Pyrolysis wollen Holz bei wenig Sauerstoff verschwelen und die so entstehende Holzkohle mitsamt dem darin gebundenen CO2 in den Boden pflügen. Das soll gleichzei-tig auch düngen. Nach Ansicht des Briten Craig Sams würden 2,5 Prozent der Welt-Agrarflächen für Plantagen schnellwachsender Hölzer genügen. Oder nehmen wir einfach den Regenwald? Das deutsche Unternehmen CS-Carbonsolutions beteuert, nur Abfall-Biomasse zu Filtern, Reifenzusätzen oder anderen Kohle-Produkten verarbeiten zu wollen. CDR-Techniken verursachen weniger internationale Streitigkeiten als das Management des Sonnenlichts; andererseits gelten sie als langwieriger, schwieriger und teurer, und aus juristischer Sicht handelt es sich schlicht um vorsätzliche Wasser- oder Bodenverschmutzung.
Kritiker, wie zum Beispiel die ETC-Group, sehen in Geo-Engineering vor allem den Versuch, Anstrengungen zur Reduktion von Treibhausgasen zu sabotieren. Sie warnen vor unvorhersehbaren Nebenwirkungen – vor allem, da aussagekräftige kleine Tests der großflächigen Projekte nicht möglich seien. Entwicklungsländer argwöhnen, dass die Industriestaaten das Klima nach eigenem Gusto ummodeln wollen, etwa Hurrikane oder Dürren in ärmere Gegenden verlegen. Versuche der US-Militärs, im Vietnamkrieg ihre Feinde in künstlich ausgelösten Überschwemmungen zu ertränken, waren zwar wenig erfolgreich, sind aber in Erinnerung geblieben: Die 1975 in Kraft getretene Enmod-Konvention der Uno verbietet Umweltveränderungen zum Zwecke der Kriegsführung.
Diesen Oktober erzielten die Gegner des Geo-Engineering einen Achtungserfolg: Im japanischen Nagoya beschloss die Vertragsstaaten-Konferenz des Uno-Abkommens zum Schutz der Biodiversität ein Moratorium für derartige Projekte. Allerdings ist der Text sehr vage; „kleine“ wissenschaftliche Experimente und das Verpressen von CO2 in den Untergrund (so genannte CCS-Technologien) sind weiter erlaubt. Die USA haben diese UN-Konvention ohnehin nie ratifiziert. Im gleichen Monat forderten die Wissenschaftsausschüsse des amerikanischen und des britischen Parlaments in einem gemeinsamen Bericht eine massive Ausweitung der Geo-Engineering-Forschung: Zur Abwendung der Klimakatastrophe sei dringend ein „Plan B“ nötig.
Deutsche Wissenschaftler wittern da ebenfalls ein vielversprechendes Tätigkeitsfeld. Das Kiel Earth Institute etwa präsentierte unlängst einen Antrag für ein DFG-Schwerpunktprogramm zum Thema „Klima-Engineering“. An der Universität Heidelberg läuft bereits seit diesem Jahr ein interdisziplinäres Forschungsprojekt, das verschiedene Großtechnologien zur Klima-Rettung vergleicht, die Akzeptanz und Investitionsbereitschaft der Bevölkerung untersucht und sich Gedanken zu politischen und rechtlichen Folgen macht.
Da mittlerweile einzelne Milliardäre reicher sind als viele Kleinstaaten und ohne Weiteres große Teile des Planeten umkrempeln können, ist jederzeit mit Überraschungen zu rechnen. Vielleicht findet zum Beispiel Slawek Tulaczyk von der Universität Kaliforniens Sponsoren: Er möchte die größten Gletscher Grönlands mit flüssigem Stickstoff festkleben und so ihr Abschmelzen im Meer verhindern. Wenn Geo-Engineering nicht klappen sollte, wäre das aber auch nicht so schlimm: Amerikanische Fachkräfte wollen dann mit Terraforming fremde Planeten bewohnbar machen. Warum denn einfach unsere herkömmliche Erde bewahren, wenn es auch viel komplizierter geht?
Dietmar Mirkes
Catégories: Climat
Édition: 16.12.2010