José Manuel Barroso im Juli oder im September, hatte Premierminister Jean-Claude Juncker im Anschluss des EU-Gipfels vor zwei Wochen gepoltert und damit Ärger und Widerspruch nicht nur seitens der Luxemburger Grünen provoziert. Deren Fraktionschef François Bausch kritisierte Junckers Vorstoß in einem offenen Brief scharf.
Zu Recht. Denn die Art und Weise, wie die Personalie des alten – und vielleicht neuen – Kommissionspräsidenten von Konservativen wie der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy oder eben Juncker vorangepeitscht wird, zeugt von schlechtem Politikstil. Als stärkste Kraft nach den Europawahlen haben die Konservativen das Recht, den Präsidenten zu stellen, aber sie sind dafür auf die Zustimmung anderer Fraktionen im Straßburger Parlament angewiesen.
Sowohl die europäischen Grünen, als auch die Sozialisten und die Liberalen pochen jedoch auf eine Abstimmung im Herbst. Bis dahin sollen die Iren ein zweites Mal über den Reformvertrag abgestimmt haben und soll sich alsbald die vertragsrechtliche Grundlage klären. Sollte es grünes Licht für den Lissabon-Vertrag geben, hätte das Parlament mehr Mitspracherecht bei der Wahl des Kommissionspräsidenten. Soeben hat das Bundesverfassungsgericht die demokratischen Defizite der EU angeprangert. Es wäre daher eine starke Geste für mehr demokratische Glaubwürdigkeit gewesen, hätten die Regierungschefs der EU-Länder abgewartet.
Das frühe Festlegen der CSV auf Barroso ist noch aus einem anderen Grund für Luxemburg bedenklich. Auch wenn Barrosos Befürworter seine Herkunft gern als Beweis anführen, er wisse wie kein Anderer um die Sorgen und Nöte der kleinen Länder, lehrt die Realität etwas anderes: In seiner Amtszeit ist der Portugiese allzu oft als Erfüllungsgehilfe deutsch-französischer, und zuweilen britischer Interessen aufgetreten. Das haben die Luxemburger zuletzt in der Auseinandersetzung ums Bankgeheimnis schmerzlich erfahren müssen. Barroso gilt als schwach und wankelmütig. Davon zeugt auch sein „Bewerbungsschreiben“, in dem er „mehr Europa“ verspricht und zugleich weniger Einmischung in nationale Angelegenheiten.
Ihn als neoliberalen Rädelsführer zu verteufeln, wie es die Grünen tun, ist übertrieben. Richtig ist, dass beispielsweise die Verabschiedung der umstrittenen – abgeänderten – Bolkestein-Direktive in seine Amtszeit fällt und von ihm verteidigt wurde. Vorgeschlagen aber hatte sie die Prodi-Kommission und beschlossen wurde sie vom EU-Ministerrat – und da saßen konservative und liberale Ressortchefs am Deregulierungs-Drücker. Wenn Juncker, der sich gerne als Anwalt des „kleinen Mannes“ inszeniert und vor kurzem davor warnte, die Wirtschaftskrise könnte die Bürger weiter von Europa wegführen, nun auf einer Blitzwahl jenes negativ behafteten Aushängeschilds gegen den erklärten Willen möglicher Koalitionspartner beharrt, beweist das, wie wenig es bei dem Postengeschacher um die Bürger geht.
Dass sich Juncker mit so viel Verve hinter Barroso stellt, liegt auch daran, dass er etwas wieder gutzumachen hat. Sein Ruf als Vorzeigeeuropäer hat durch den Krach ums Bankgeheimnis schwer gelitten. Sollte der Lissabonner Vertrag im Winter in Kraft treten, hätte die schwedische Präsidentschaft gleich zwei neue Top-Ämter zu besetzen: den des Außenministers und den des ständigen EU-Ratspräsidenten. Im Gespräch ist, neben dem britischen Ex-Premier Tony Blair oder Spaniens früherem sozialistischen Ministerpräsident Félipe González, auch Jean-Claude Juncker. Ohne Zustimmung aus Berlin und Paris aber kann sich der Favorit „der Kleinen“ höhere Weihen in Brüssel wohl endgültig abschminken.