Kündigen Alters- oder Pflegeheime an, ihre Unterbringungspreise zu erhöhen, schlägt das Wellen. Vergangenen Sommer war es wieder soweit: Das Altersheim der Fondation Pescatore in Luxemburg-Stadt und das der Sainte-Élisabeth in Berbourg, sowie die Pflegeheime in Bettemburg und Wasserbillig gaben bekannt, die Preise anzuheben.
Anfang 2016 meldeten auch die kommunalen Hospices civils in der Hauptstadt: Der Preis für Zimmer bis 30 Quadratmeter werde ab 1. April um 108 Euro erhöht, der für größere Zimmer um 150 Euro. Leider würden die Hospices civils mit einem Defizit rechnen. 108 beziehungsweise 150 Euro Preissteigerung sind nicht gerade wenig. Momentan belaufen sich die Zimmerpreise in den beiden Altersheimen der Hospices civils in Pfaffenthal und Hamm auf 2 451 bis 2 796 Euro im Monat.
Der Protest auf die Ankündigungen hin blieb nicht aus. Die Gewerkschaften gaben schon im vergangenen Jahr dem Zukunftspak der Regierung die Schuld. Denn die Heime nehmen eine Mischfinanzierung vor: Sie decken ihre Kosten einerseits aus den Heimpreisen. Zweitens aus Krankenpflegeleistungen an ihren Bewohnern, die die Krankenversicherung bezahlt. Drittens schließlich aus Pflegeleistungen, für die die Pflegeversicherung aufkommt. Die Ausgaben der Pflegekasse aber will der Zukunftspak besonders begrenzen.
Der LCGB führt den Kampf weiter, nunmehr gegen „Intransparenz“. Vor zwei Wochen verlangten Vertreter der christlichen Gewerkschaft bei einem Treffen mit Sozialminister Romain Schneider (LSAP), eine „ausführliche Studie“ über die Heimpreise: Die Bewohner der Heime könnten weder die Preisbildung noch die Gründe für Preiserhöhungen nachvollziehen.
„Hinzu kommt, dass sich bei steigenden Preisen immer weniger Leute einen Heimaufenthalt aus eigener Tasche leisten und auf einen Zuschuss aus dem Nationalen Solidaritätsfonds angewiesen sind“, sagt der stellvertretende LCGB-Generalsekretär Christophe Knebeler. Deshalb habe man gegenüber dem Minister noch darauf bestanden, die Mindestbeträge für den Zuschuss zu erhöhen (siehe „Das Solidarprinzip“). Das hat vor sechs Wochen auch die ULC verlangt.
Die Beschwerden und Forderungen leuchten ein. Heimpreise von 2 500 Euro und mehr – die Häuser der Hospices civils sind keineswegs die teuersten im Lande – sind für Bezieher der Mindestrente, die im Moment bei 1 721 Euro nach vierzig Beitragsjahren liegt, unerschwinglich. Es sei denn, die Familie springt ein oder man zehrt sein Erspartes auf. Oder beantragt die Stütze aus dem Solidaritätsfonds, was jedoch voraussetzt, das persönliche Vermögen weitgehend in die Unterbringung im Heim zu stecken. Das findet LCGB-Mann Knebeler „entwürdigend“. Die ULC ist sogar prinzipiell der Ansicht, „es kann nicht sein, dass ältere Mitbürger, die ihr ganzes Leben hart im Interesse der Menschen und zum Wohle des Landes gearbeitet haben, sich in ihrem fortgeschrittenen Alter an den Fonds national de solidarité wenden müssen, um sich überhaupt noch einen Platz in einem Altersheim leisten zu können“. Deshalb müssten „Staat und Gemeinden endlich mehr öffentliche Mittel“ für die Heime bereitstellen.
Schon heute aber fließt in die Heime viel öffentliches Geld. Neu- und Ausbauten bezahlt die öffentliche Hand zu 70 bis 100 Prozent, ähnlich wie bei den Spitälern und egal ob der Heimbetreiber ein öffentlich-rechtlicher oder eine Aktiengesellschaft ist. Von den Ausgaben der Pflegekasse, über die die Heime sich unter anderem finanzieren, trägt der Staat zwei Fünftel. Sollte es noch mehr sein, um die Heimpreise zu drücken?
