ACL-Direktor Jean-Claude Juchem über Transportpolitik, E-Autos und Pannen

Vom Organisator für Autourlaube zum Mobilitätsverein

d'Lëtzebuerger Land vom 19.01.2024

D’Land: Der ACL existiert seit 1932. Handelt es sich noch immer um den gleichen Verein?

Jean-Claude Juchem: Damals war der ACL ein kleiner Verein, heute zählt er 191 000 Mitglieder. Wir haben uns von einem Automobil-Club zu einem Mobilitätsverein entwickelt. Die Mitgliedschaft betrifft jeden einzelnen als Mobilitätsteilnehmer, unabhängig von seinem Fortbewegungsmittel – ob zu Fuß, dem Fahrrad, Scooter, Auto, Zug, Wohnmobil. Mittlerweile haben wir eine Maison du Cyclisme gegründet. Sie wendet sich an alle Verkehrsteilnehmer, deren Hauptverkehrsmittel das Rad ist. Etwa 50 000 Personen haben in den vergangenen Jahren eine Rad-Prämie erhalten, der Andrang ist also groß. Aber das Radpotenzial ist im Transportmittel-Mix noch nicht ausgereizt. Immer mehr Menschen steigen zudem aufs Motorrad um, weil man sich so besser durch den Stau schlängeln kann. Derzeit sind 25 000 Motorräder in Luxemburg angemeldet.

Der Verkehrssoziologe Andreas Knie sagt, in der Vorkriegszeit habe ein Auto 35-mal das Jahreseinkommen eines Arbeiters gekostet...

...Für manche gilt dieses Verhältnis in Bezug auf einige Tesla-Modelle. Das Modell S-Plaid kostet um die 130 000 Euro.

Dennoch konnten sich weniger Menschen zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Fahrzeug leisten. Waren die ersten ACL-Mitglieder reich?

Zum einen das. Zum andern waren es vornehmlich Leute, die an Autorennen teilnahmen. Die Rolle des Automobil-Club war es zudem, Autoreisen zu organisieren und sich mit Automobil-Clubs aus dem Ausland zu vernetzen – das war zentral. Auch weil Autopannen damals noch viel mühsamer sein konnten.

Wer ist heute das typische ACL-Mitglied? Der nicht mehr ganz so junge Mann? An einer internen ACL-Umfrage im September haben 4 700 Männer, circa 1 990 Frauen und wenig Jüngere teilgenommen

Repräsentativ sind die Umfrage-Teilnehmer nicht. Vielleicht sind Männer stärker an Mobilitätsthemen interessiert. Wir lancieren diese Woche einen Aufruf, um mehr Frauen in die Debatte einzubinden, damit sie ihre Perspektive einbringen – Kinder, Einkaufen, Vereinsleben. Die jungen Menschen absolvieren die Führerscheinprüfung etwas später als noch vor ein bis zwei Dekaden. Die Zahl an Führerscheinprüfungen blieb in den vergangenen Jahren jedoch in etwa konstant. Ausschlaggebend ist aber letztlich, ob man im urbanen oder im ländlichen Raum wohnt. In Luxemburg-Stadt ist nichts an der Verkehrsinfrastruktur auszusetzen. Wer in einem Dorf wohnt, ist hingegen auf ein Auto angewiesen. Ich wohne in Koerich – meine Kinder konnten es kaum erwarten, den Lappen in der Hand zu halten.

Der ACL zählt 200 Mitarbeter. Finanziert er sich integral über seine Mitglieder?

Ja. Der Großteil arbeitet im Call-Center und im Pannendienst.

Landesplannung, Arbeitsmarktentwicklung und Mobilität hängen zusammen. Welche Stellschrauben könnten das Verkehrsnetz entlasten?

220 000 Grenzgänger arbeiten hier. 240 000 der Einwohner Luxemburgs sind berufstätig. All diese Menschen bewegen sich zwischen 6 und 9 Uhr Richtung Zentrum und zwischen 17 und 19 Uhr vom Zentrum weg. Oft sind die Menschen dabei immobil, weil sie im Stau stehen, das ist mental extrem belastend. Vielleicht hilft hier eine andere Form von Immobilität weiter: Ein Tag Home Office bedeutet 20 Prozent weniger Fahrten pro Woche. Das andere Stichwort lautet Dezentralisierung – die großen Unternehmen müssten Bürogebäude in der Grenzregion errichten. Ideal wäre, wenn die Menschen dort zur Arbeit gehen könnten, wo sie wohnen.

