Ein wenig seine eigene Tripartite will Finanzminister Luc Frieden nächstes Jahr organisieren. Denn dann sucht er „informelle Gespräche“ mit allen Fraktionen, Sozialpartnern und selbst Jugendorganisationen über die Frage, wie die Staatsfinanzen in den kommenden fünf bis zehn Jahren geplant werden sollen, und damit auch, „wie Luxemburg gestaltet werden soll“.
Das kündigte der Minister am Mittwoch vor dem Parlament an, nachdem er einräumen musste, dass der von ihm verantwortete Haushalt der öffentlichen Hand mindestens bis zu den Wahlen und derjenige des Zentralstaats seit 2008 chronisch defizitär ist. Die Regierung halte weiterhin daran fest, dass Staat, Gemeinden und Sozialversicherung bis 2014 unter dem Strich wieder aus den roten Zahlen seien. Für den Zentralstaat beschränkt sich das Ziel dagegen darauf, das Defizit innerhalb „von fünf bis sechs Jahren auf ein Minimum zu reduzieren“. Was angesichts des erwarteten „niedrigen Wachstums“ schon schwierig genug sein dürfte.
Doch wie niedrig das Wachstum ausfallen wird, darüber ändern die Prognosen von Monat zu Monat. Frieden lehnte noch einmal die Forderungen der Opposition ab, den Haushaltsentwurf für 2012 zurechtzustutzen, um ihn an die neuen wirtschaftlichen Gegebenheiten anzupassen. Schließlich mache sich durch die Verzögerung der Steuereinnahmen ein gegenwärtiger Umsatzrückgang der Unternehmen erst 2013 und 2014 in den Staatseinnahmen bemerkbar. Sein Entwurf sei realistisch, wenn es gelinge, kurzfristig die Schuldenkrise in der Euro-Zone zu beenden, meinte der Minister, der kurz zuvor betont hatte, dass dies weder das Ergebnis des nächsten, noch der folgenden Gipfeltreffen sein könne, sondern ein längeres Unterfangen zu werden drohe. Halte die Krise im Euro-Raum dagegen an und verschlechtere sich die internatio[-]nale Konjunktur weiter, sei der Entwurf tatsächlich „zu optimistisch“. Ebenso optimistisch hatte Frieden vor noch einem Jahr seinen Haushaltsentwurf für 2011 einen „budget de sortie de crise“ genannt.
Frieden forderte die Parlamentarier auf, Stellung zu beziehen, ob sie mit einer Verringerung des Staatsdefizits binnen einer zu bestimmenden Zeitspanne einverstanden seien. Ob sie offen für Veränderungen seien. Ob alle, außer denjenigen, die ganz wenig besäßen, ihren Beitrag leisten sollten. Und ob eine Reihe „Automatismen“ abgebremst werden sollen.
Wie diese Beiträge zur Senkung des Defizits aussehen können, darüber hatte zum Glück sein Parteikollege und Haushaltsberichterstatter Gilles Roth schon einen Tag zuvor nachgedacht. Selbstverständlich fiel Roth bei den Ausgaben die Beschränkung verschiedener Sozialleistungen auf niedrige Einkommensgruppen oder zumindest eine Senkung der Fami[-]lienzulagen ab der beitragspflichtigen Höchstgrenze beziehungsweise deren Besteuerung ein. Auch sollen die Leistungen der Chèques-services dort gekürzt werden, wo sie zu „großzügig“ erscheinen. Doch DP-Präsident Claude Meisch wunderte sich am Donnerstag, wie man von sozia[-]ler Selektivität reden könne, wenn man gerade die Selektivität der Studienbeihilfen abgeschafft habe.
Anders als die liberale Opposition im Parlament und innerhalb der CSV, die einseitig den Staatshaushalt durch Ausgabenkürzungen bei Sozialleistungen und Zuschüssen wieder ins Lot bringen will, machte Roth aber auch Vorschläge, um Steuern zu erhöhen, vor allem der natürlichen Personen. Sicherheitshalber kleidete er solche Steuererhöhungen in die hehre Absicht höherer Steuergerechtigkeit.
