Im vergangene Woche verabschiedeten Staatshaushalt 2011 ist im Kyoto-Fonds viel Geld für den Ankauf von Emissionsrechten vorgesehen: 94,6 Millionen Euro. Mit den Ausgaben für 2010 und den bis 2014 noch geplanten könnten sie sich bis dahin auf 550 Millionen Euro summieren.
Rund hundert Projekte generieren weltweit Emissionsrechte für uns, damit wir rechnerisch die Mengen an Treibhausgasen ausgleichen können, die wir hier in Luxemburg zuviel in die Luft blasen. Auf dem Papier ganz viel „Klimaschutz“- Aktivität, fürs Klima jedoch ein Nullsummenspiel, bei dem die Verantwortung für den Klimaschutz von einer Stufe im Emis-sionshandel zur nächsten verschoben wird, bis sie sich im Nirwana auflöst. Die Müllverbrennungsanlage Timarpur-Okhla in Delhi ist typisches Beispiel für diesen Prozess.
Im Nordosten der indischen Millionenstadt Delhi baut der indische Jindal-Mischkonzern ein Kraftwerk, das täglich 2 000 Tonnen städtischen Mülls verbrennen soll, um damit 16 Megawatt „grünen“ Strom zu produzieren und im Laufe von zehn Jahren 2,6 Millionen Tonnen-Emissionsrechte zu erzeugen.
Emissionsrechte können bereits verkauft und weitergehandelt werden, bevor sie überhaupt entstehen – eine Vorfinanzierung für Projekte mit hohen Investitionskosten. Das geschieht oft über Fonds, und Timarpur-Okhla hatte im März 2009 163 000 Rechte dem Asian Pacific Carbon Fund der Asian Development Bank vertraglich zugesichert. An ihm ist Luxemburg mit 15 Mil-lionen Dollar beteiligt.
Die Asian Development Bank selbst sagt über ihren Fonds: „Die Beteiligung an Carbon Funds ist als eine Spekulationstätigkeit anzusehen und mit hohen Risiken verbunden.“ Sie hängen davon ab, ob die Projekte gut verlaufen und die vertraglich kalkulierten Rechte generieren. Daher gibt der Fonds seinen Teilnehmern – also etwa Luxemburg – keine Garantie über die Menge und den Preis der Emissionsrechte, den sie für ihre Beteiligung erhalten.
Für ihre über 20 „Clean Energy“ Private Equity Fonds ergab eine interne Evaluierung der Bank einen systematischen Mangel an Folgeprüfungen, Risikobewertungen und eines Monitorings der Umwelt- und Sozialverträglichkeit der finanzierten Projekte, nachdem die Finanzierung einmal bewilligt ist. Bei der Prüfung vor der Entscheidung, sich zu beteiligen, verlassen die Asian Development Bank und die Fonds sich auf die Angaben der Betreiber und auf den Registrierungsprozess der Projekte im so genannten Clean Development Mechanism (CDM).
Die Registrierung erfolgt, wenn alle Unterlagen korrekt vorliegen. Dazu gehören das Project Design Document und der Validierungsbericht. Das Project Design Document wurde vom Betreiber, der sich von Ernst [&] Young beraten ließ, im Laufe des Jahres 2007 in mehreren Versionen erstellt; der Prozess erfordert unter anderem, dass dieses Dokument der Öffentlichkeit einen Monat lang zugänglich gemacht werden muss. Die Version 1 vom 7. Februar 2007 wurde vom 8. Februar bis zum 9. März 2007 im Internet veröffentlicht, und zwar auf der Webseite der in London ansässigen Validierungsfirma SGS UK (die englische Tochter der Société de Surveillance Group).
Von der Existenz dieser Firma und ihrer Rolle dürfte zuvor keiner der Anwohner der geplanten Müllverbrennungsanlage – meist Müllsammler und viele arme Leute, die weder lesen noch schreiben können – und sonstigen Betroffenen eine Ahnung gehabt haben. Ergebnis der „Veröffentlichung“: Kein Kommentar erhalten.
Gemäß den CDM-Regeln wurden auch alternative Lösungen abgewogen: Das Deponiegas abzufangen, um daraus Strom oder Wärme zu erzeugen; das Gas abzufackeln, den Müll einfach liegen lassen oder das Projekt ohne Anerkennung als CDM-Projekt zu realisieren. All das aber wurde verworfen, meist weil es sich nicht rechne. Die 150 000 Menschen, die in Delhi auf den Halden Müll trennen, sammeln und recy-celn kommen in diesem Dokument nicht vor. Ebensowenig ihre Familien, die davon leben. Auch die Emissionen, die durch ihre Arbeit eingespart werden, sind kein Thema.
Anfang September 2007 erstellte die Firma SGS ihren Validierungsbericht und vermerkte darin, dass keinerlei negative ökologische oder soziale Nebenwirkungen vom Projekt zu erwarten seien. Der lokalen Bevölkerung würden direkte und indirekte Beschäftigungsmöglichkeiten geboten. Ferner schlage das Projekt keinerlei Umsiedlung von Anwohnergruppen vor, so dass kein direktes Konfliktpotenzial mit der lokalen Bevölkerung vorläge.
