Zwei Wochen ist es her, dass die Qualität der Brustkrebsbehandlun-gen in die Diskussion geriet. Gesundheitsminister Mars Di Bartolomeo (LSAP) hatte in einem Interview erklärt, von 57 Gynäkologen, die hierzulande Brustkrebs operieren, würden 63 Prozent dies weniger als sieben Mal im Jahr tun. Laut „europäischen Richtlinien“ aber sei ein Operateur erst bei wenigstens 50 Eingriffen im Jahr „richtig gut“.
Die Fachgesellschaft der Gynäkologen sah darin „tendenziöse Unterstellungen“: Dass die Brustkrebs-Sterberate seit Jahren rückläufig ist, beweise, dass man Qualität produziere. Die Opera-tionen seien lediglich ein Glied einer ganzen Behandlungskette. Die Behandlung von Krebspatienten erfolge generell im multidisziplinären Team, und das sei schon lange so.
Doch an der Qualität dieser Teamarbeit sind Zweifel angebracht; zumindest, was die Zeit bis 2007 betrifft. Im Bulletin der Gesellschaft für Medizinische Wissenschaften hat ein vierköpfiges Autorenkollektiv beschrieben, wie zwischen 2004 und 2007 mit jenen Resultaten aus dem Mammografie-Programm verfahren wurde, bei denen ein Krebsverdacht vorlag und weitere Tests nötig waren. Bei insgesamt 392 Fällen, die als Krebs diagnostiziert wurden, dauerte es 17 Mal zwischen zwei und sechs Jahre, ehe die endgültige Diagnose feststand. Untersuchungen, die zu den 17 Fällen bis dahin durchgeführt worden waren, hatten mit dem Ergebnis „kein Krebs“ geendet.1
Hier gehe es nicht um die Frage, ob ein Krebsverdacht sich nicht doch als unbegründet herausstellen könne, betont Marie-Christine Wagnon gegenüber dem Land. Sie ist die federführende Autorin des Bulletin-Artikels und im Gesundheitsministerium die verantwortliche Radiologin des seit 1992 bestehenden Mammografie-Programms. Es sind die großen Verzögerungen, auf die sie hinweist: „Dazu darf es nicht kommen. Deshalb sind diese 17 Fälle 17 Fälle zuviel.“
Denn im Mammografie-Programm wird jede Aufnahme von zwei Radiologen unabhängig voneinander analysiert. Double blind heißt die Methode im Fachjargon. Kommen die zwei Fachärzte für bildgebende Diagnostik zu unterschiedlichen Einschätzungen, wird ein dritter hinzugezogen, der die Bilder gemeinsam mit seinen beiden Kollegen bespricht. Ein Krebsverdacht, der aus dem Mammografie-Programm geäußert wird, geht demnach stets auf die Expertise zweier, wenn nicht gar dreier Radiologen zurück. Wie können dann Jahre vergehen, ehe über einen schon ziemlich fundierten Anfangsverdacht endgültig Klarheit herrscht?
Durch Mangel an Kommunikation und ärztlicher Interaktivität, schreiben die vier Autoren, zu denen mit Danielle Hansen-Koenig auch die Chefin der Gesundheitsdirektion und oberste Wächterin über die öffentliche Gesundheit im Lande gehört: An der weiteren Untersuchung der als krebsverdächtig eingeschätzten Patientinnen habe eine „Vielzahl“ Ärzte teilgenommen, doch es sei nicht für genug „Korrelation“ und „Synthese“ unter den Diagnosen der Beteiligten gesorgt worden.
