Um sich Respekt zu verschaffen, trägt der Bürgerkriegsoffizier Marquis Warren in Quentin Tarantinos Film The Hateful Eight stets einen gefälschten Brief von Präsident Abraham Lincoln bei sich. Um sich Respekt zu verschaffen, meinte Finanzminister Pierre Gramegna (DP) diese Woche vor dem Parlament: „Wie schon Abraham Lincoln sagte: ‚The best way to predict the future is to create it.‘ Genau das tun wir.“ Auch dieses Zitat ist apokryph; die üppige Lincoln-Forschung kennt keinen Beleg dafür.
Der Finanzminister rechtfertigte unter Berufung auf Abraham Lincoln aber, weshalb die Regierung trotz voller Staatskasse weitermacht wie bisher. Sie will sich taub stellen für Forderungen von Unternehmern und Gewerkschaften nach Teilhabe am Reichtum, zumindest zu Beginn der Legislaturperiode.
Der am Montag hinterlegte Haushaltsentwurf für nächstes Jahr ist der erste, der als mittelfristiges Haushaltsziel wieder einen Überschuss von mindestens 0,5 Prozent aufweisen muss. Die Koalition hatte im April 2016 ihr im Koalitionsabkommen abgemachtes Überschussziel von 0,5 Prozent zugunsten eines Fehlbetrags von 0,5 Prozent aufgegeben. Das war das Scheitern der mit Maastrichter Disziplinierungsregeln versuchten Austeritätspolitik und neoliberalen Reformversuche. Es war auch das Ende der „kopernikanischen Wende“ mit einem bei McKinsey bestellten „Haushalt der neuen Generation“, der „eine Logik der Mittel durch eine Logik der Resultate“ ersetzen sollte. Die Wähler dankten es bei den Landeswahlen im Oktober vergangenen Jahres.
Bis zum Ende der Legislaturperiode soll das mittelfristige Haushaltsziel sowieso spielend um das Doppelte bis Vierfache übertroffen werden. Nächstes Jahr soll der Staatshaushalt dreimal schneller wachsen als das Bruttoinlandsprodukt. Bei 2,4 Prozent Wirtschaftswachstum sollen die Staatseinnahmen um 7,7 Prozent und die Ausgaben um 6,6 Prozent steigen. Das gab es auch schon in den Achtzigerjahren, aber damals machte die Inflation den Unterschied aus. Nächstes Jahr sollen die Preise bloß um 1,7 Prozent steigen. Nach einer zum Ende des laufenden Jahres erwarteten Indextranche soll nächstes Jahr keine fällig werden.
Selbst den liberalen Finanzminister stört es nicht mehr, dass der Staat weiter mehr Geld ausgeben als einnehmen soll. Doch auch eine Rentenmauer oder eine erdrückende „versteckte Staatsschuld“ der Rentenanrechte sieht er nicht mehr. Über all das dürfen sich die CSV und ihre Hilfssheriffs von der ADR ereifern und unbeliebt machen.
Auf dem Papier sollen die Staatskonten Ende nächsten Jahres mit einem Fehlbetrag von 682 Millionen Euro abschließen, in Wirklichkeit dürften es wieder einige hundert Millionen weniger sein. Zudem sind die Ausgaben durch 200 Millionen Euro für das bereits in Raten abgezahlte Militärflugzeug A400M aufgebauscht, das nach 15 Jahren 2020 geliefert werden soll.
Die Buchhaltungsregeln der Europäischen Union verlangen sowieso, die Finanzen von Staat, Gemeinden und Sozialversicherung als Ganzes anzusehen, und da wird der Fehlbetrag des Staats unter dem Strich mehr als ausgeglichen durch eine Milliarde Überschuss der Sozialversicherung und eine drittel Milliarde Überschuss der Gemeinden. Deshalb weist der Gesamtstaat im Haushaltsentwurf einen Überschuss von 757 Millionen Euro oder 1,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf. Da Sozialversicherung und Gemeinden hohe Transfers aus der Staatskasse erhalten, wäre es arithmetisch, wenn auch nicht politisch, genauso gut möglich, den Überschuss in der Staatskasse und das Loch in der Sozialversicherung erscheinen zu lassen.
