Neben dem öffentlichen Gratistransport und der Legalisierung des Cannabis soll die Abschaffung der Steuerklassen zu den historischen Reformen der zweiten Legislaturperiode von DP, LSAP und Grünen gehören. Denn sie betrifft nicht nur alle Haushalte, sondern verlangt auch kostspielige Übergangs- und Kompensierungsbestimmungen, damit sich keine Wählergruppen benachteiligt fühlen.
In dem Ende November 2019 unterzeichneten Koalitionsabkommen heißt es zur Individualbesteuerung: „Une généralisation progressive, couplée à l’introduction d’un barème d’impôt unique nouveau, garantira à terme un modèle fiscal neutre quant au mode de vie des personnes.“ Die Einführung einer einzigen Steuerklasse bedeutet die Abschaffung der Steuerklassen.
Wenn es nun Gründe dafür geben mag, die Steuerklassen abzuschaffen, dann mag es auch Gründe gegeben haben, sie einmal einzuführen. Die bis heute gültigen Steuerklassen wurden am 1. Januar 1941 eingeführt, durch die Verordnung über Anwendung von steuerrechtlichen Vorschriften in Luxemburg vom 25. November 1940. Die Steuerverwaltung schrieb zwar in Histoire de l’impôt direct au Grand-Duché de Luxembourg (Luxemburg, 1995) in einer Fußnote: „La provenance de la législation fiscale allemande de 1940 n’était pas d’origine nazie mais un produit de la République de Weimar“ (S. 109). Das gilt aber nicht für die Steuerklassen.
Denn die Steuerklassen wurden vom Staatssekretär im deutschen Reichsfinanzministerium, Fritz Reinhardt (1895-1969), erfunden und in das Einkommensteuergesetz vom 16. Oktober 1934 geschrieben, das zusammen mit dem Steueranpassungsgesetz vom 16. Oktober 1934 in Kraft trat. In Abschnitt eins, Paragraf eins, Absatz eins des Steueranpassungsgesetzes heißt es: „Die Steuergesetze sind nach nationalsozialistischer Weltanschauung auszulegen“ (Reichsgesetzblatt, Teil 1, 1934, S. 925).
Während der Weimarer Republik wurde in Deutschland der Lohn einer Ehefrau getrennt vom Lohn ihres Ehemanns besteuert. Dagegen hieß es im Einkommensgesetz von 1934 in Paragraf 26, Absatz eins: „Ehegatten werden zusammen veranlagt, so lange beide unbeschränkt steuerpflichtig sind und nicht dauernd getrennt leben. Die Zusammenveranlagung erfolgt für das Kalenderjahr, in dem die Voraussetzungen des Satzes 1 mindestens vier Monate bestanden haben. (2) Bei der Zusammenveranlagung sind die Einkünfte der Ehegatten zusammenzurechnen“ (Reichsgesetzblatt, Teil 1, 1934, S. 1 013).
Das Steueranpassungsgesetz und die Einkommensteuerreform waren Teil des „Reinhardt-Programms“ zur im Wahlkampf 1933 von den Nazis versprochenen Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit in der Weltwirtschaftskrise. Die Zusammenveranlagung von Ehepaaren war eines der Mittel zur Senkung der Arbeitslosigkeit, weil sie die Löhne verheirateter Frauen stärker als lediger besteuerte und die Frauen so vom Arbeitsmarkt drängte. Zur Rechtfertigung dieser Maßnahme wurden berufstätige Ehefrauen als raffgierige „Doppelverdienerinnen“ dargestellt und „zurück an den Kochtopf“ geschickt.