Trotzdem dürften manche Steuerzahler bald nicht mehr wissen, wo ihnen der Kopf steht. Im Juli kündig[-]te ihnen die Regierung im Rahmen der Gehälterverhandlungen im öffentlichen Dienst und rechtzeitig vor den Gemeindewahlen an, dass die im Januar eingeführte Krisensteuer nach bloß einem Jahr wieder abgeschafft werde. Nun ist die Krisensteuer noch nicht einmal rechtsgültig abgeschafft, da geht schon wieder von neuen Steuererhöhungen die Rede. Das erinnert ein wenig an 2005, als die Regierung schon einmal die Gemeindewahlen abgewartet hatte, um Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen anzukündigen.
Zwar beteuerte der vorsichtige Roth genau zehnmal in seiner Ansprache, dass seine Steuervorschläge „bloß zum Nachdenken“ seien. Doch Luc Frieden bestätigte einen Tag später, dass sie „zu einem [-]gro[-]ßen Teil meinen Denkansätzen gleichen“, die er sich „als Finanzminister macht“. Schließlich war der Abgeordnete zuvor Erster Regierungsrat in Friedens Finanzministerium.
Um den ab 2015 schrittweise drohenden Ausfall der Mehrwertsteuereinnahmen aus dem elektronischen Handel auszugleichen, müsste die Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte erhöht werden, meinte Roth. Bei dieser Rechnung wurde Claude Meisch „bange“, und er bedauerte, dass die Regierung keine andere Alternativen bereit halte als eine TVA-Erhöhung, von der er hoffte, dass es sich lediglich um ein Rechenbeispiel handele.
Um zusätzliche Einnahmen aus dem Tanktourismus zu verdienen, sind für Roth Akzisenerhöhungen in einer „konzertierten Aktion mit den Nachbarländern“ nötig, damit der Preisvorteil im internationalen Vergleich nicht verschwinde. Bei der Autosteuer empfahl er die Abschaffung einer Mindeststeuer von 50 Euro und die Abschaffung der 50 Euro Bezuschussung der gesetzlich vorgeschriebenen Partikelfilter von Dieselfahrzeugen, was fünf bis sechs Millionen Euro mehr einbrächte.
Auch empfahl Roth eine Erhöhung der Quellensteuer für hierzulande wohnende Kleinsparer von zehn auf 15 Prozent, was jährlich rund 20 Millio[-]nen Euro mehr einbrächte. Die Grundsteuer mit ihren „lächerlich“ geringen Einnahmen könnte durch die Einführung landesweiter Referenzwerte pro Quadratmeter für Grundbesitz innerhalb und außerhalb des Bauperimeters erhöht werden.
Roth stellte erneut das System der Steuerfreibeträge in Frage, von dem nur die besser verdienenden Steuerzahler profitierten und das oft wenig sinnvoll sei: Weshalb soll auf die[-]se Weise die Allgemeinheit einem Jäger mit hohem Einkommen40 Prozent seiner Haftpflichtversicherung für Jagdunfälle zahlen? Aber an den Freibeträgen biss sich die Regierung schon bei der Steuerreform vor einem Jahrzehnt die Zähne aus.
Was die Körperschaftssteuer anbelangt, so schlug Roth in seinem schriftlichen Haushaltsbericht vor, die Bemessungsgrundlage auszuweiten und dafür den Steuersatz zu senken. Frieden fand, dass ein niedrigerer Steuersatz, der sich dem Durchschnitt der OECD-Staaten annähere, tatsächlich ausländische Investoren beeindrucken und ermutigen könnte, sich in Luxemburg niederzulassen. Aber hierzulande bereits ansässige Betriebe hätten sich an das augenblickliche System angepasst und kämen gut damit zurecht.
Dafür kündigte Frieden an, dass ein Vorschlag der Mehrwertsteuer-Mitteilung der EU-Kommission vom Dienstag dieser Woche binnen drei Wochen Gesetz werden soll, damit der Mehrwertsteuersatz für elektronische Bücher von 15 auf drei Prozent gesenkt und damit an denjenigen gedruckter Bücher angeglichen wird – im Interesse des elektronischen Handels der Versandfirma Amazon.
Ein weiteres Mittel zur Defizitreduzierung ist für Roth schließlich die Wiedereinführung einer Haushaltsnorm, eines jährlich vorbestimmten Prozentsatzes, um den die Staatseinnahmen zunehmen dürfen. Die von den EU-Finanzministern beschlossene Norm soll, wie in der Vergangenheit, aus den Prognosen des Wirtschaftswachstums und der Preissteigerung zusammengerechnet werden, aber auch aus der Einnahmen und Ausgabensteigerungen in den Nachbarländern.