Bankenaufsicht

Flagge zeigen

d'Lëtzebuerger Land vom 04.06.2009

Als Budgetminister Luc Frieden sich vergangenes Jahr beim festlichen Dinner des Luxembourg Financial Forum an die Gäste wandte, sprach er vom günstigen Luxemburger Rechts- und Reglementierungsrahmen, nann­te die Luxemburger Finanzaufsichtsbehörde CSSF gar business friendly. Die Zeiten haben sich geändert. Die­ses Jahr stand das Financial Forum, wichtigster offizieller Termin des Finanzplatzes, unter dem Zeichen der Finanzmarktregulierung.  

Ob es in Zeiten von Wirtschafts- und Finanzkrise angebracht ist, ein solches Fest zu organisieren, dessen Budget bei 400 000 Euro liegt? Darüber diskutierten auch die Organisatoren von LuxembourgforFinan­ce und dem Branchenverband Profil ausgiebig, so Fernand Grulms vergangenen Freitag. Letztlich habe man sich dafür entschieden, weil es gerade jetzt wichtig sei, sich nicht zu verstecken. „Wir sind froh, dass die Veranstaltung stattfindet“, so Grulms, besonders jetzt müsse Luxemburg als Finanzstandort Flagge zeigen und mit positiven Schlagzeilen auf sich aufmerksam machen. Der Andrang scheint ihm Recht zu geben. Angesichts von 10 000 – von Jean-Claude Juncker signierten – Einladungen ist die Teilnehmerzahl mit 550 zwar bescheiden. Doch das sind kaum 50 weniger als vergangenes Jahr. Knapp über 40 Prozent von ihnen waren vergangene Woche aus dem Ausland angereist, deutlich mehr als im Vorjahr. Die steigende internationale Beteiligung wertet Grulms – der nicht sagen wollte, wie hoch der Sponsorbetrag der staatlich gestützten BGL war – ebenfalls als Erfolg. 

Die Themenwahl darf durchaus als Glücksgriff gewertet werden. Setting new rules for a sound international financial system, unter diesem Leitspruch debattierte das erste Panel der Tagung – das in der Woche, da die EU-Kommission ihre Vorschläge zur künftigen Architektur der europäischen Finanzaufsicht vorstellte. Dazu hatten die Organisatoren unter anderem Jochen Sanio, Chef der deutschen Finanzaufsicht Bafin, verpflichten können. Und Diskussionsbedarf gab es, das konnte man aus den Publikumsfragen heraushören, auf jeden Fall. Ob in der Vergangenheit die Aufsichtsbehörden nicht allzu eng mit den Banken befreundet gewesen seien, wollte ein Bankier wissen. Schade nur, dass das Gespräch, das vor allem um die Fragen einer besseren Ausbildung der Bankmitarbeiter, einer größeren Verantwortungsübernahme durch die Banken und ihre Angestellten, der Risikobesitzverhältnisse und die ewigen Frage kreiste, ob sich die Märkte besser selbst regulieren oder nicht, nicht gezielt auf die Kommissionsvorschläge einging. Dafür mitverantwortlich war auch Bafin-Chef Sanio, der seine Vorliebe für Sheriff-artiges Auftreten kundtat und knackige Einzeiler der Art „it’s the end of the world as we know it“ oder „were are playing a new game. It’s all in“, aus der Hüfte schoss. 