Was sich so trocken liest, betraf in einem Fall eine Patientin, bei der in zwei Jahren die linke Brust untersucht wurde, obwohl die Radiologen ein Examen der rechten angefragt hatten. In einem anderen Fall musste eine Patientin in 29 Monaten neben den beiden Mammografie-Untersuchungen aus dem Programm noch fünf weitere Mammografien, drei Ultraschall-Examen, einen MRT-Scan und zwei Biopsien über sich ergehen lassen. Viel zu viel, so das Verdikt der Autoren um Marie-Christine Wagnon, doch: Bis 2007 habe es in allen Krankenhäusern, die Mammografien vornahmen und Brustkrebs-Patientinnen behandelten, „keinerlei pluridisziplinäre Konzertation vor Beginn einer Therapie“ gegeben. Auch die berühmten „Tumorkonferenzen“ sagt Wagnon, hätten in sämtlichen Kliniken „nach den Operationen“ stattgefunden und konnten keine Besprechungen gewesen sein, auf denen die beste Diagnosestrategie nach einer verdächtigen Mammografie geklärt worden wäre.
Die Beschreibungen über das Schicksal der 17 Mammografien sind nicht nur angesichts der Einzelfälle ernüchternd. Sondern auch, weil sie das Mammografie-Programm als Initiative zur Verbesserung der öffentlichen Gesundheit in Frage stellen: Dem Stand der Wissenschaft nach kann die Teilnahme an einem solchen Screening die Wahrscheinlichkeit, an Brustkrebs zu sterben, um bis zu 25 Prozent senken – doch dazu muss das Schreening qualitätsgesichert sein. Und so gut, wie vor zwei Wochen vom Verband der Gynäkologen behauptet wurde, ist die Statistik der Brustkrebs-Sterbefälle nun auch wieder nicht: Zwar sank die Mortalitätsrate hierzulande zwischen 1989 und 2006 um 34,1 Prozent. Doch sie lag bis Ende der 1980-er Jahre im oberen Drittel der 30 von der Weltgesundheitsorganisation betrachteten europäischen Länder. Hinzu kommt: In der dieses Jahr im British Medical Journal veröffentlichten Erhebung wurde für Luxemburg ein „beweglicher Durchschnittswert“ angesetzt – gegenüber der kleinen Bevölkerung streuten die Sterbezahlen von einem Jahr zum anderen zu stark.2
Zum Glück sieht es so aus, als sei in den Krankenhäusern mittlerweile für mehr „medizinische Interaktivität“ gesorgt: Es gebe „in letzter Zeit mehr Kommunikation und Synthese“ beim Umgang mit Brustkrebspatientinnen, stellen Marie-Christine Wagnon und Astrid Scharpantgen, die Koordinatorin des Mammografie-Programms, fest. Ob es in allen Kliniken regelmäßige multidiszi-plinäre Besprechungen aller Fälle bereits vor einer Therapie gibt, werde das große Brustkrebs-Audit klären, das seit dem Sommer von zwei ausländischen Gutachtern durchgeführt wird. Es ist das erste Mal, dass in Luxemburg eine ganze Behandlungskette derart unter die Lupe genommen wird, und das betrifft nicht allein das Mammografie-Porgramm, das sich nur an Frauen im Alter zwischen 50 und 69 wendet.
Auf Nachfrage des Land bei den fünf großen Akutspitälern antworten die Direktionen von vier Häusern. Alle teilen mit, dass bei ihnen Brustkrebsfälle auch vor Behandlungsbeginn im multidisziplinären Team besprochen würden. Ein Direktor präzisiert, das gebe es in seinem Haus seit anderthalb Jahren, ein anderer erklärt „seit Jahren schon“. Ein dritter fügt an: „Das machen wir auch für alle Darm- und Prostatakrebspatienten so.“ Ein vierter Direktor insistiert, diese Sitzungen gebe es in seinem Haus bereits seit 2003; die Erklärungen aus dem Gesundheitsministerium seien demnach nicht ganz richtig.
