Es war eine ihrer ersten Aktionen, die Corinne Cahen (DP) ankündigte, als sie das Amt als Familienministerin antrat: Sie wolle jene Konventionen, die ihr Ministerium mit diversen sozialen Trägern abgeschlossen hat, überprüfen. Als das Land ein Jahr später, im November 2014, nachhakte, war von dem Elan nicht mehr so viel zu spüren: Die größeren Träger würden ausgespart, so Cahen, da diese unter das ASFT-Gesetz fielen und das eine Reform des Gesetzes impliziere. Ihre Prüfung werde sich auf die Beratungsstellen und Organisationen konzentrieren, die dem Gesetz nicht unterliegen. Was aus dieser Prüfung, zwei Jahre später, geworden ist, darüber hat die Öffentlichkeit bisher nichts erfahren.
Und doch: Im Sozialsektor grummelt es, weil sich einige Träger Sorgen um ihre Zukunft machen. Laut sagt das zwar niemand, aber hinter vorgehaltener Hand wird moniert, dass Projekte, die jahrelang in der maßgeblichen Kompetenz eines Trägers lagen, plötzlich einem Konkurrenten übertragen würden. Dabei geht es um soziale Dienstleistungen im Bereich etwa der Armutsbekämpfung, der Altenhilfe oder der Behindertenhilfe, für die Cahen zuständig ist. Ähnliche Befürchtungen haben aber auch Anbieter von Erziehungshilfen, die ins Ressort des Jugendministeriums fallen.
Dass diese Kritik nicht laut geäußert wird, liegt wahrscheinlich nicht nur an der Sorge, beim wichtigsten Financier der eigenen Arbeit, dem Staat, anzuecken. Sondern vielleicht auch daran, dass man früher selbst einmal von dem System profitiert hat – und mit dem politischen Wechsel an der Spitze der Verwaltung sich der Zugang zu Geldtöpfen erschwert.
Das macht die Kritik aber nicht unzulässig oder falsch: Tatsächlich verläuft die Auftragsvergabe im sozialen Sektor teilweise alles andere als transparent. Klassischerweise geht sie so: Der Staat schließt mit freien Trägern Konventionen ab, etwa im Bereich der Heimerziehung, bei der Erwachsenenberatung oder der Beratung und Betreuung von Flüchtlingen, Drogenabhängigen oder Obdachlosen, um nur einige zu nennen. Durch diese Konventionen verpflichten sich die Anbieter, bestimmte soziale Leistungen zu erbringen. Das kann die therapeutische Behandlung von verhaltensauffälligen Jugendlichen sein, die Unterbringungen von Obdachlosen in kalten Wintern, die Versorgung von Armen mit Kleidung und Essen, und, und, und. Dafür stellt der Staat ein Budget für Personal und Betriebskosten zur Verfügung.
Mit dem Gesetz zur Jugendhilfe wurde bei den Familienhilfen diese Verfahrensweise so umgestellt, dass statt der Fehlbedarfsfinanzierung nunmehr Fallpauschalen in Form von Tages- oder Stundensätzen für verschiedene sozial-pädagogische und therapeutische Hilfen gewährt werden.
Diese neue Volatilität mag erklären, warum nun manche Leistungsanbieter um ihre Existenz bangen: War ihr Foyer oder ihre Wohngruppe früher mal nicht voll belegt, hatten sie dennoch die Gewissheit, nicht sogleich finanzielle Einbußen fürchten mussten. Diese Sicherheit gibt es nicht mehr. Und das war auch das Ziel der Reform, die unter Führung der damaligen CSV-Ministerin Marie-Josée Jacobs und ihres später für die CSV ins Parlament gewechselten, ersten Chefberaters Mill Majerus ausgearbeitet wurde. Der Staat hoffte so, besseren Einblick – und eine bessere Kontrolle – über die Ausgabenentwicklung im boomenden Sozialbereich zu bekommen.
Dass dies gelungen ist, muss man fünf Jahre später bezweifeln. Im Bereich der Familienhilfen etwa schnellten die Ausgaben binnen zwei Jahren um 189 Prozent in die Höhe, bei den psychotherapeutischen Beratungen sogar um 300 Prozent. Kenner des Sektors berichten, seit Inkrafttreten des Gesetzes würden neue Anbieter mit immer neuen Hilfen entstehen – ohne unbedingt das nötige Fachwissen und Personal zu haben. Gleichzeitig gerieten alt eingesessene Vereine, die als Pioniere verschiedene Angebote aufgebaut hätten, wegen des zunehmenden Verwaltungsaufwands und der Kosten für die Professionalisierung ihres Personals unter Druck.