Dabei müssen sich die Branchenakteure beeilen, denn bereits nächstes Jahr sollen die Kommissionspläne in die Tat umgesetzt und die neuen Aufsichtsgremien aktiv sein. Die Kommission weicht in ihre Vorschlägen kaum von den Schlussfolgerungen des de-Larosière-Berichtes (d’Land 20.3.2009) ab. Neben dem Europäischen Rat für Systemrisiken (ESRC) soll ein Europäisches Finanzaufsichtssytem (ESFS) geschaffen werden. Den Vorsitz des für die makroökonomische Aufsicht zuständigen ESRC  wird der Chef der Europäischen Zentralbank übernehmen. Vize-Vorsitzender soll demnach ein Mitglied aus einem Nicht-Euroland werden. Die Kommission schlägt vor, alle 27 EU-Zentralbankgouverneure zu stimmberechtigten Mitgliedern zu machen, dazu kommen außerdem Vertreter der Kommission, der EZB und der neuen Europäischen Aufsichtsbehörden. Es soll, das ist für Luxemburg wichtig, keine Stimmgewichtung geben. Das ESRC soll jediglich auf Risiken hinweisen und Empfehlungen aussprechen, wird aber keine Entscheidungsgewalt haben. Budgetminister Luc Frieden sagte in seiner Dinneransprache vergangenen Donnerstag, in Luxemburg setzte diese Aufgabenerweiterung der Zentralbanken keine Gesetzesänderungen voraus, da die Luxemburger Zentralbank durch die vergangenen Herbst angenommen Änderungen ihrer Statuten mit weit reichenden Vollmachten im Bereich der Makroaufsicht ausgestattet worden sei.

Die drei europäischen Branchekomitees – der Ausschuss der europäischen Bankenaufsichten CEBS, der Ausschuss der EU-Aufsichtsbehörden für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersvorsorge CEIOPS sowie der Ausschuss der europäischen Wertpapierregulierungsbehörden CESR – sollen wie von de Larosière vorgeschlagen, in den Grad von EU-Behörden gehoben werden und damit die Stützpfeiler des Europäischen Finanzaufsichtssystems bilden. Die Aufsicht über das Tagesgeschäft sollen die nationalen Aufsichtsbehörden, wie die Luxemburger CSSF oder das Versicherungskommissariat, weiterführen.

Hauptaufgabe des ESFS soll laut Kommissionsvorschlägen sein, die Harmonisierung der Aufsichtsregeln und der Standards voranzutreiben. Zudem sollen die neuen EU-Behörden den Informationsfluss zwischen den nationalen Aufsehern erhöhen und, falls sich diese innerhalb der Kolle­gien, die sie zur Aufsicht von grenzüberschreitend tätigen Instituten bilden, nicht einigen können als letzte Instanz  entscheiden. Frieden begrüßte die Kommissionsvorschläge, nannte das System einen „exzellen­ten Mix aus einheimischer Kontrolle und multinationa­ler Zusammenarbeit.“ Die nationalen Behörden würden die von ihnen beaufsichtigen Unternehmen einfach besser kennen. Auf der anderen Seite müsse der Rechtsrahmen das Fortbestehen der grenzüberschreitend arbeitenden Gruppen sicherstellen. „Sehr erstaunlich“ sei in diesem Kontext die rezente Entscheidung der EU-Kommission über die Staatsbeihilfen für die WestLB gewesen, so Frieden. Dabei sei die Kommission zum Schluss gekommen, dass transnational tätige Banken größeren Risiken ausgesetzt seien und habe deshalb unter anderem den Verkauf der Luxemburger WestLB-Filiale vorgeschrieben. Friedens Verwunderung ist also auch Standortpolitik.