Die laufenden Einnahmen sollen wieder um anderthalb Milliarden Euro über den laufenden Ausgaben liegen. Dadurch können satte drei Viertel der Kapitalausgaben aus dem ordentlichen Haushalt bestritten werden. Nächstes Jahr will der Staat 2,8 Milliarden Euro investieren, wenn die Intendanz der Bauwirtschaft folgen kann.
Trotzdem will der Staat Anfang nächsten Jahres zwei Milliarden Euro leihen, unter anderem um bestehende, mit 3,37 Prozent verzinste Anleihen zu inzwischen weit niedrigeren Zinsen umzuschulden. Von den weltweit zehn Staaten, deren Kreditwürdigkeit von den US-Ratingfirmen mit AAA bewertet werde, habe Luxemburg den niedrigsten Schuldenstand, freute sich Pierre Gramegna. Nächstes Jahr soll die Staatsschuld auf 19,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sinken. Vor drei Jahren hatte der Conseil national des finances publiques vorausgesagt, dass die Staatsschuld die von den Maastrichter Kriterien erlaubten 60 Prozent übertreffen werde.
Dieses Jahr nahm der Staat über eine halbe Milliarde Euro an Körperschaftssteuer mehr ein als im Haushaltsgesetz vorgesehen. Der Finanzminister erklärte diese 27-prozentige Mehreinnahme mit der Verallgemeinerung der elektronischen Steuererklärungen, so dass die Betriebe ihre Steuern schneller zahlten. Allerdings mag es überraschen, dass das noch niemand vor sechs Monaten voraussah. Wegen der Landeswahlen war das Haushaltsgesetz für 2019 erst am 25. April verabschiedet worden.
Schweren Herzens hatte die Regierung 2014 die Praxis der Steuerrulings für multinationale Firmen einschränken müssen. Mit Artikel 5 des Haushaltsgesetzes soll nun in die Abgabenordnung geschrieben werden: „Les décisions anticipées émises avant le 1er janvier 2015 sont caduques de plein droit à la fin de l’année d’imposition 2019.“ Pacta non servanda sunt.
Für nächstes Jahr erwartet der Staat 11,7 Prozent mehr Lohnsteuereinnahmen. Die Lohnsteuereinnahmen sollen mit 4,77 Milliarden Euro mehr als das Doppelte der Körperschaftsteuereinnahmen von 2,25 Milliarden Euro ausmachen.
Im Zeichen des Umweltschutzes sieht die Regierung sich genötigt, den Tanktourismus sachte einzudämmen. Das Haushaltsgesetz sieht neue Höchstsätze für Dieselakzisen vor, die von 100 Euro auf 130,4852 Euro pro Fuder steigen können. Die neuen gesetzlichen Höchstsätze erlauben schrittweise Erhöhungen durch großherzogliche Verordnungen, so dass die Regierung den richtigen Zeitpunkt wählen kann: Wenn die Akzisen bei fallenden Rohölpreisen erhöht werden, merkt es kaum jemand.
Die Frage stellt sich, wie die Regierung die Überschüsse verbuchen soll. Sie will sie nicht in den eigentlich dafür geschaffenen „intergenerationellen Staatsfonds“ stecken, weil sie dadurch die Verfügungsgewalt verlöre. Deshalb will sie den nach der Weltwirtschaftskrise durch Gesetz vom 27. Juli 1938 geschaffenen Krisenfonds in Haushaltsausgleichsfonds umtaufen. Was nicht ohne Ironie ist, weil sie schon 2015 ihre wohlklingende Contribution pour l’avenir des enfants in Haushaltsausgleichssteuer umtaufen musste.
Unter Berufung auf Abraham Lincoln will die Koalition Reserven aufbauen, um in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode ihre Steuerreform zu finanzieren, so dass sie bei den Wahlen 2023 noch in frischer Erinnerung sein kann. Um bei der angekündigten Abschaffung der Steuerklassen, also auch der gemeinsamen Veranlagung mit Ehegattensplitting, keinen Aufstand von Härtefällen und Hausfrauen zu verursachen, soll die Reform mit langen Übergangsbestimmungen wirksam werden. Doch auch dann muss der Staat wohl anfangs zulegen. Das Koalitionsabkommen sieht außerdem eine Senkung der Betriebsbesteuerung als Ausgleich für weitere Harmonisierungsbestrebungen von Europäischer Union und OECD vor.