Schließlich wurde die Müllverbrennungsanlage Timarpur-Okhla am 10. November 2007 als CDM-Projekt Nr. 1 254 beim CDM-Exekutivbüro des UN-Klimarats registriert
Ursprünglich sollte die Anlage ab April 2009 laufen. Doch der Bau verzögerte sich: Schon im Frühjahr 2008 hatten Anwohnerproteste begonnen, denn die geplante Brenntechnologie bringt den Ausstoß von giftigen Dioxinen, Furanen und Schwermetallen mit sich. Auch den Müllsammlern wurde allmächlich bewusst, dass die Müllverbrennung ihnen die Existenzgrundlage entzieht.
Die Validierungsfirma SGS – „When you need to be sure“, so ihr Slogan – lag nicht nur in der Einschätzung der Reaktion der Anwohner völlig daneben. In selektiver Wahrnehmung der Realität hatte sie in ihren Bericht nur die Tatsachen aufgenommen, die dem Betreiber, ihrem Auftraggeber, nutzten. Negative Erfahrungen über gesundheitliche Schäden durch diese Brenntechnologie an anderen Orten und wichtige Gutachten und Aktionspläne der indischen Regierung blieben unberücksichtigt: Der Nationale Aktionsplan für Klimawandel des Premierministers spricht sich gegen Verbrennung von städtischem Müll aus und für Biomethanation. Das White Paper on Pollution in Delhi with an Action Plan des indischen Unionsministers für Umwelt und Forsten kommt zu dem Schluss: „Die Erfahrungen mit Müllverbrennung unterstützen die Erkenntnis, dass thermische Behandlung städtischen festen Mülls nicht machbar ist in Situationen, wo er einen niedrigen Wärmewert hat.“
Im September 2009 entzog das CDM Executive Board beim UN-Klimarat der SGS UK, dem bis dahin zweitgrößten Validierer weltweit, bis auf Weiteres die Akkreditierung. SGS UK hatte bei einer Büro-Überprüfung weder nachweisen können, nach welchen Kriterien und Prozeduren sie das geeignete Personal mit der nötigen Kompetenz für Validierung und Verifizierung auswählt, noch darzulegen vermocht, wie das ausgesuchte Personal die nötigen Zusatzqualifikationen erhält; nach Abstellung der Mängel wurde SGS im Dezember 2009 wieder zugelassen.
Die indische Umwelt- und Sozialorganisation Chintan veröffentlichte 2009 ihre Studie Cooling Agents, in der sie nachweist, dass die Müllsammler von Timarpur durch das Trennen und Recyceln fast genauso viele Treibhausgase vermeiden wie die geplante Müllverbrennungsanlage – allerdings ohne diesen positiven Effekt fürs Klima durch den Verkauf von Emissionsrechten ins Ausland wieder zu neutralisieren. Durch den Bau der Anlage würden laut Betreiber und den CDM-Dokumenten ein paar nicht näher quantitativ oder qualitativ beschriebene Jobs entstehen, während per Saldo über sechshundert Arbeitsplätze der Müllsammler verschwinden.
Das Hohe Gericht von Delhi hörte im Dezember 2009 die Beschwerden der Anwohner an und stellte im Januar 2010 in einer Anordnung fest, dass dem ausgesuchten Ort weder vom Expert Commitee noch vom Obersten Gerichtshof zugestimmt worden war. Im Mai 2010 verlängerte der Asian Pacific Carbon Fund seinen Vertrag mit dem Betreiber von Timarpur-Okhla nicht und setzte die Luxemburger Regierung davon im Oktober 2010 in Kenntnis mit der lapidaren Begründung, dass Termine nicht eingehalten wurden.
Die Regierung von Delhi treibt das Projekt dennoch weiter voran, während nach einer weiteren Anhörung der Anwohner das Hohe Gericht von Delhi im Juli 2010 das Delhi Pollution Control Commitee mit einer Untersuchung des Projekts beauftragte. Vergangene Woche, am 10. Dezember, forderten Sozial-, Umwelt- und Anwohnerorganisationen auf einer Pressekonferenz die Regierung von Delhi auf, ihre „Anti-Poor-Policy“ zu beenden. Das CDM-Executive Board beschloss jetzt in Cancún, die in Timarpur zugrundeliegende Methodologie einer Revision zu unterziehen ...
Wie auf einem Verschiebebahnhof wird die Verantwortung für den Klimaschutz während der verschiedenen Stadien des Emissionshandels von einem Akteur auf den nächsten verschoben. Die öffentliche Kontrolle geht dabei scheibchenweise verloren, und am Ende kommt das glatte Gegenteil von Nachhaltigkeit heraus: Ein Nullsummenspiel fürs Klima, hohe Renditen für Unternehmensberater und Fonds, Risiken, die auf die Käufer, das heißt die Steuerzahler abgewälzt werden, und eine „Anti-Poor-Policy“ vor Ort, eine Politik gegen die Armen.
Timarpur ist kein Einzelfall, sondern ein Beispiel par excellence für die Struktur des Emissionshandels. Die halbe Milliarde Euro im Kyoto-Fonds, aus der bisher zu drei Viertel und meist über Fonds Rechte aus Projekten in Entwicklungsländern gekauft wurden, umfasst das doppelte Volumen des jährlichen Kooperationsbudgets. Die Luxemburger Regierung kofinanziert damit eine völlig undurchsichtige, vom Parlament unkontrollierbare, keiner Evalua-tion unterliegende Masse von Projekten, von denen viele der Armutsbekämpfung, dem obersten Ziel der Kooperationspolitik, diametral entgegenwirken. Statt Nachhaltigkeit und Kohärenz der Regierungspolitik ein kafkaeskes Labyrinth, in dem die Verantwortung irgendwo auf der Strecke geblieben ist.