Autonome Fahrzeuge können das Leben erleichtern. Derweil sind noch ethische und technische Fragen offen

Auf dem Weg zum autonomen Fahren

d'Lëtzebuerger Land vom 19.01.2024

Der technologische Weg hin zu einem autonomen Fahrzeug hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Autohersteller, wie etwa Tesla, Mercedes-Benz, BMW und andere, sowie auch Unternehmen, die primär ein anderes Kerngeschäft betreiben (Beispiel: Robotertaxis von Waymo/Google), fördern die Entwicklung von semi-autonomen und voll-autonomen Fahrzeugen teilweise sehr massiv durch gezielte Investitionen. Die im Straßenverkehr zu beobachtenden Testfahrzeuge und die in neuen Fahrzeugen existierenden Assistenzsysteme lassen das zukünftige Fahren mehr und mehr als ein Fahren mit einem „mitdenkenden Partner“ erscheinen. Systeme, die selbständig die Spur halten oder die Spur wechseln, die einparken oder auch das Tempo adaptiv anpassen, sind hierbei fast schon selbstverständlich. Der „mitdenkende Partner“ lässt schon heute das Fahrzeug im Falle einer Gefahr selbständig bremsen oder warnt den Fahrer falls Hindernisse auftreten.

2019 hat BMW ein Forschungs- und Innovationszentrum (FIZ) in München, in dem heute mehr als 1 500 Experten arbeiten, eingerichtet. Ziel des FIZ ist es, weitere, innovative Ideen rund um die Zukunft autonomer Fahrzeuge zu entwickeln und ausgeklügelte Algorithmen, zum Beispiel für die Erfassung, Speicherung und Analyse von Daten zu realisieren und zu testen. Dazu wurde ein Rechenzentrum gebaut, um Daten in einer Größenordnung von mehreren Hundert Petabytes speichern zu können. Hierzu zählt auch die Simulation mit Hilfe von Höchstleistungsrechnern: weil nämlich Testfahrzeuge auf der Straße nicht alle Daten sammeln können, werden generell mehr als 90 Prozent der Testkilometer virtuell durch Simulation erstellt. Und um sicherzustellen, dass ein Assistenzsystem unter allen Bedingungen zuverlässig arbeitet, werden Situationen aus Realdaten identifiziert und in verschiedener Weise variiert.

Um richtige Entscheidung im Straßenverkehr treffen zu können, sind Synergien unterschiedlicher Art notwendig und von entscheidender Bedeutung: Aus technischer Sicht rund um das Fahrzeug bedeutet das konkret das Zusammenspiel einer ausgefeilten Sensorik, der Einsatz von Rechenleistung und einer integrierten Künstlichen Intelligenz. Denn damit das autonome Fahrzeug die real auftretenden Szenarien verstehen und somit am Verkehr partizipieren kann, muss es in die Lage versetzt werden, die gegebene Situation bereits mehrere Sekunden im Voraus zu berechnen. Dies gilt insbesondere, da Entscheidungen nicht nur bei Sonnenschein und am Tag zu treffen sind, sondern eben auch bei Regen, Schnee, in der Dämmerung und in der Nacht. Und idealerweise auch noch weltweit.

Dazu spielen Sensoren und Kameras innerhalb und außerhalb des Fahrzeugs eine wichtige Rolle. Das LiDAR-System (Light detection and ranging) zum Beispiel erfasst mithilfe von ausgesendeten Laserstrahlen die Umgebung und erzeugt damit ein präziseres Bild. Mit Hilfe von Radar, Audio und Ultraschall können Daten ebenfalls kombiniert und ausgewertet und etwa zur Fehlerkorrektur eingesetzt werden. Weitere Techniken sind das „Drive by Wire“, Assistenzsysteme zur Beurteilung der Fahrtauglichkeit, Aufmerksamkeit und Wachsamkeit des Fahrers (etwa durch Überwachung der Augen) und Prognosesysteme im Hinblick auf mögliche Unfallrisiken. Mit der Car2X-Technologie ist bereits eine Datenkommunikation verwirklicht, mit der die Fahrzeuge Informationen über den Verkehrsfluss oder über Gefahrenstellen austauschen können. Das geschieht bei VW zum Beispiel über WLAN, andere Hersteller setzen stattdessen auf den Mobilfunk. Natürlich spielt in diesem Zusammenhang auch die Datensicherheit eine wichtige Rolle, Stichwort: Cybersecurity.