Alles in allem sieht das aus wie ein positiver Trend. Doch wenigstens zwei Fragen stellen sich noch. Erstens: Sollen Brustkrebsbehandlungen tatsächlich in fünf Krankenhäusern stattfinden? Ginge es nach den Grundsätzen der Europäischen Gesellschaft der Brustkrebsspezialisten (Eusoma), wären fünf Spitäler zu viel. Pro Viertelmillion Einwohner könne es ein „Brustkrebszentrum“ geben, schreibt die Eusoma über die Requirements of a special breast unit, und dass jedes Zentrum pro Jahr mindestens 150 neue Fälle behandeln sollte. Nach den jüngsten Zahlen aus dem nationalen Krebsregister vom Jahr 2008 wurden in Luxemburg damals 343 neue Fälle von der bei Frauen häufigsten Krebserkrankung gezählt.
Auf Luxemburg umgelegt, wären auf 500 000 Einwohner und zuletzt 343 Brustkrebsfälle höchstens zwei Zentren sinnvoll; vielleicht gar nur eines. Den Patienten könnte eine solche Entwicklung Recht sein: Auch wenn das Angebot in der Fläche des Landes sänke, würden die besten Ärzte, die eingespieltesten Teams zu mehr Fallzahlen gelangen, um noch besser zu werden. Jedenfalls sollte dieses Prinzip gelten. Weil jedoch, gleich wie die Kompetenzbündelung geschieht, sie für manche Ärzte, aber auch Spitäler, bedeutet, etwas abzugeben, stehen die großen Auseinandersetzungen noch bevor.
In der Zwischenzeit stellt sich die Frage, ob Ärzten, die an multidiszipli-nären Teambesprechungen teilnehmen, dieser Aufwand vergütet werden soll. In der hierzulande auf die Abrechnung à l’acte orientierten Medizin gibt es an Teamsitzungen nichts zu verdienen – so lebenswichtig sie für Krebspatienten sein mögen. Lediglich eine Klinik zahlt aus eigener Initiative für die Teilnahme eine Entschädigung. Sollte es künftig in der Nomenclature des actes médicaux einen einheitlichen Tarif dafür geben?
Auf Anregung der Fachgesellschaft der Onkologen begannen darüber vor zwei Jahren Diskussionen mit den Gremien der Gesundheitskasse. Doch in der Nomenklaturkommission, in der Regierung, CNS und Ärzteverband AMMD über die Tarife entscheiden, gab es dazu noch keinen Beschluss. Stattdessen teilte die AMMD im Sommer ihren Mitgliedern mit, sie könnten Tarifs hors convention für die Konsulta-tion eines Arztes ansetzen, der an einer „Réunion de concertation multidisciplinaire“ teilgenommen hat. Zwischen 95,83 und 120,00 Euro sollten das sein, je nach Arzt. Das heißt: Je nachdem, wie weit die Multidisziplinarität reicht, würden einem Krebspa-tienten für die Konsultation der beteiligten Mediziner ohne Weiteres hunderte Euro an Kosten entstehen, die er von der CNS nicht erstattet bekäme.
„Das war eine Provokation“, sagt AMMD-Generalsekretär Claude Schummer; damit habe man „den Gang der Dinge beschleunigen wollen“. Auch CNS-Präsident Jean-Marie Feider sieht diese Tarife als Versuch an, „Ordnung zu schaffen, wenn es doch an manchen Kliniken etwas gibt für die Mitarbeit im Team“. Bisher habe noch kein Arzt so einen Tarif in Rechnung gestellt. Geschähe das, müsste die Kasse natürlich prüfen, „wie legal das wäre“.
Die Tariffrage könnte sich allerdings mit der um die Bildung der Kompetenzzentren vermengen: Einer der vier vom Land kontaktierten Klinikchefs ist der Meinung, für Mitarbeit im Team sollte es für den Arzt generell kein Geld extra geben. Ein anderer findet, man solle abwarten, wie die Teams in einem Kompetenzzentrum zusammengesetzt werden müssen, und danach entscheiden, welche die gerechte Vergütung für die beteiligten Ärzte wäre. So dass, wie man es dreht, der Weg zu mehr Qualität wohl nicht vorbeiführen wird an einem Verteilungskampf.