Das Gegenteil ist häufig der Fall ...

… in den letzten zehn Jahren sind 16 000 Luxemburger nach Lothringen gezogen, an der deutschen und belgischen Grenze sind die Zahlen ähnlich. Hinzu kommt, dass ein Großteil Schichtarbeit leistet sowie abends oder an Wochenende arbeitet, für sie gibt es kein passendes öffentliches Transportangebot.

Ein Teil der Pendler fährt allerdings mit in Luxemburg angemeldeten Fahrzeugen, man muss deren Autos somit nicht zu den hier bereits angemeldeten hinzurechnen.

Vor 20 Jahren fingen die Big Four an – die damals einen gewaltigen Aufschwung verbuchten – attraktive Angebote für Dienstwagen anzubieten, eben auch für im Ausland lebende sogenannte Talente. Wegen Parkplatzmangel ist dieser Trend am Abebben, auch die großen Unternehmen können all ihren Mitarbeitern keine Stellplätze mehr anbieten. Heute stellt sich neben dem Preis eines Autos auch der eines Parkplatzes: In den neuen Wohngebieten rund um die Stadt kostet ein Parkplatz 85 000 Euro. In Luxemburg-Stadt sind in manchen Vierteln nur 0,5 Parkplätze pro Wohneinheit vorgesehen und die Autos werden immer größer – es sieht nicht danach aus, als würde der Preis fallen.

Das Portemonnaie Ihrer Mitglieder wollen Sie in mehreren Hinsichten beschützen, denn Radare waren für den ACL keine Priorität in der Straßensicherheitspolitik?

Aus Sicht des Staates kann man sagen, es ist ein hervorragendes Instrument, um Einnahmen zu generieren. Da wir in Luxemburg aber viele Autofahrer zählen, machen sie dennoch Sinn und tragen zur Sicherheit im Straßenverkehr bei. Aber nicht immer: Wenn ich auf der A6, der Autobahn, die von Arlon nach Luxemburg-Stadt führt, unterwegs bin, tuckere ich zumeist mit 30Kilometer pro Stunde (lacht).

Die Politik will, dass der Fuhrpark 2030 zur Hälfte mit Elektro-Antrieb ausgestattet ist. Welche Entwicklung beobachtet der ACL ?

Von den 453 500 in Luxemburg angemeldeten Fahrzeugen (Stand November) sind fünf Prozent Elektroautos. Innerhalb von sechs Jahren müsste es zu einer regelrechten Umwälzung kommen, um das Ziel doch noch zu erreichen. Ein E-Auto ist rund 10 000 Euro teurer als ein Verbrenner. Der Markt ist aber dabei, sich zu verändern: Stellantis lanciert einen Elektro-Citroën für um die 25 000 Euro, Renault auch. Und derzeit drängen auch massiv chinesische Autos auf den Markt; am bekanntesten ist MG, früher eine britische Marke. Wir haben ein E-Auto der Marke MG getestet und festgestellt, dass das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt.

Sie haben öfters kritisiert, dass die Ladeinfrastruktur noch nicht an den Wandel angepasst ist.

In Luxemburg befinden sich 800 Ladestationen, plus Schnellladestationen; in den Nachbarländern ist die Dichte nicht so hoch. Da in Luxemburg viele Einwohner Eigenheimbesitzer sind, ist es für sie vergleichsweise unkompliziert, eine Ladestation zu installieren. Anders sieht es für Mieter aus. Und auch manche beliebte Urlaubsregionen sind nicht besonders gut ausgestattet. Hinzu kommen technische Probleme: Hier am ACL-Sitz wurden drei Stationen installiert. Für weitere reichen die Leitungen nicht aus. Vor dem gleichen Problem stehen andere Unternehmen auch. Wie schnell sich das E-Auto durchsetzt, ist auch eine Frage der Förderpolitik. In Deutschland wurde sie abrupt gestrichen. Das schafft Unsicherheit bei den Autokäufern.

