Dem wieder alles entscheidenden, allerletzten europäischen Gipfel, der den durch die Schuldenkrise drohenden großen Krach abwenden sollte, wurde am Wochenende allerlei Gutes nachgesagt. Was man ihm nicht nachsagen kann, ist der Versuch, die Schuldenkrise zu beenden.
Eine Schuldenkrise ist ein Machtkampf zwischen Gläubigern und Schuldnern, in diesem Fall zwischen Banken und Staaten, das heißt auch zwischen Finanzwirtschaft und produzierendem Gewerbe. Wobei bekanntlich nichts in einem Staat so demokratisch verteilt ist wie die Staatsschuld. Unter dem üblichen Vorwand von allerlei Inflationsängsten und Verfassungs[-]bedenken hat sich der Gipfel erwartungsgemäß weiterhin für die Banken entschieden. Was wichtigen Luxemburger Wirtschaftsinteressen nicht unsympathisch sein dürfte, anderen weniger. Wohin diese Politik inzwischen führt, zeigte die Europäische Zentralbank am Donnerstag, als sie beschloss, den sich gegenseitig misstrauenden Banken während der nächsten drei Jahre Geld in unbegrenzten Mengen zu einem Zinsfuß von einem Prozent zu leihen. Das ist eine Einladung, fast zinslos Geld zu leihen, um damit sechs oder sieben Prozent abwerfende italienische oder andere Anleihen zu kaufen. Wobei der Gipfel betonte, dass die Banken von jedem weiteren Schuldenschnitt ausgenommen bleiben, dieser infla[-]tionstreibende Zinsunterschied also keine Risikoprämie ist.
Nach dem britischen Veto beschloss der Gipfel, einen Parallelvertrag aufzusetzen, mit dem die Maastrichter Stabilitätskriterien wieder verschärft werden sollen. Sie waren gelockert worden, als Deutschland und Frankreich sie nicht mehr einhalten konnten; das war der Stolz des Luxemburger Ratsvorsitzes 2005. Der konservative britische Premier David Cameron hatte sich mit seinen Forderungen nach Sonderbedingungen für den Londoner Finanzplatz verrechnet und lief seinen konservativen Kollegen ins offene Messer. So verhinderte er eine Änderung des Vertrags von Lissabon, die, außer vielleicht der Bundeskanzlerin, niemand wollte. Auch nicht die Luxemburger Regierung, die das noch vor drei Wochen in einem offenen Brief aus der Feder von Außenminister Jean Asselborn bekräftigt und daran erinnert hatte, wie knapp das Referendum 2005 ausgegangen war.
So baute der Gipfel mit 26 zu eins die deutsche Vormachtstellung in der Euro-Zone aus, der geplante Vertrag soll unter dem Arbeitstitel „Fiskal-Union“ die deutsche Deflationspolitik als europäische Deflationspolitik durchsetzen. Dadurch droht die für nächstes Jahr drohende Rezession tiefer und länger zu werden. Was auch hierzulande auf Kosten der Industrie, des Mittelstands und ihrer Beschäftigen geht sowie durch sinkende Steuereinnahmen, zusammen mit den Beiträgen zu allerlei Rettungsfonds, das Staatsdefizit erhöht. Um die Defla[-]tionspolitik durchsetzen zu können, muss ein weiterer Teil der Haushaltsprozedur von den nationalen Parlamenten auf die sicherheitshalber vor demokratischer Rechenschaftspflicht abgeschirmte EU-Kommis[-]sion verlagert werden.
Daneben beschloss der Gipfel, den bestehenden und den nächsten europäischen Fonds EFSF und ESM aufzustocken, die in der Lage sind, kleineren Volkswirtschaften Überbrückungskredite zu gewähren, mit denen eine Lösung der Schuldenkrise hinausgezögert werden kann. Bis der Krach so unabwendbar ist, dass die Europäische Zentralbank doch noch das tut, wozu eine Notenbank da ist und was in einer Rezession und bei zwei Prozent Inflation kein Problem darstellen dürfte: Banknoten zu drucken, um Staatsdefizite zu finanzieren. Wenn dann noch Zeit bleibt.