„Charmeoffensive in Luxemburg“, „Auf Werbetour für TTIP“, „Hoffnungen, Sorgen“ titelten Tageszeitungen zum Besuch der EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström am Donnerstag vor einer Woche in Luxemburg. Die liberale Politikerin traf sich mit Vertretern der außenpolitischen Kommission der Abgeordnetenkammer, aber auch mit Studenten, Gewerkschaftsvertretern und Mitgliedern der Initiative „Stop TTIP“, um über den Stand der Verhandlungen der transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft zwischen der Europäischen Union und den USA zu diskutieren. Nicht viel Neues, lautete danach das enttäuschte Fazit der TTIP-Gegner. Bei konkreten Nachfragen sei die Kommissarin vage geblieben, so Martina Holbach von Greenpeace, beispielsweise ob das in der EU gültige Vorsorgeprinzip voll umfänglich erhalten bleibe. Es bedeutet, dass die Unschädlichkeit neuer Produkte erwiesen sein muss, bevor sie auf den Markt kommen dürfen. In den USA gelten Lebensmittel grundsätzlich als unbedenklich, sofern nicht das Gegenteil bewiesen ist. Beim größten TTIP-Streitpunkt, dem Investorenschutz, habe Malmström lediglich in Aussicht gestellt, dass die Prozedur erleichtert werde, bemängelte der OGBL.
Es sind Unklarheiten wie diese, warum Kritiker des Freihandelsabkommens sich zu einem breiten europaweiten Stop-TTIP-Bündnis zusammengeschlossen haben, um Druck auf die nationalen Regierungen, Parlamentsvertreter, und darüber hinaus auf die EU-Kommission und Politiker in Brüssel zu machen. In einem Brief an die europäischen Abgeordneten, den Luxemburger und andere Anti-TTIP-Aktivisten am Dienstag verschickten, haben sie ihre Einwände noch einmal zusammengefasst: Angefangen bei der mangelnden Transparenz, über den Investorenschutz, digitale Rechte bis hin zur Sicherung demokratischer Entscheidungsverfahren.
Dass sich der Brief an die Straßburger Abgeordneten richtet, liegt daran, dass der Handelsausschuss im Europäischen Parlament, der über TTIP berät, Ende Januar einen Bericht zu den Verhandlungen über das Freihandelsabkommen vorgelegt hat. Unter Leitung des sozialdemokratischen EP-Abgeordneten und Berichterstatters Bernd Lange wurde eine Resolution entworfen, die in den kommenden Wochen im Ausschuss diskutiert und gegebenenfalls verabschiedet werden soll. Darin finden sich teilweise ähnlich kritische Forderungen wie in dem Brief der Stop-TTIP-Aktivisten, etwa der Erhalt des Vorsorgeprinzips, Ausnahmeregelungen für sensible öffentliche Dienstleistungen, wie die Gesundheitsvorsorge, die Sozialversicherung, Bildung oder Wasser, sowie ein mehr an Transparenz. Die hat sich nicht sonderlich verbessert. Zwar hat die Kommission das Verhandlungsmandat, das der Europäische Rat, also die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten, der Kommission bereits im Juli 2013 gab (d’Land 4.4.2014), sowie weitere Papiere inzwischen veröffentlicht, aber wichtige Dokumente zu einzelnen Kapitel müssen EU-Abgeordnete in einem Leseraum einsehen, der Öffentlichkeit sind sie weiterhin nicht zugänglich.
Welche bösen Überraschungen am Ende von in Hinterzimmern ausgehandelten Verträgen stehen können, zeigt der Ceta-Vertrag, den die Europäische Kommission im September mit Kanada fertig aushandelte. Darin sind die privaten Schiedsgerichte (ISDS) enthalten, vor denen Investoren Staaten verklagen können, wenn sie sich durch nationale Regelungen in ihrer Wettbewerbsfähigkeit oder ihrem Eigentumsrecht beschränkt sehen. Nicht nur Umweltorganisationen und Gewerkschaften lehnen dies ab; auch klein- und mittelständische Unternehmen fürchten weitere Konzentrationsprozesse und unfaire Vorteile für multinationale Großkonzerne.