Die neuen EU-Behörden werden im Gegensatz zum ESRC mehr oder weniger weit reichende Vollmachten erhalten. Sollte die Umsetzung von EU-Recht auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht richtig erfolgen, sollen die EU-Behörden gegen solche Extra-Touren vorgehen können, indem sie die nationalen Aufsichten zur Behebung der Probleme vor Ultimaten stellen können. Sollte ein Mitgliedstaat bewusst europäische Aufsichtsregeln nicht umsetzen, sollten die EU-Agenturen zudem die Möglichkeit erhalten, die nationalen Behörden zu umgehen und direkte Aufsichtsentscheidungen zu treffen. Rating-Agenturen sowie andere pan-europäisch tätige Infrastrukturen wie beispielsweise Clearinghäuser, sollen ohnehin der direkten Aufsicht des ESFS unterstellt werden. Der Aufbau des ESFS sieht den Vorstellungen der Kommission entsprechend wie folgt aus: An der Spitze soll ein Steuerungskomitee stehen, in dem nur die Kommission selbst und die drei Branchenbehörden vertreten sind. Auf der zweiten Ebene stehen die Behörden selbst, die jeweils von einem Vorstand geleitet werden. An deren Spitze sollen hauptberuflich engagierte Vorsitzenden stehen, an ihrer Seite die Vorsitzenden der entsprechenden nationalen Aufsichten. Derzeit schlägt die Kommission vor, dass bei Entscheidungen über technisches Regelwerk auf Basis der in den EU-Verträgen vorgesehnen Gewichtung mit qualifizierter Mehrheit abgestimmt wird – so wie das beispielsweise auch in den Politikbereichen Transport oder Landwirtschaft der Fall ist. Ob sich Luxemburg  damit zufrieden geben oder verlangen wird, dass bei allen Entscheidungen das Prinzip „Ein Mitglied, eine Stimme“ gilt, bleibt abzuwarten. 

Die Diskussionsteilnehmer beim Financial Forum gingen den Vorschlägen nicht auf den Grund. Bedauerlich, besonders da sich aus Großbritannien bereits Widerstand ankündigt. Medienberichten zufolgen haben die Briten Probleme damit, dass die EU-Behörden im Streitfall das letzte Wort haben sollen. Man wittert zu großen Einfluss von EU-Behörden auf die Londoner City. Zudem täten sie sich damit schwer, den EZB-Chef als Vorsitzenden des ESRC zu akzeptieren. Schon vor Wochen konnte man in Internetforen zahlreiche Kommentare der Art „Eher sterben als der EZB Einfluss auf die City geben“ lesen. Dass die Briten sich trauen, jetzt mit Hara Kiri zu drohen, sollte die EZB auch nur dafür zuständig werden, vor systemischen Risiken zu warnen, ist angesichts des Zustands der britischen Bankenlandschaft und ihrer Rolle in der Finanzkrise schon etwas unerhört. Schon kommenden Dienstag sollen die EU-Finanzminister bei ihrem Treffen auf dem Kirchberg eine erste Einschätzung zur geplanten Aufsichtsarchitektur abgeben, denn die Kommission will alle Streitpunkte beheben, bevor sie den Richtlinienvorschlag im Herbst vorlegt. 

Ob es verantwortlich ist, wenn sich Länder gegen Reformen in der Finanzaufsicht stellen, oder einfach Protektionismus, die Frage wäre sicher in der Diskussionsrunde des Financial Forum nicht müßig gewesen. Ebensowenig, wie die nach der Verantwortung der individuellen Investoren, denn das „schmutzige Vier-Buchstabenwort“, damit gemeint war die Gier, nahmen Sanio und seine Gesprächspartner von den europäischen Banken- und Fondsmanagerverbänden leider nur im Zusammenhang mit den Branchenakteuren in den Mund. Davon, dass auch die kleinen Investoren lieber Produkte mit hoher Rendite haben wollten – kein Wort. Futurologe Adjiedj Bakas machte immerhin Hoffnung. Er beobachte bei der Generation der Nippies, der neuen Hippies, eine Besinnung auf Religiosität und Spiritualität und damit auch auf eine neue Ethik, sagte er während der Diskussionsrunde über die künftige Rolle der Finanzbranche in der Wirtschaft. Er sagte allerdings auch, Nadelstreifenanzüge seien ganz plötzlich nicht mehr sexy. Niemand wolle noch so aussehen wie die Wall Street-Banker in den Hollywoodstreifen der Achtziger. Ob die Modetipps Konferenzteilnehmern als die positive Erfahrung in Erinnerung  bleiben werden, welche die Organisatoren ihnen im Zusammenhang mit Luxemburg vermitteln möchten, wer weiß?

Michèle Sinner
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