Dass sich ihr ein politisches Problem stellt, hat die Regierung durchaus erkannt. 90 Prozent der Insassen von Alters- und Pflegeheimen sind laut Statistik des Familienministeriums Luxemburger. Also kann, wer etwas an der Preisfront unternimmt, sich beliebt machen bei älteren Wählern und deren Familien. Dass der Zukunftspak im Pflegebereich mehr Schwierigkeiten geschaffen hat, als man wollte, hat die Regierung schon eingeräumt. Der CNS, die die Pflegekasse verwaltet, wurde gestattet, durch Überbrückungskredite Heimen und mobilen Pflegediensten zu helfen, die „nachweislich“ durch das Sparpaket in Bedrängnis gerieten.
Doch die Lage ist noch komplexer. Es fragt sich ja, wieso die Preise so hoch sind, wie sie zustande kommen, wann und weshalb ein Heimbetreiber sie erhöht. Neue Fragen sind das nicht. In den Neunzigerjahren war gehofft worden, die Pflegeversicherung, die 1999 in Kraft trat, werde die Preise sinken lassen. Zum öffentlichen Erstaunen aller Verantwortlichen aber stiegen sie; die erste Bilanz zur Pflegeversicherung befasste sich 2001 damit. Schon damals hieß es, die Preise seien „intransparent“, und ob nicht eine zentrale Preisliste aller Häuser her müsse. Die jedoch gibt es bis heute nicht.
Grund dafür ist, dass im Alten- und Pflegeheimbereich wie überhaupt im ganzen Pflegewesen Marktfreiheit herrscht. Die Preise zu veröffentlichen, ist daher lediglich eine Bitte des Familienministeriums, das für die Altenpolitik zuständig ist, aber keine Vorschrift. Der Staat habe sich aus der Preispolitik der Häuser herauszuhalten, lautete das Credo, als die CSV im Familienministerium das Sagen hatte. DP-Ministerin Corinne Cahen sieht das genauso. Gegenwärtig macht nur jeder vierte Heimbetreiber seine Preise im Internet publik.
Die Marktfreiheit ist politisch gewollt. Ein gut ausgebauter Heimsektor war ein wichtiger Fundus der CSV. Ihre Regierungsmitglieder sorgten dafür, dass die Kapazität der Heime massiv wuchs. Sie liegt heute bei 2 192 Betten in Pflege- und 3 991 Betten in Altenheimen; damit ist in Luxemburg die Bettenzahl pro Kopf der über 65-jährige Bevölkerung eine der höchsten in Europa. Und offenbar wird längst nicht jeder Heimplatz von Pflegebedürftigen belegt: In den Pflegeheimen traf das im vergangenen Jahr auf 91 Prozent der Plätze zu, in den Altenheimen nur auf knapp zwei Drittel. Von neu aufgenommenen Bewohnern waren 2015 in den Pflegeheimen vier Fünftel pflegebedürftig, in den Altenheimen nur 53 Prozent. Das Altenheim als Ort, wo man einen schönen Lebensabend in einem hotelähnlichen Ambiente verbringt, wie es die Werbung mancher Heimbetreiber suggeriert, hat anscheinend durchaus etwas mit der Wirklichkeit zu tun. Genauso hatte sich die CSV das auch immer gedacht. Dass die aktuelle Regierung in ihr Koali-tionsprogramm schrieb, keine neuen Heimplätze zu schaffen, und einen Schwerpunkt auf „alternative Wohnformen“ für Ältere legt, kam einem Paradigmenwechsel gleich.
Da die Heime in Konkurrenz stehen und die 6 200 Plätze nur zu etwa 80 Prozent ausgelastet sind, ist die Frage, wie sich das große Angebot im kleinen Land finanziert, eine umso kritischere. Lange wollte das niemand wirklich wissen. Bis vor neun Jahren das CSV-geführte Familienministerium und das LSAP-geführte Sozialministerium darüber in Streit gerieten, wie viel die Pflegeversicherung zur Finanzierung der Heime beitragen müsse und ob es „Querfinanzierungen“ aus Pflegeleistungen zur Kostendeckung anderer Leistungen geben dürfe. Kurz zuvor waren Leistungen, die der mobilen Pflege zuhause vorbehalten sein sollten, weil die eigentlich Priorität hat, auch auf die Heime ausgedehnt worden: Die Branche sollte weiter wachsen.
Die damalige CSV-Familienministerin Marie-Josée Jacobs und LSAP-Sozialminister Mars Di Bartolomeo gaben dazu 2007 eine Studie Auftrag gaben. Ihre Vorbereitung dauerte Jahre, und das sicherte den Heimen zunächst weiterhin Extra-Geld aus der Pflegekasse, das das Sozialministerium eigentlich von dort hatte abziehen wollen. 2010 und 2012 schließlich wurden, unter wissenschaftlichem Beistand aus dem Ausland, von der CNS riesige Datensätze über die Kosten der Heime produziert. Die Auswertung ergab: Die Grundpflege der Heimbewohner ist kostendeckend durch die Pflegeversicherung finanziert. Die Gesundheitsleistungen sind leicht defizitär – vor allem, weil die Häuser auch Dinge anbieten, die im Katalog der Krankenversicherung nicht existieren. Noch defizitärer sind die „Hotellerie-Leistungen“ für die Bewohner, ob sie pflegebedürftig sind oder nicht, und die im Heimpreis inbegriffen sind.