Als die Europäische Kommission aufgrund des heftigen öffentlichen Widerstands gegen die undurchsichtigen Beratungen, während der mehrheitlich Lobbyisten aus Wirtschaft und Industrie gehört wurden, zwischen März und Juli 2014 doch eine Befragung der Zivilgesellschaft vornahm, kamen rund 150 000 Wortmeldungen zusammen. Die meisten betrafen die Schiedsgerichte. Anstatt die Einlassungen Ernst zu nehmen und die umstrittenen Regelungen aus dem Verhandlungsmandat herauszunehmen, ignorierte die Kommission jedoch die Kritik. Einzige Reaktion aus Brüssel: eine neue Werbe- und Konsultationstour zu starten, dieses Mal angeführt von Handelskommissarin Cecilia Malmström. Sie gilt, anders als ihr Vorgänger Karel de Gucht, der auch in Luxemburg vorsprach, als weniger technisch und kommunikativer. Ob das die TTIP-Gegner beeindrucken wird, ist allerdings zweifelhaft. Im Gespräch mit dem Luxemburger Wort stellte Malmström klar, dass auch die Juncker-Kommission an – reformierten – Regelungen zum Investitionsschutz festhalten werde. Wie diese aussehen werden, verriet sie nicht, lediglich dass sie noch im Frühjahr vorgestellt würden. Dass es „grundsätzliche Skepsis und Kritik“ gebe, räumte Malmström ein. Allerdings sei dies „keine grundsätzliche Ablehnung“. Vielmehr wachse die Einsicht, dass Investoren geschützt werden müssen – „auch bei der sozialdemokratischen Fraktion“. Zumindest da hat die Kommissarin Tacheles gesprochen: Es wird auf die Sozialdemokraten ankommen, wie erfolgreich die TTIP-Verhandlungen verlaufen werden und ob die Ränge der TTIP-Gegner im Europaparlament geschlossen bleiben. In Italien, Frankreich, Deutschland stellen die Sozialdemokraten die Regierung, in Großbritannien, wo im Mai Unterhauswahlen anstehen, liegt die Labour Partei in den Umfragen vorne. Eigentlich waren die Schiedsgerichte auch für viele Sozialdemokraten in Europa eine rote Linie – die aber in den vergangenen Monaten hellrot geworden ist, bis sie schließlich ganz verblasst?
Noch im September hatte der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) vor dem Bundestag beteuert: „Es ist völlig klar, dass wir das Investor-Staat-Schiedsverfahren ablehnen“. Entsprechend lautete der Beschluss des Parteikonvents im Herbst. Doch der Koalitionspartner CDU/CSU – Bundeskanzlerin Angela Merkel ist eine vehemente Befürworterin des Freihandelsabkommens -, hat den wortgewaltigen Gabriel offenbar weichgekocht: Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos Ende Januar verunglimpfte der Wirtschaftsminister deutsche TTIP-Gegner als „reich und hysterisch“. Sein eigentlicher Coup folgte einen Monat später: Zusammen mit sozialdemokratischen Parteichefs anderer europäischen Länder schlug Gabriel überraschend einen Kompromiss für das Freihandelsabkommen mit Kanada vor. Anstatt die privaten internationalen Schiedsgerichte rundweg abzulehnen, sollten sie reformiert werden. So sollen Gesetzesänderungen, auch wenn dies die Gewinnaussichten von Unternehmen beeinträchtigen, keinen Klagegrund mehr darstellen. Zudem soll es die Möglichkeit geben, gegen Richter-Entscheidungen Berufung einzulegen. Investoren müssten sich entscheiden, ob sie vor einem nationalen oder vor einem neu zu gründenden Investitionsgerichtshof klagen wollen. Außerdem solle das Prinzip ‚Der Verlierer zahlt‘ eingeführt werden, um so die Zahl der Verfahren zu minimieren. Ein Vorschlag, den auch Jean Asselborn (LSAP) unterstützt, wie sein Ministerium nach dem Besuch Malmströms mitteilte.
