Stabilisierungsabkommen zwischen Bosnien und der EU

Das Land, das nicht sein will

d'Lëtzebuerger Land du 20.03.2015

Im Buch Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer gibt es ein Land, das nicht sein darf. Es ist widerrechtlich dem Meer abgerungen worden, ein ganzer Kontinent musste einst dafür untergehen. Zwölf gefährliche Räuber, Piraten gar, haben sich dieses Land zum Unterschlupf gewählt. Auf dem Balkan gibt es ein Land, das nicht sein will. Und unter die Räuber ist es auch gefallen.

Das Land heißt Bosnien-Herzegowina. Zwanzig Jahre sind seit den Massakern von Sarajewo vergangen. Seit 1995 sichert das Dayton-Abkommen den Frieden, verhindert aber jede Entwicklung. Dass das kleine Land nach so langer Zeit noch immer stabilisiert werden muss, spricht für sich. Sechs Jahre hat ein fertig unterschriebenes Abkommen bereit gelegen, das die Europäische Union wegen mangelnder Zusammenarbeit von Kroaten, Moslems und Serben bei einer Verfassungsreform zur Sicherung von Minderheitenrechten nicht in Kraft setzen wollte und wegen eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Jahr 2009 auch nicht konnte. Selbst die Streichung von Millionen Euro EU-Zuschüssen und Massenproteste ihrer Bürger vor einem Jahr schienen die Politiker ignorieren zu wollen.

Durch die ethnische Dreigliederung des Landes werden auf föderaler Ebene alle Posten dreifach besetzt. Bei den letzten Wahlen im Oktober 2014 wurden 518 „einträgliche“ politische Ämter vergeben. Es gibt in Bosnien mehr als 100 Minister, wie viele es genau sind, ob 130 oder mehr, kann keiner sagen. In allen Fragen, die den Gesamtstaat betreffen, haben Kroaten, Moslems und Serben ein Vetorecht. Das Land gibt es nur noch, weil der Westen an seiner Existenz und am Dayton-Abkommen festhält. Es ist kein Geheimnis, dass sich die Serben am liebsten Serbien anschließen würden und dass sich die Kroaten in der gemeinsamen „Entität“ mit den Moslems von den letzteren dominiert fühlen. Die Moslems wiederum wollen mehr Macht für den Gesamtstaat. Einen sinnvollen Kompromiss gibt es bei dieser Ausgangslage nicht.

Neben dem Kosovo ist Bosnien-Herzegowina das Schlusslicht bei der Annäherung an die EU. Es gibt für das Land allerdings keine andere Lösung, die wirtschaftlich tragfähig wäre. Die EU wiederum hat ein strategisches Interesse, den Balkan dauerhaft zu befrieden und alle verbliebenen Länder in die Union zu führen. Selbst Russland steht dieser Annährung nicht im Wege, seine Handlungsmöglichkeiten sind begrenzt. Die EU ist bereit, ein kooperatives Bosnien aufzunehmen. Zwanzig Jahre nach dem Ende des Krieges wird dafür ein neuer Anlauf geschaffen. Am 15. März beschloss der Rat der EU-Außenminister, das hängende Stabilitäts- und Assoziierungsabkommen in Kraft zu setzen, das den späteren Beitritt Bosniens und Herzegowinas zur EU vorbereiten soll.

Nach monatelagen Verhandlungen ist zu Jahresbeginn 2015 eine neue Regierung gewählt worden. Auf Vorschlag und Druck der EU hat diese Regierung im Februar einen verbindlichen Fahrplan für die weitere Zusammenarbeit aller bosnischen Parteien in Verfassungsfragen und bei der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung beschlossen. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini flog selbst nach Sarajevo, um der Abstimmung beizuwohnen und damit sicherzustellen, dass das Abkommen nicht noch in letzter Minute scheiterte. Die EU hatte zuvor alle wichtigen Politiker des Balkanlandes praktisch zur Unterschrift gezwungen, weil es jede weitere Ausrede leid war.

In ihrer Rede vor dem Parlament nahm Mogherini kein Blatt vor den Mund: „Sie haben nicht den Luxus politische Pattsituationen wieder und wieder aufleben zu lassen. Schauen Sie zuerst auf Ihr Volk. Schauen Sie auf die Länder der Region. Jedes Land geht voran und es ist Zeit für Bosnien und Herzegowina, sich der Entwicklung anzuschließen. Sie tragen die Verantwortung. Die nächsten Schritte brauchen politische Klarheit und echte Anstrengungen aller Institutionen auf allen Ebenen.“

Im Klartext heißt das, dass trotz schöner Unterschriften noch nichts gewonnen ist. Die EU war schon unter der alten Kommission so frustriert, dass sie zwar ihre Hand ausstreckt, es aber allein Sache der bosnischen Politiker ist, ihr Land auf Kurs zu bringen. Wenn diese nicht zusammenarbeiten, tant pis, wir haben unsere Pflicht erfüllt, heißt es. Das kleine Land hat nicht genug Gewicht, als dass es aus seiner Schwäche Profit schlagen könnte. Selbst das schlimmste Szenario, einen Massenexodus seiner Bevölkerung, fürchtet man nicht. Am Kosovo wird von Seiten der EU gerade geübt, wie man einer Abstimmung mit den Füßen die Geschäftsgrundlage entzieht.

Bosniens Probleme zeigen, dass der Balkan zwar immer noch eine Problemzone ist, dass die Musik aber woanders gespielt wird. Das Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen ist eine Chance für Bosnien, die es schon vor zehn Jahren hätte ergreifen können. Bei Jim Knopf wurden aus den Piraten am Ende anständige Bürger. In Bosnien wird das nur gelingen, wenn das Land endlich bereit ist, Frieden mit sich selbst zu schließen.

Christoph Nick
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