Wenn Jesus in unsere Welt geboren würde, hätten seine Eltern es wahrlich nicht leicht. Eine Unterbringung in einer Holzkrippe in einem dunklen zugigen Stall würde vermutlich entsetzte Kinderschützer auf den Plan rufen. Und auch die vielleicht modernere Wahl einer profes-sionellen Kinderkrippe dürften Maria und Josef nicht leicht fallen. Zwar hat sich mit dem Gesetz über die Maisons relais von 2005 die Zahl der Betreuungsplätze in konventionier-ten Einrichtungen von 8 000 auf über 18 200 mehr als verdoppelt. Aber für die Kleinen zwischen null und vier Jahren ist das Betreuungs-angebot mit lediglich 3 500 Krippen-Plätzen noch immer zu wenig.
Selbst wenn Maria das Glück hold wäre und sie eine Crèche in ihrer Nähe fände, woher würde sie wissen, dass ihr Sohn in besten Händen und die gewählte Einrichtung eine gute ist? Für Holz gibt es Qualitätslabels, für die Kinderbetreuung nicht. Daran hat das Gesetz über die Maisons relais nichts geändert. Im Gegenteil. Um den massiven Ausbau der Kinderbetreuung zu ermöglichen, wurden die wenigen Qualitätsvorgaben in diesem Bereich aufgeweicht: Seitdem können schlechter ausgebildete Hilfsberufe wie die Aide socio-familiale mit einer Basisausbildung von 110 Stunden als „qualifiziertes“ Personal eingestellt werden. Die Gewerkschaften hatten davor gewarnt, dass dies die pädagogische Qualität senken könnte, aber erst jetzt scheint den Verantwortlichen zu dämmern, was das eigentlich bedeutet.
Niedrigqualifizierte in Bildungsstrukturen? heißt eine aktuelle Veröffentlichung der Caritas. Darin stellt einer der größten Dienstleister im Bereich der außerschulischen Betreuung und überdies Anbieter von 110-Stunden-Crashkursen zum Hilfserzieher für berufliche Quereinsteiger selbstkritisch fest: „Hilfskräfte können nicht als qualifiziertes Personal angesehen werden.“ Seit ihrer Einführung ist die Zahl der Hilfskräfte im Betreuungssektor ständig gestiegen und wird von Branchenkennern auf 500 bis 1 000 Personen geschätzt. Bis zu 60 Prozent des Personals in den Maisons relais fallen in diese Kategorie. Es sind Quer- oder berufliche Wiedereinsteiger, die meisten Frauen. In den Caritas-Einrichtungen liegt der Schlüssel eigenen Angaben zufolge bei rund 30 Prozent. Schon dieser Anteil wird skeptisch gesehen: Die Organisation plädiert in ihrer Publikation dafür, die Niedrigqualifizierung als „Startkapital“ für eine kontinuierliche pädagogische Weiterbildung zu nehmen.
Das ist nachvollziehbar, denn die Caritas hat Größeres vor. Seit Jahren macht sie sich für eine hochwertige und flächendeckende Früherziehung stark. Die Idee kommt nicht von ihr, sondern entspricht einem europäischen Trend, Bildung und Betreuung enger zu verzahnen und den Lernprozess der Kleinen möglichst früh von staatlicher Seite zu unterstützen. Dafür braucht es mehr pädagogisch geschultes Personal. Auf einer Podiumsdiskussion an der Uni in Walferdingen vergangene Woche diskutierten Vertreter der Träger, der Politik und Wissenschaft, auf Einladung der Caritas, wie das Ziel erreicht werden könnte.
Der Auftrag ist im Grundschulgesetz verankert: „Il est donc indispensable, pour le développement de l’enfant, que s’instituent un dialogue et une concertation entre les enseignants et les éducateurs des maisons relais ou des autres garderies.“ Keine leichte Aufgabe, wie die Erfahrungen um die Escher Jean-Jaurès-Schule zeigten. Dort hatten Erzieher und Lehrer erhebliche Startschwierigkeiten zu einer gemeinsamen Arbeitsweise zu finden: Unklare Rollenprofile und Zuständigkeiten führten zu Streit und Durcheinander und schließlich zum Fortgang der Erzieher. Die Zusammenarbeit verbesserte sich erst, als ein Berater die Sache in die Hand nahm. Heute wagt die zuständige Koordinatorin im Unterrichtsministerium, Claude Sevenig, eine optimistische Einschätzung „Ich denke, wir sind da auf einem guten Weg.“
Einen Weg, auf den das Ministerium auch andere Schulen zu senden hofft. Im Koalitionsabkommen heißt es: „La mission éducative des structures d’accueil sera précisée, elle sera complementaire à celle des écoles.“ Claude Sevenig arbeitet mit Beamten aus dem Familienministerium daran, gute Praktiken zu sichten und daraus Leitlinien für die noch ungewohnte Zusammenarbeit abzuleiten. Das klingt sinnvoll, denn wozu jedesmal neu durch eine turbulente Selbstfindungsphase gehen, wenn sich voneinander lernen ließe? Das Règlement mit den Leitlinien hofft das Ministerium vor Ende des Schuljahrs, also im Sommer 2011, veröffentlichen zu können.