Was die Heime am Ende rettet, so dass 2010 und 2012 von 50 Heimen nur zwei bis vier budgetäre Schwierigkeiten hatten, ist die ominöse „Unterstützung“, die in Luxemburg als einzigem Land der Welt die Pflegekasse bezahlt. Durch sie finden Querfinanzierungen statt. Werden Heimbewohner vor den Fernseher gesetzt, kann das eine „animation socio-culturelle“ sein, die allen geboten wird und für die man annehmen könnte, der Heimpreis decke sie, oder eine „garde en groupe“, mit der Pflegebedürftigen die Zeit vertrieben werden soll, während eine Pflegekraft danebensitzt. Dafür zahlt die Pflegekasse. Genau auseinanderhalten lässt sich das aber kaum.
Dienlich ist die Querfinanzierung vor allem der Deckung der Personalkosten. Pflege und Heimbetreuung sind personalintensiv, 70 bis 75 Prozent der Ausgaben wenden Heime für ihr Personal auf. Weil kurz vor Ende der Diskussionen um die Pflegeversicherung der damalige Caritas-Präsident Erny Gillen und der damalige OGBL-Präsident John Castegnaro vereinbarten, im Pflegesektor solle ein „starker“ Kollektivvertrag ausländische Konkurrenz abschrecken, genießen sämtliche Mitarbeiter von Pflegeeinrichtungen Gehaltsbedingungen, die sich, wie auch in den Spitälern, am öffentlichen Dienst orientieren. Vor allem deshalb sind die Heimpreise hoch. Sie sind teuer, weil in Luxemburg alles teuer ist, sofern der Staat es nicht subventioniert. Darin liegt der Hauptgrund für den Aktivismus des LCGB: Es soll nicht so aussehen, als hingen die jüngsten Preissteigerungen mit den laufenden Kollektivvertragsverhandlungen zusammen. Die sollen die Reform des Beamtenstatuts nachvollziehen, aber nicht nur die 2,2-prozentige Punktwerterhöhung und die Einmal-Prämie von 0,9 Prozent, sondern zusätzlich noch Laufbahnaufbesserungen für die Mitarbeiter. Dass die Aufbesserungen geschuldet seien, hatte die Regierung im November 2014 den Gewerkschaften schriftlich gegeben, als sie sich deren Zustimmung zum Zukunftspak erkaufte. Heime, die ihre Preise erhöhen, weil sie unter Kostendruck stehen, nehmen den Kollektivvertrag ein Stück weit vorweg. Was die Gewerkschaften natürlich wissen, ebenso, wie sie die Studie der CNS kennen, deren Vorstand sie angehören.
Deshalb ist es löblich, aber gar nicht leicht umzusetzen und könnte neue politische Probleme schaffen, wenn der Sozialminister „Transparenz“ verspricht und die Familienministerin erklärt, ihr sei „klar, dass die Heimbewohner als Nutzer einer Dienstleistung ein Recht auf Preistransparenz und einen soliden Verbraucherschutz haben“. Corinne Cahen hat dazu eine ministeriumsinterne Arbeitsgruppe eingesetzt und will „eine breite Diskussion mit dem Parlament und den betroffenen Kreisen führen“.
Denkbar scheint aber, dass die Zuwendungen aus dem Solidaritätsfonds erhöht werden. In den letzten drei Jahren nahmen sie jeweils um die 700 Personen in Anspruch, ungefähr jeder siebte in einem Heim Versorgte. Ausreichend aber ist, was der Fonds zahlt, womöglich nicht mehr: Seine Leistungen sind indexgebunden, doch die letzte Tranche fiel im Herbst 2013 an und vorher war der Index jahrelang „moduliert“ worden. Bedenkt man noch, dass unter der vorigen Regierung auch die Rentenanpassung an die Reallöhne bald gestrichen, bald verzögert wurde und erst Anfang dieses Jahres eine Erhöhung um 0,5 Prozent (oder 9,60 Euro auf der Mindestrente) anfiel, dürften finan-ziell schlechter gestellte Heiminsassen tatsächlich besonders stark unter Hochlohnpflege und der Sparpolitik der jüngeren Vergangenheit leiden.