Betrachtet man den Begriff der Synergie außerhalb des Fahrzeugs und im Zusammenspiel mit anderen Verkehrs-
teilnehmern, so sind andere Aspekte abseits der Technologie von Bedeutung. Eine sich daraus ergebende Herausforderung lautet etwa, wie sich das autonome Fahrzeug in einer unberechenbaren Welt zurecht finden kann? Etwa, wenn es auf Fußgänger, Fahrradfahrer, Kinder und ältere Menschen, die oft anders, spontan und unvorhersehbar reagieren, trifft? Oder, wenn der Polizeibeamte Anweisungen durch Handzeichen gibt, um einen plötzlich aufgetretenen Unfall zu regeln? Oder, falls ein Autofahrer, der in einem nicht-autonomen Fahrzeug sitzt, plötzlich und unvorhergesehen reagiert? Ich stelle mir das als schwierig vor.

Man denke auch an die Entscheidungsfindung in einer Notsituation: wenn ein Unfall unvermeidbar ist, muss ein autonomes Fahrzeug zwischen verschiedenen Handlungsoptionen, die auch Menschenleben gefährden könnten, wählen. Das wird vorkommen. Menschliche Fahrer haben diese Handlungsoptionen zwar auch, reagieren teilweise aber proaktiv, instinktiv und intuitiv. Es stellt sich also die Frage, ob der Begriff des autonomen Fahrzeugs nicht nur technische Aspekte einschließen darf, sondern eben auch typisch menschliche und somit weitaus mehr eine Simulation des Menschen ist, als eigentlich angedacht?

Ich werde in diesem Zusammenhang oft gefragt, ob hierzu die drei Robotergesetze nach Asimov als Modell dienen könnten und wenn ja, wie diese denn zu programmieren seien? Ich denke, dass eine Umsetzung generell schwierig werden dürfte. Denn wenn wir den Begriff „Roboter“ mit „autonomes Fahrzeug“ gleichsetzen, lauten die hierarchisch aufgebauten Robotergesetze wie folgt:Erstens darf ein autonomes Fahrzeug keinen Menschen (wissentlich) verletzen oder durch Untätigkeit (wissentlich) zulassen, dass einem Menschen Schaden zugefügt wird. Zweitens muss ein autonomes Fahrzeug den ihm von einem Menschen gegebenen Befehlen gehorchen, es sei denn, ein solcher Befehl würde mit Regel eins kollidieren. Und drittens muss ein autonomes Fahrzeug seine Existenz beschützen, solange dieser Schutz nicht mit Regel 1 oder 2 kollidiert.

Die Umsetzung der Robotergesetze könnte also allein aus versicherungstechnischen und rechtlichen Gründen schwierig werden. Auf Statistiken sollte aber nicht unbedingt vertraut werden (Stichwort: Überlebungswahrscheinlichkeit) und im Falle sogenannter Dilemmata (Stichwort: The Moral Machine) bin ich auch strikt gegen eine Quantifizierung von Menschenleben: Zwei Leben sind nicht mehr oder weniger als eins. Und jüngere Menschen sind nicht älteren vorzuziehen und umgekehrt. Möglicherweise wird das weltweit aber unterschiedlich interpretiert, sodass die Frage nach Moral und Ethik auch eine Frage nach dem gesellschaftlichen Verständnis von Leben, Gerechtigkeit und Verantwortung ist.

Wie gehts weiter? Ich denke, dass wir grundsätzlich auf einem sehr guten Wege sind. Und ich denke auch, dass autonome Fahrzeuge unser Leben bereichern können, wenn wir Menschen den selbstfahrenden Fahrzeugen vertrauen. Diverse Umfragen innerhalb der letzten zwölf Jahre zufolge zeigen dazu noch eine Unentschlossenheit und Skepsis. Offene Fragen bleiben auch, etwa auf die oben angesprochene Ethik, in Bezug auf die zu erwartenden Unfallzahlen, versicherungstechnische und rechtliche Aspekte, Preispolitik und auch gesellschaftliche Fragen im Hinblick auf eine verbesserte Einbindung leistungseingeschränkter Menschen in das tägliche Leben. Und vielleicht werden die zukünftigen Generationen ja dann auch zwei Autos besitzen: eines, das bequem und sicher zum gewünschten Ziel führt. Und eines, das uns die Freude am eigenen Fahren erhält. Ich würde es jedenfalls so machen.

Christoph Schommer
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