Wenn sich das E-Auto durchgesetzt hat, ist Luxemburg kein Tankstellenland mehr?

Luxemburg zählt 245 Tankstellen. In den letzten Dekaden unterlagen sie einen stetigen Wandel: In jeder Tankstelle befindet sich mittlerweile ein Supermarkt, gelegentlich auch Speiseangebote. Sie generieren 800 Millionen Euro Akzisen nur auf dem Brennstoff. Hinzu kommen die Steuereinnahmen auf dem Alkohol und dem Tabak, die in den Tankstellen verkauft werden. Für den Staat ist das nicht unerheblich. Tankstellen entwickeln sich zu Multienergie-Anbietern mit Gaststättenflair.

Das Kerngeschäft des ACL sind Autopannen. Wie oft ist sein Dienst im Einsatz?

45 000 Panneneinsätze zählten wir letztes Jahr. Das heißt,jeder Vierte unserer Mitglieder ist betroffen; oder anders gerechnet, innerhalb von vier Jahren kommt jeder einmal an die Reihe. Die Hälfte der Pannen können unsere Dienste vor Ort beheben. 9 000 Batterien wechseln wir im Jahr aus – Batterieausfälle machen die häufigsten Pannenursachen aus, dicht gefolgt von Reifenschäden. Autopannen nehmen zu, da der Fahrpark immer älter wird. Im Schnitt sind die Autos auf unseren Straßen achteinhalb Jahre alt, in Frankreich ist ein Auto im Schnitt zwölf Jahre alt. Das ist durch den Technologiewandel bedingt, viele warten, bis E-Autos günstiger werden. Ein weiterer Grund sind die hohen Energiepreise, die Inflation und die Lieferengpässe, die dazu führten, dass weniger Personen sich ein neues Auto anschafften.

Kommt es auch zu außergewöhnlichen Vorfällen ?

Neulich ist eine Frau mit sechs Hunden auf ein Hochzeitsfest gefahren, da wurde es kompliziert, ein passendes Ersatzauto zu finden.

Als vor zwei Wochen Straßen überschwemmt waren, sind manche mit ihrem Auto dem Hochwasser entgegengefahren …

Et gëtt vun allem. Die meisten Pannen sind unverschuldet. Im Juli 2021 waren dramatische Szenen nach dem Hochwasser für unsere Dienste zu beobachten: Ganze Tiefgaragen waren überschwemmt, da war mehr als die Batterie kaputt. Etwa 150 000 Anrufe gingen letztes Jahr ein. Die meisten rufen montags an, weil sie die Mitarbeiter nicht an den Wochenenden stören wollen, dabei sind wir zu jeder Zeit erreichbar.

Im Juli 2012 stieg der ACL unter dem Präsidenten Yves Wagner mit Yellow-Cab ins Taxisgeschäft ein. Genau, zwei Jahr später, im Juli 2014, stellten Sie als neuer Direktor die Yellow-Cabs ein.

Ich habe diese Entscheidung getroffen, denn es ist nicht die Aufgabe des ACL als Verein, der vom Geld der Beitragszahlenden lebt, eine Konkurrenz zu Taxiunternehmen herzustellen. Mit dem Yellow-Cab haben wir für die Preispolitik im Taxigeschäft sensibilisiert. Die Preise sind aber weiterhin sehr hoch.

Dabei könnte es eine Zukunft für Auto-on-demand-Modelle geben.

Die junge Generation ist nicht mehr so autovernarrt, sie wird womöglich ihr Budget besser im Auge behalten und sich fragen: Muss ich ein Auto besitzen, um Auto zu fahren? Oder kann ich auf Leihdienste zurückgreifen? Expat die aus großen Städten stammen, pflegen zudem andere Mobilitätsgewohnheiten. Man sieht, dass diese Gruppe eher ohne Auto in Luxemburg-Stadt lebt. In den kommenden Monaten werden wir unsere Leihdienste bekannter machen.

Stéphanie Majerus
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