Das ist nicht per se schlecht, denn der ambulante Bereich beispielsweise galt lange Zeit als unterentwickelt. Im Norden etwa fehlen bis heute adäquate therapeutische Infrastrukturen für verhaltensauffällige Kinder. Das Problem ist nur: Wie stellt der Staat, der die Leistungen größtenteils finanziert, sicher, dass die neuen Anbieter, die auf den Markt drängen, qualitativ in Ordnung sind?
Im Prinzip regelt das ASFT-Gesetz von 1998 die Beziehungen zwischen dem Staat und den freien Trägern: Nur diejenigen, die ein Agrément haben, also staatlich anerkannt und zugelassen sind, dürfen ihre Leistungen anbieten. Der Staat prüft einmal bis zweimal jährlich im Rahmen der ministeriellen Haushaltsplanung, ob Maßnahmen und Leistungen richtig berechnet wurden. In Jahresbilanzen legen die Anbieter Rechenschaft über getane Arbeit ab.
Aber mit der Qualität und der Kontrolle ist das so eine Sache. Zum einen hat es lange gedauert, bis überhaupt im Sektor Jahresberichte zur Regel wurden. Noch immer sind nicht alle Tätigkeitsberichte frei zugänglich, oder sie lesen sich wie eine Aneinanderreihung von Projekten und Ausgaben, ohne sich kritisch mit den eigenen Zielen und der eigenen Performance auseinanderzusetzen. War die Maßnahme wirklich geeignet, die Ziele zu erreichen, oder müssten Korrekturen vorgenommen werden? Was müsste besser oder anders organisiert werden? Gibt es Nachschulungsbedarf? Weil der Tätigkeitsbericht als Grundlage für staatliche Subventionen gilt, steht dort selten etwas drin, das die eigene Arbeit in Frage stellen würde. Mitarbeiter sozialer Einrichtungen monieren die fehlende Feedback-Kultur seit Jahren, doch auch sie wollen nicht zitiert werden aus Angst, der Arbeitgeber könnte ihre Kritik als geschäftsschädigende Nachrede auffassen.
Selbst Insider aus dem Ministerium sagen, dass die Kontrolle der hunderten von Asbl und ihrer Angebote im sozialen Sektor die „Achillesferse“ darstellt. Inzwischen wird zwar beteuert, Kontrollen würden ernster genommen, aber laut Tätigkeitsbericht des Familienministeriums besuchten die staatlichen Kontrolleure von 19 Seniorenklubs im Land gerade mal einen (kontrolliert wurden zehn), von 31 Centres intégrés pour personnes agées bekamen sieben Besuch durch die Kontrolleure. Außerhalb des Altenbereichs nennt das Familienministerium 15 weitere Kontrollen „sur dossier“, wobei unklar bleibt, wo genau diese stattgefunden haben.
Eine wirksame Qualitätssicherung aber kann nur gelingen, wenn diese Kontrollen regelmäßig, umfangreich und für alle nachvollziehbar durchgeführt werden. Das Ministerium geht hier nicht gerade mit gutem Beispiel voran.
Inzwischen gibt es bei Kernthemen zunehmend ein Projektmanagement entlang von Aktionsplänen und überprüfbaren Zielgrößen, etwa im Behindertenbereich. Aber selbst dort lässt die Evaluierung zu wünschen übrig, reklamieren Betroffene die langsame Umsetzung und Unterfinanzierung. Weil bei der Evaluierung vor allem staatlich-finanzierte Behindertenorganisationen zu Wort kommen, bestehen die Betroffenen auf einen Schattenbericht aus ihrer Sicht. Immerhin: Der Staat kann es sich nicht mehr so leicht machen wie früher und muss mehr Rechenschaft ablegen.
Die Luxemburger Spezifizität des konventionierten Sektors ist historisch gewachsen – und wurde lange Zeit als die beste Lösung gesehen, um Fachlichkeit aufzubauen und den Sozialsektor zu entwickeln. Die besondere Konstruktion hat den Vorteil, dass der Staat relativ nah an den Anbietern dran ist und nicht: Über Plattformen, Dachverbänden wie den Ententes der Träger wurde und wird miteinander kommuniziert, können Ideen und Projekte angeschoben und (weiter)entwickelt werden. Zudem sitzen hohe Beamte der Regierung in strategisch wichtigen Verwaltungsräten, etwa Marc Colas aus dem Staatsministerium bei der Œuvre de secours Grande-Duchesse Charlotte, die ursprünglich als Kriegsopferhilfe heute mit Millioneneinnahmen aus der Nationallotterie soziale Projekte unterstützt, oder neuerdings die Juristin und Staatsrätin Héloïse Bock bei Servior, dem größten sozialen Dienstleistungsanbieter im Bereich Altenhilfe.
