EU-Kommission

Quadratur des Kreises

d'Lëtzebuerger Land du 03.12.2009

Die Europäische Union mit Kenia zu vergleichen verbietet sich. Dennoch schleicht sich der Gedanke an Kenia ein, denkt man an die neue EU-Kommission, die Kommissionspräsident José Manuel Barroso am 27. November in Brüssel vorgestellt hat. Kenia ist dafür bekannt, dass es eine schier unendliche Zahl von Ministern besitzt, um alle politischen Interessengruppen des Landes einbinden zu können. Ähnliches erwartet man vom EU-Kommissionspräsidenten Barroso. Er muss die Portfolios so unterteilen, dass alle 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union ihre Frau oder ihren Mann unterbringen können. Jeder Versuch, eine effektivere Arbeit der Kommission durch eine Beschränkung der Anzahl der Kommissare, und damit der Ressorts, zu ermöglichen, ist bisher gescheitert.

Barroso hat mit seinem neuen Team einmal mehr die Quadratur des Kreises hinbekommen müssen. Er beruft die Kommissare „im Einvernehmen“ mit den Mitgliedstaaten. Das heißt nichts anderes, als dass er die Kandidaten der EU-Länder möglichst sinnvoll in seiner Ressortaufteilung unterbringen muss, ohne dass sich jemand benachteiligt fühlt. Neben dem Zuschnitt sind auch Titel dafür ein probates Mittel. Wohl auch deshalb wird die neue Kommission statt bisher fünf nun sieben Vizepräsidenten haben. Es ist auffällig, dass dabei nicht unbedingt die wichtigsten Ressortchefs zum Zuge kommen. So sind weder der Franzose Michel Barnier, designierter Kommissar für den Binnenmarkt, noch der Rumäne Dacian Ciolos, der das Landwirtschaftsressort übernehmen soll, noch der Belgier Karel De Gucht als designierter Kommissar für Handelspolitik Vizepräsidenten der Kommission, obwohl sie wichtige und klassische Politikfelder der EU übernehmen. Ein Drittel der zukünftigen Kommissare werden Frauen sein. 14 von 27 Mitgliedern haben schon der alten Kommission angehört, die seit dem 1. November bis zur endgültigen Berufung der neuen Kommission nur noch kommissarisch im Amt ist.

Geht man von den Pressemitteilungen der Fraktionen des Europäischen Parlamentes (EP) aus, dürften die Anhörungen der Kommissare vor den zuständigen Fachausschüssen des EP Mitte Januar kein Problem sein. Sowohl die Fraktionsvorsitzenden der Europäischen Volkspartei, der Sozialisten und Demokraten sowie der Liberalen haben Barrosos Vorschlag begrüßt. Damit wäre eine sehr breite Mehrheit gesichert. Lediglich die Grünen scherten aus und bemängelten, dass Michel Barnier ein englischer Aufpasser als Generaldirektor für den Binnenmarkt an die Seite gestellt worden sei. Das ist insofern interessant, als Barnier für die anstehende Finanzmarktregulierung zuständig ist. Ferner beklagten sie die Aufteilung des Ressorts für Entwicklungszusammenarbeit.

Scheitern könnte ein Kandidat nur an seiner eigenen Unfähigkeit. Das Schauspiel aus dem Jahr 2004, als der italienische Kandidat Rocco Buttiglione, vorgesehen als Kommissar für Justiz, Freiheit und Sicherheit, wegen seiner haarsträubenden Äußerungen über Homosexuelle und Frauen im Parlament auf breite Ablehnung stieß, dürfte sich nicht wiederholen. Einzelne Kandidaten kann das EP nicht ablehnen, der neuen Kommission wird als Ganzes die Zustimmung ausgesprochen oder verweigert. Nach dem Votum des EP setzt der Rat die Kommission mit Zweidrittelmehrheit ins Amt ein.

Barroso hat hinter den Kulissen sicherlich mit großem Fleiß Kompensationsgeschäfte ausgehandelt. So könnte es sein, dass Luxemburg dafür entschädigt wurde, dass Jean-Claude Juncker nicht erster ständiger Ratspräsident der EU geworden ist. Viviane Reding, bisher Kommissarin für Informationsgesellschaft und Medien, wird zukünftig für Justiz, Grundrechte und Unionsbürgerschaft zuständig sein mit der wichtigen Zugabe, unter den Vizepräsidenten die erste Vertreterin des Kommissionspräsidenten zu sein. Aber nicht nur die Vertretungsaufgabe ist eine Aufwertung, sondern auch das Ressort selbst, denn Kommission und EP erhalten mit dem Lissabonvertrag im Ressort Justiz erstmals volle Mitbestimmungsrechte, das bisherige nationale Veto des Ministerrats entfällt. In der Anfangszeit dürfte dieses Ressort deshalb viele Gestaltungsmöglichkeiten bieten.

Ein anderer, wie immer lautstarker Sieger ist Nicolas Sarkozy. Er hat die Briten zu den großen Verlierern ausgerufen, weil sie als klassische Vertreter größtmöglicher wirtschaftlicher Liberalität kein Wirtschaftsressort mehr besetzen würden. Mit Michel Barnier wird erstmals ein Franzose für den Binnenmarkt zuständig sein, der immer noch seiner „Vollendung“ entgegenstrebt. Das Außenamt, für das Großbritannien so hartnäckig gekämpft habe, sei beileibe nicht so wichtig, wie der Binnenmarkt, sagt Sarkozy. Er hat es zudem geschafft, gleich zwei Kommissare für Frankreich zu entsenden. Zumindest wird die Berufung des Rumänen Dacian Ciolos so gesehen, denn Ciolos hat seinen Doktortitel auf der École Na-tionale Supérieure Agronomique in Montpellier erworben. Sicher ist, im Binnenmarkt wie bei der Agrarpolitik werden in der kommenden Legislaturperiode wichtige Entscheidungen getroffen werden müssen.

In Deutschland hat man auf die Berufung des baden-württembergischen Ministerprädidenten Günther Oettinger zum Energiekommissar merkwürdig verhalten reagiert. Man weiß noch nicht so recht, wie der Mann, dem man wirtschaftliche Kompetenz ebenso zuschreibt wie ungeschicktes öffentliches Auftreten, auf der europäischen Bühne zurechtkommen wird. Zudem verliert das Land mit Günter Verheugen ein politisches Schwergewicht. Verheugen scheidet aus Altergründen aus, er hätte wegen seiner Zugehörigkeit zur SPD aber auch keine Chance mehr gehabt.

Christoph Nick
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