Einziges Problem: Im Ceta-Abkommen sind die Schiedsgerichte bereits enthalten, die EU-Kommission hat deutlich gemacht, dass sie nicht daran denkt, den Punkt nachzuverhandeln. Der Präsident des EU-Parlaments, Sozialdemokrat Martin Schulz, versprach auf der SPD-Freihandelskonferenz am 24. Februar in Berliner Willy-Brandt-Haus, das EP werde Druck auf die Kommission ausüben. Das Abkommen sei noch nicht unterschrieben. „Und ein nicht unterzeichneter Vertrag kann noch verbessert werden.“ Tatsächlich scheint das auch die neue Taktik der Juncker-Kommission zu sein: Mit dem Vorschlag soll insbesondere zögernden Sozialdemokraten das Freihandelsabkommen schmackhaft gemacht werden. Und mit endlosen Konsultationen die Gegner mürbe. „Es wird sich zeigen, wo die Sozialdemokraten stehen, wenn es zur Abstimmung kommt“, sagt Martina Holbach im Gespräch mit dem Land. Laut Außenminister Jean Asselborn, in dessen Zuständigkeit das Handelsabkommen fällt, habe sich Luxemburg offiziell noch nicht positioniert. Im März nimmt Asselborn an einer Sitzung in Riga teil, bei der es unter anderem um TTIP gehen soll. Danach werde die Regierung ihre Position zum Freihandelsabkommen ausarbeiten, sagte Asselborn.
Doch die TTIP-Gegner bleiben misstrauisch. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte im Juli 2014 versprochen, keine „parallele Gerichtsbarkeit“ zu dulden. Aber was ist von Zusagen eines Mannes zu halten, der selbst einmal gesagt hatte: „Wenn es ernst wird, muss man lügen“? Am Mittwoch traf sich Angela Merkel in Brüssel mit Juncker, auf der Tagesordnung standen neben dem Ukraine-Konflikt und die Griechenland-Krise auch das TTIP-Abkommen. Danach sagte Juncker vor Journalisten, er weise den Vorwurf des „Ausverkaufs europäischer Werte“ durch TTIP zurück. Zu seinem 60. Geburtstag am 9. Dezember bekam Juncker eine gigantische Geburtstagskarte mit über eine Million Unterschriften, die dTTIP-Gegner bis dato gesammelt hatten. Allerdings erkennt die Kommission diese Europäische Bürgerinitiative nicht an: Das Verhandlungsmandat zu TTIP sei kein Rechtsakt, sondern ein interner Vorbereitungsakt. Diesen könne die Bürgerinitiative nicht anfechten. Die Initiative könnte zudem nur zum Abschluss eines Vertrags aufrufen, nicht aber zu dessen Verhinderung. Weil der Lissabonvertrag aber nicht zwischen internen Vorbereitungsakten und Rechtsakten unterscheidet, klagt Stop TTIP vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Nichtzulassung.
Einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt es dennoch für die TTIP-Gegner: Der Resolutionsentwurf des EP-Handelsausschusses vom 5. Februar, also von vor dem Kompromissvorschlag, hält bezüglich des Investitionsschutzes ausdrücklich fest, dass „ein solcher Mechanismus (ISDS, d. Red.) ... im TTIP-Abkommen aufgrund der hoch entwickelten Rechtssysteme der EU und der USA nicht notwendig“ sei. Berichterstatter Bernd Lange gilt als ein Skeptiker, wenn auch nicht als grundsätzlicher Gegner von TTIP. Am 10. März um 20 Uhr kommt er auf Einladung der EP-Abgeordneten Mady Delvaux Stehres und der Fondation Robert Krieps in das Kulturzentrum Neumünster nach Luxemburg. Eine gute Gelegenheit, ihm und seinen GenossInnen zur Haltung der sozialdemokratischen Frak-tion im Europaparlament auf den Zahn zu fühlen.