In ihrer Form vom 10. März 1939, wie sie 1940 hierzulande Gesetz wurden, sahen die deutschen Lohnsteuerdurchführungsbestimmungen vier „Steuergruppen“ vor, wie sie anfangs hießen, wohl um eine Verwechslung mit der preußischen Klassensteuer zu vermeiden:
I für Junggesellen, Geschiedene und Verwitwete ohne Kinderermäßigung sowie alle Juden ohne nichtjüdische Abkömmlinge oder Stiefkinder;
II für seit fünf Jahren Verheiratete ohne Kinder;
III für seit weniger als fünf Jahre Verheiratete ohne Kinder, Juden mit verstorbenen nichtjüdischen Abkömmlingen oder Stiefkindern;
IV.1, IV.2, IV3... bis IV.10 für Lohnabhängige mit Kinderermäßigung für ein bis zehn Kinder, Juden mit nichtjüdischen Abkömmlingen oder Stiefkindern. Ab der elften Kinderermäßigung mussten Nicht-Juden keine Lohnsteuer zahlen.
Die Steuerklassen sollten nicht nur Frauen vom Arbeitsmarkt drängen, sondern auch Juden. Außerdem besteuerten sie Ehepaare höher, je länger sie kinderlos blieben. Zusammen mit der Staffelung der Kinderermäßigung sollten so der Kinderreichtum und damit die Truppenstärke der Wehrmacht gefördert werden.
Doch wenige Monate bevor die Steuerklassen hierzulande eingeführt wurden, berichtete das Escher Tageblatt von einer Kehrtwende in Deutschland: „Die nationalsozialistische Politik, die darauf ausging, die Frau vom Arbeitsplatz wieder an den Kochtopf zu bringen, hat Schiffbruch erlitten. Heute strömen wieder deutsche Mütter in die Fabriken und lassen während ihrer Arbeitszeit ihre Kinder in der Obhut der Werkkrippen“ (1.2.1940). Als zunehmend Arbeiter mobilisiert und an die Front geschickt wurden, mussten die an den Kochtopf geschickten Arbeiterinnen wieder ihre und die Plätze der Männer in den Fabriken übernehmen.
Auch nach der Befreiung wurde das deutsche Steuerrecht durch das Arrêté grand-ducal du 26 octobre 1944 concernant les impôts, taxes, cotisations et droits erst provisorisch und danach endgültig beibehalten mit Ausnahme des Kriegszuschlags und der „prescriptions exceptionnelles décrétées contre les organisations religieuses ainsi que le régime spécial appliqué aux Juifs, aux Polonais et aux Russes“ (Memorial, 28.10.1944, S. 81).
1955 brachte die Regierung einen Projet de loi portant réforme de l’impôt sur le revenu ein, in dessen Motivenbericht es hieß: „De nos jours l’impôt ne saurait être neutre au regard de la situation personnelle ou familiale du contribuable“ (S. 4). Weil „les dispositions de la loi de l’occupant telle qu’elle a été modifiée pendant les dix dernières années partent de conceptions plus larges que notre législation d’avantguerre”, wurden auch die Steuergruppen beibehalten und in Steuerklassen umbenannt:
I für Alleinstehende;
II für Verheiratete sowie Junggesellen, Verwitwete und Geschiedene mit Nachfahren, binnen fünf Jahren Geschiedene und über 65-Jährige;
III für Steuerpflichtige mit Kindern.
Hatten die Steuerklassen der Nazis zuerst zum Ziel, Frauen und Juden vom Arbeitsmarkt zu drängen, so stellten nach dem Krieg CSV, LSAP und DP sie im Verein mit dem Ehegattensplitting als Mittel zur Förderung des Sakraments der Hausfrauenehe dar. Aber der alte Geist wurde nie aufgegeben: 1955 wollte die CSV/LSAP-Regierung Mütter unehelicher Kinder sowie Geschiedene und Verwitwete mit ehelichen Kindern bestrafen und wie Junggesellinnen besteuern.
Von 1955 bis 1967 wurde über die Reform debattiert, wobei weniger das Prinzip der Steuerklassen in Frage gestellt als darüber verhandelt wurde, wer Anrecht auf eine günstigerere Steuerklasse haben sollte. Der politische Druck unterschiedlicher Wählergruppen führte zu immer neuen Widersprüchen bei ihrer Einstufung in den Steuerklassen. Der parlamentarische Sonderausschuss meinte in seinem Gutachten vom Oktober 1967: „Ces anomalies proviennent du fait que les auteurs n’ont pas voulu rompre avec la situation actuelle pour un nombre relativement élevé de contribuables” (Parlamentarisches Dokument 571.27, S. 66).
