Das Hauptgebäude des Europäischen Parlaments in Brüssel ist nach ihm benannt, und seit 2010 auch eine Gruppe von Europaparlamentariern, die sich dem europäischen Bundesstaat verschrieben haben. Die Rede ist von Altiero Spinelli, Kommunist, Verfasser eines Manifests zur Gründung eines europäischen Bundesstaates im Jahr 1941, Mitglied der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments, als dessen Mitglied er 1980 die Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfes durch die Europaabgeordneten anstieß. Sein spiritueller Nachfolger ist Guy Verhofstadt, der hofft, dass sein unablässiges Trommeln für einen europäischen Bundesstaat irgendwann auch Früchte trägt.
Die Spinelli-Gruppe, zu deren Gründern neben Guy Verhofstadt auch Dany Cohn-Bendit gehört, hat sich vorgenommen jedes Jahr zwei Schattengipfel im Vorfeld von Treffen des Europäischen Rates abzuhalten. Der zweite Schattengipfel fiel dieses Jahr auf das 10-jährige Jubiläum der Laekener Erklärung, die zur Einrichtung des Europäischen Konvents geführt hat, der ersten verfassungsgebenden Versammlung in der Geschichte der europäischen Integration. Kurz vor Beginn des Gipfels stellten Verhofstadt, Cohn-Bendit, der englische Europaabgeordnete Andrew Duff, der im europäischen Konvent und am Lissabon-Vertrag mitgearbeitet hatte, die Französin Sylvie Goulard und die Belgierin Isabelle Durant auf einer Pressekonferenz die Erklärung Laeken + 10 der Spinelli-Gruppe vor.
Wer Verhofstadt und Cohn-Bendit ein wenig kennt, weiß, dass sie sich nicht mit Kleinkram zufrieden geben. Beide warnten mit deutlichen Worten vor dem Versuch eines Staatsstreiches durch Merkel und Sarkozy auf dem Europäischen Rat. Sie fürchteten vor allem eine Vertragsänderung per Protokollanhang, die nicht ratifiziert werden müsste. Wahrscheinlich hatten sie Angela Merkel nicht zugehört, die genau das einige Tage zuvor schon ausgeschlossen hatte. Worum es ihnen aber vor allem ging, war die große Euroschuldenkrise endgültig, demokratisch und nicht allein von Regierungschefs zu lösen.
Ihre Vorschläge können sich sehen lassen. Sie fordern die sofortige An-wendung des schon beschlossenen Sixpacks, dem Kern einer europäischen Wirtschaftsregierung. Sylvie Goulard, die einen der Berichte des Sixpacks als federführende Abge-ordnete im Europäischen Parlament begleitet hat, wies zu Recht darauf hin, dass die vom Gipfel angestrebte Fiskalunion nicht viel mehr sei als die Überführung schon beschlossener Maßnahmen aus dem Sekundärrecht (Richtlinien und Verordnungen) ins Primärrecht (Verträge). Worauf es ebenso ankäme, sei die Umsetzung des makroökonomischen Teils des Sixpacks, um das europäische Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Die Spinelli-Gruppe hat zur Veranschaulichung die Quadratur des Kreises ins Bild gesetzt: Ein schöner, großer Euro wird an vier Ecken von den Begriffen Solidarität, Nachhaltiges Wachstum und Investieren, Disziplin und Demokratische Kontrolle eingerahmt. Für Dany Cohn-Bendit ist es das „Carrée magique“. Beinahe sehen die vier Forderungen aus wie Pfosten, die ein Sicherheitsnetz für die europäische Währung tragen und genau das ist es, was Verhofstadt und seine Föderalisten erreichen wollen.
Verhofstadt konstatiert eine politische Krise, nicht nur eine Schuldenkrise. Nur eine föderal geeinte Europäische Union könne den Euro retten. Neben der Umsetzung des Sixpacks sollen, nach einem Vorschlag des deutschen Sachverständigenrats zur Begutachtung des gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, alle Schulden der Eurostaaten über 60 Prozent des BSP gebündelt und Eurobonds vorbereitet werden. Der Europäische Stabilitäts-Mechanismus soll eine Banklizenz bekommen, zur Ankurbelung der Konjunktur sollen europäische Projektbonds aufgelegt werden, ein Vorschlag, über den die Kommission schon lange nachdenkt. „Die Menschen brauchen eine Perspektive“, sagt Sylvie Goulard. Cohn-Bendit weist daraufhin, dass Sarkozy, für welchen Beschluss auch immer, keine Ratifizierungsmehrheit bekommen wird. Hollande, sozialistischer Präsidentschaftskandidat, bestätigt ihn diese Woche, weil seine Mehrheit die Ratifizierung der Gipfelbeschlüsse im Senat verhindern will.
Die Spinelli-Gruppe fordert neben den Sofortmaßnahmen die Einberufung eines Konvents an Stelle von Vertragsänderungen. Im Frühjahr 2012 wollen sie selbst zu einem Forum nach Brüssel rufen. Im Plenum des Europäischen Parlaments in Straßburg rief Verhofstadt am Dienstag die Kommission und seine Kollegen dazu auf, die EU aus der Krise zu führen, weil die Mitgliedstaaten dazu offensichtlich nicht fähig seien.