Die Zusammenarbeit bleibt aber nicht bei der Grundschule stehen. Auch Éducation préscolaire und précoce sollen einbezogen – und andere Betreuungsstrukturen, wie die Crèches, Garderies und Maisons relais inhaltlich stärker an sie herangeführt werden. Letztere zielten zunächst auf die Fünf- bis Zwölfjährigen ab, die ähnlich wie im Foyer scolaire, nach der Schule essen und Hausaufgaben machen können, während Mutter und Vater auf der Arbeit sind. Den Einsatz von Hilfserzieherinnen rechtfertigte Familienministerin Marie-Josée Jacobs (CSV) eben damit, dass für die Essensaufgabe keine pädagogische Ausbildung nötig sei.
Inzwischen geht der Trend zum Kleinkind. Immer mehr Maisons relais dehnen ihr Betreuungsangebot auf Kinder zwischen 0 und vier Jahren aus. „Man muss zwischen den Altersgruppen unterscheiden. Sie haben nicht die gleichen Bedürfnisse“, betont Manuel Achten, im Familienministerium zuständig für die Qualitätssicherung der Betreuungsstrukturen. Kleine Kinder, das betonen Experten wie der Soziologe Manfred Schenk oder die Kinderpsychologin Susanne Stroppel, bräuchten konstante gut ausgebildete Bezugspersonen. Das Gesetz für die Maisons relais unterscheidet aber nicht zwischen den Altersgruppen – und auch nicht bei den Qualifikationsanforderungen.
Das soll sich ändern, und auch hier stimmen sich Familien- und Bildungsministerium ab. „Die Weiterbildung wird ein wichtiger Schritt zu mehr Abstimmung sein“, sagt Claude Sevenig. Die Grundschullehrerin koordiniert gemeinsam mit Manuel Achten die interministerielle Arbeitsgruppe. Bereits im nächsten Jahr, parallel zur Veröffentlichung der Leitlinien über die Verzahnung von Schule und außerschulischer Betreuung, soll auch ein neues Règlement über die Maisons relais erscheinen. „Uns ist klar, dass für die unter Vierjährigen andere Standards gelten müssen“, begründet Achten.
Nur wer wird diese definieren? Auf europäischer Ebene plädiert die OECD für 60 Prozent der erzieherischen Personals mit Bachelor-Abschluss in der Früherziehung. Die Unicef empfiehlt 80 Prozent qualifiziertes Personal, davon 50 Prozent mit Bachelor. Träger wie die Caritas machen sich daher verstärkt Gedanken darüber, wie die Professionalisierung im Betreuungssektor gefördert werden könnte: Einrichtungen sollten selbst zur Weiterbildung ihrer Mitarbeiter beitragen. Als nächste Etappe zielt die Caritas darauf ab, die Crashkurse auch zertifizieren zu können. Die Uni will demnächst eine Broschüre über Qualitätskriterien in der Betreuung herausgeben.
Doch während Beamte und Träger Pläne schmieden, die weitreichende (auch finanzielle) Auswirkungen für den Sektor haben werden, ist von den Betroffenen, den Erzieher und Eltern (und Kinder) wenig zu hören. Vor allem eine Frage wird nicht debattiert: Wenn vorschulische Erziehung zunehmend von konventionierten und privaten Trägern angeboten wird und Kinder immer früher angeleitet lernen sollen, was bedeutet das dann für den öffentlichen Bildungsauftrag? Braucht es – auf lange Sicht – noch den Précoce? Das Unterrichtsministerium hat mit dem neuen Schulgesetz der Éducation précoce, nach jahrelangem Projektcharakter, einen dauerhaften legislativen Rahmen gegeben und Richtgrößen für das Précoce-Angebot der Gemeinden empfohlen. Ein Abbau sei kein Thema, heißt aus dem Ministerium. Anders sieht das offenbar die Caritas: Im Sozialalmanach 2009 nahm ihr Chefdenker Robert Urbé kein Blatt vor den Mund und forderte die „Einführung eines Qualitätskonzepts in den Maisons relais, diese sollte verallgemeinert werden und ,Crèches’ und ,Éducation précoce’ ersetzen.“ Aus dem Familienministerium klingt es verhaltener: „Auf längere Sicht kann sich die Frage stellen.“
Als die Bildung verstaatlicht wurde, geschah dies, um den gleichen Zugang für alle zu einer neutralen Bildung zu garantieren, jenseits ideologischer, religiöser und wirtschaftlicher Vereinnahmung. Inzwischen haben „diversity“-Ansätze Einzug auch in Betreuungsstrukturen konfessionell gebundener Anbieter gefunden. Aber noch entscheidet jeder Träger selbst über seine pädagogischen Schwerpunkte. Wenn es aber darum gehen soll, benachteiligten Kindern auch in der außerschulischen Erziehung landesweit die gleiche pädagogische Qualität zu bieten, müsste dann nicht dasselbe Angebot für alle gelten? Wollen die Eltern das? Wie stehen sie überhaupt zu dem Trend, dass der Staat immer früher in die Erziehung ihrer Kinder eingreift? Was für eine Förderung, was für eine Bildung wünschen sie für ihre Kleinen?
Berufsverbände der Erzieher beschwerten sich jüngst lauthals über ein zweifelhaftes Urteil zur Verantwortung bei Sicherheitsmängel. Philosophische Erörterungen über die Zukunft ihres Berufs kommt ihnen wohl nicht in den Sinn. Jedenfalls hört man von ihnen dazu nichts. Das Familienministerium hat versprochen, die Berufsverbände und die Träger ab nächstem Jahr in die Beratungen zum neuen Règlement einzubinden. Aber dann sind die neuen Spielregeln für den Betreuungssektor bereits geschrieben und das Gesetzesverfahren ist im Gang. Maria und Josef werden sich überraschen lassen müssen.