Bis zur Verabschiedung der Reform war über ein Jahrzehnt vergangen und das Land hatte sich verändert. Deshalb räumte der parlamentarische Sonderausschuss ein: „Devant la pression sociale et devant la nécessité, en période de pénurie de la main-d’oeuvre, de ne pas trop décourager le travail des femmes, fussent-elles mariées et mères de famille, avec le souci également de rétablir l’équité fiscale, le gouvernement s’est déclaré d’accord pour apporter certains aménagements au système actuel“ (Parlamentarisches Dokument 571.27, S. 9).
Mit der Steuerreform von 1990 stufte die CSV/LSAP-Regierung 46 900 Alleinerziehende, Verwitwete, getrennt Lebende, Geschiedene, Unterhaltspflichtige, Junggesellen über 65 Jahre und verschiedene Grenzpendler aus den Steuerklassen II und III in die ungünstigeren Steuerklasse 1 und eine neue Zwischenklasse 1a ein, was bis heute mit Unterschriftensammlungen und Wahlkampfversprechen als himmelschreiende Ungerechtigkeit kritisiert wird. Die CSV rechtfertigte die Umklassierungen mit der Vergrößerung der Steuergerechtigkeit und dem Kampf gegen Ehepaare, die sich angeblich zwecks Steuerersparnis zum Schein trennten. Gleichzeitig wurde Fritz Reinhardts römische Nummerierung der Steuerklassen durch arabische Ziffern ersetzt.
Das Gesetz vom 21. Dezember 2007 schuf dann die Steuerklasse 3 ab, die eine Kinderermäßigung auf der Einkommensteuer gewährte, die Besserverdienenden am meisten genutzt hatte. Die CSV/LSAP-Regierung ersetzte die Kinderermäßigung durch einen „Kinder-Bonus“, eine als Negativsteuer dargestellte Kindergelderhöhung.
Mit der Steuerreform vom 27. Dezember 2016 führten DP, LSAP und Grüne eine optionale Scheinindividualisierung für Ehepaare ein, ohne die Steuerklassen abzuschaffen. Damit wollten sie vor allem liberalen und linksliberalen Frauenorganisationen entgegenkommen. Es war aber auch ein Vorwand, um rund 150 000 Grenzpendler umklassieren zu können. Denn Artikel eins, Punkt 32 verfügte: „Les contribuables non résidents, mariés, réalisant des revenus professionnels imposables au Grand-Duché, sont rangés dans la classe d’impôt 1“ (Memorial, 2016, S. 5 147) Unter bestimmten Bedingungen konnten die Betroffenen dann um eine „Angleichung“ an die ansässigen Steuerzahler ersuchen.
Die nun angekündigte Abschaffung der Steuerklassen bis zum Jahr 2023 begründete Premierminister Xavier Bettel (DP) am 11. Dezember 2018 bei der Vorstellung des neuen Koalitionsabkommens: „Zil ass et, fir eng steierlech Neutralitéit hierzestellen, onofhängeg dervun, ob eng Persoun bestuet ass oder net.“ Für die große Mehrheit der Frauen ist die Erwerbstätigkeit eine Bedingung ihrer ökonomischen Unabhängigkeit, internationale Organisationen verlangen eine Erhöhung der Frauenerwerbsquote und hierzulande werden ansässige Frauen als Arbeitskräftereservoir angesehen, um einen die Zahlungsbilanz belastenden Anstieg der Grenzpendlerzahl zu bremsen. Der Premier versprach, „dass et keng Diskriminatioun gëtt. Et soll en Iwwergank gi vun deem engen an deen anere System a mir verhënnere laangfristeg, dass Leit Nodeeler hunn, wann hir Situatioun sech am Laf vun hirem Liewen ännert.“ Bei der Reform der Steuerklassen 1990 war CSV-Finanzminister Jean-Claude Juncker monatelang übelst beschimpft und bedroht worden.