Ein Beamter aus dem Ministerium beschreibt den Vorteil so: „Wir tauschen Ideen aus. So bekommen wir mit, was im Sektor läuft und profitieren wir von den Innovationen und sie von uns.“ Vorausgesetzt natürlich, das Ministerium hat klare Vorstellungen, verfügt selbst über genügend Expertenwissen und macht eine progressive Politik, die sich an den Bedürfnissen der Leistungsempfänger und an den Kompetenzen der Akteure orientiert – und nicht etwa an politischem Kalkül.
Das war viele Jahre nicht so sicher. Manche Akteure hören das nicht gerne und streiten ab, dass eine ideelle Nähe mit Regierungsparteien für das eigene Weiterkommen vorteilhaft war (und vielleicht noch ist). Aber es ist ein offenes Geheimnis, dass unter einer christlich-sozialen Familienministerin konfessionelle Träger Boom-Jahre erlebten, während das Gesundheitsministerium als sozialdemokratisch gefärbtes Pendant aufgebaut wurde. Diese politische Tektonik erklärt auch, warum einige Dienste, die thematisch eher ins Familien- respektive Sozialressort gehörten, beim Gesundheitsministerium angesiedelt sind und umgekehrt. Dieselbe politische Einfärbung prägte viele Jahre die Vergabepraxis bei den Beschäftigungsinitiativen und in der Solidarwirtschaft – bis diese sich durch Misswirtschaft und Missmanagement selbst diskreditierten.
Mit einer Regierung mit zwei liberalen Ministern in zentralen sozialen Ressorts könnte man nun erwarten, dass die alte Funktionsweise überdacht würde. Die DP hat, ideologisch bedingt, keine besondere Affinität mit dem sozialen Sektor. Und könnte folglich auf gewachsene Beziehungen und Pfründe weniger Rücksicht nehmen.
Aber zum einen lassen sich historisch über Jahrzehnte gewachsene Strukturen nicht von heute auf morgen verändern. Zum anderen spricht die neue Regierung zwar gerne von Modernisierung. Aber wie diese im sozialen Sektor aussehen soll, ist bisher kaum ersichtlich. Und dass auch einer DP Nepotismus und klientelistisches Gebaren nicht fremd ist, konnte man bei den jüngsten Stellenbesetzungen sehen (siehe d’Land vom 10.7.2015). Nachzuweisen, dass jemand aufgrund besonderer Kontakte einen Auftrag finanziert bekommen hat, ist schwierig, egal ob, unter einer schwarzen Ministerin oder einer mit blauer Parteikarte.
Gleichwohl wäre es, um den Verdacht der Klientelpolitik auszuräumen, ein idealer Moment, sich über andere transparentere Vergabepraktiken Gedanken zu machen. Das war schließlich auch ein Versprechen der DP-LSAP-Grünen-Regierung. Im Bausektor müssen öffentliche Aufträge, die eine bestimmte Höhe überschreiten, ausgeschrieben werden. Im sozialen Sektor gibt es das nicht, außer es handelt sich um von der EU über den Europäischen Sozialfonds finanzierte Aktivitäten. Ideen werden hierzulande meist von freien Trägern ausarbeitet und dann dem zuständigen Ministerium vorgeschlagen. Je nachdem, wie überzeugend das Projekt ist und ob es in die jeweilige politische Linie und die allgemeine Haushaltslage passt, wird das Projekt finanziert, oder auch nicht.
Eine regelrechte Plattform, wo das Ministerium für alle nachvollziehbar Bedarfe anmeldet und sich Träger, große wie kleine, nach transparenten Kriterien bewerben können, existiert nicht. Bei Ausschreibungsverfahren seien kleinere Anbieter im Nachteil, geben Kritiker zu bedenken. Sie könnten sich die Bürokratie rund um aufwändige Ausschreibungen nicht leisten. Aber muss es wirklich gleich so kompliziert wie bei dem europäischen Sozialfonds sein? Wären nicht schlankere Ausschreibungen denkbar, wo nicht der Preis, sondern die Qualität der angebotenen Leistung ausschlaggebend ist? Warum nicht zum Beispiel staatliche Ideenwettbewerbe im sozialen Sektor ausrufen und diesen fair und zugänglich für alle gestalten? Mit einer staatlich garantierten Anschubfinanzierung könnten sich erfolgversprechende Innovationen testweise einführen und auswerten lassen. Dafür bräuchte es im Ministerium Fachleute, die so etwas organisieren und beurteilen können. Oder die erwiesene Experten zu Rate ziehen. Vor allem aber setzt es voraus, dass die Regierung ein wirkliches Interesse hat, für mehr Transparenz, Fachkompetenz und Fairness zu sorgen.