Was werden die Journalisten nächste Woche an dieser Stelle verkünden müssen? Wird es Europa dann noch geben? Wird noch Geld in Umlauf sein oder werden die Europäer zum Tauschhandel zurückgekehrt sein? Fast stündlich kann man dieser Tage neue Katastrophenartikel über die Schuldenkrise im Netz abrufen. Wenn wahr ist, dass Wirtschaft zur Hälfte aus Psychologie besteht, dann stehen den europäischen Bürgern, ganz unabhängig von der realen Verschuldung vieler europäischer Staaten, schwerste Zeiten bevor. 82 Prozent der Deutschen meinten schon Anfang November, dass das Schlimmste in der Schuldenkrise noch vor ihnen liege. Das dürfte die Meinung der meisten Europäer widerspiegeln.
Clem Chambers, Gründer und CEO der Finanzplattform ADVFN, schreibt in New Europe: „Deutschland blockiert die notwendigen Änderungen, damit die EZB die Inflation in Gang setzen kann, die notwendig ist, um die unerträglichen Schulden abzutragen, die die europäischen Staaten angehäuft haben. Deutschland verurteilt Europa damit zu einer großen Depression und zu seinem eigenen Zusammenbruch. Wenn Frankreich fällt, fällt auch die USA.“
Bei so viel Untergangsstimmung liest sich der Satz, den George Friedman, Gründer der geopolitschen Website Stratfor, in seinem 2009 erschienenen Bestseller „Die nächste 100 Jahre“ geschrieben hat, mit einem gewissen Unbehagen. Trocken heißt es dort: „Die selbstgefällige Sicherheit, dass innereuropäische Kriege ein für alle Mal vorbei sind, muss überprüft werden.“ In England fürchtet man sich schon heute vor der Eroberung Europas durch Deutschland mittels des Euros und der Aufrichtung eines Vierten Reiches. Griechische Boulevardblätter karikierten den deutschen Horst Reichenbach, der die EU-Taskforce anführt, die die griechische Regierung bei ihren Sparmaßnahmen sowohl berät als auch überwacht, in Naziuniform und bezeichneten sein Büro als neues Hauptquartier der Gestapo.
Kann es noch absurder werden? Geradezu wohltuend sachlich war da Jean-Claude Juncker, der vergangene Woche meinte, die Deutschen sollten sich mal nicht so dicke machen, schließlich hätten sie selbst Schulden in Höhe von über 80 Prozent des Bruttosozialprodukts. So viel habe nicht einmal Spanien vorzuweisen. Er hätte auch hinzufügen können, dass der deutsche Finanzminister Schäuble im nächsten Jahr die Nettokreditaufnahme nicht weiter zurückfährt, sondern im Gegenteil 2012 mindestens vier Milliarden Euro mehr Schulden aufnehmen wird als 2011. Deutschland ist keineswegs der Sparweltmeister, als den es sich selbst gerne verkauft, es geht ihm nur vergleichsweise gut.
Durch die Schuldenkrise ist Deutschland innerhalb Europas in eine Rolle geraten, die es nie angestrebt hat. Über das Schicksal des Euro wird in Berlin entschieden, heißt es schon seit Monaten. Das Land, dessen Wirtschaftskraft plötzlich so gefürchtet wird, soll Bösewicht und Retter zugleich sein. Stimme Deutschland der Einführung von Eurobonds zu, so glauben viele, dann seien alle Probleme mit der Kreditaufnahme gelöst. Für die diesjährigen Wirtschaftsnobelpreisträger Christopher Sims und Thomas Sargent, beides US-Amerikaner, ist die Lösung einfach: „Europa und der Euro stellen die Wirtschaftstheorie nicht vor neue Fragen, das Problem ist die Politik.“ Man müsse lediglich, so die beiden Amerikaner, die einzelnen Länderbudgets in einen Topf werfen und gemeinsam Steuern erheben. Was 13 amerikanische Bundesstaaten 1776 geschafft hätten, das sollten 17 Eurostaaten 2011 doch auch hinkriegen können. Für die Engländer würde laut Daily Mail genau das das Vierte Reich bedeuten: eine einheitliche Wirtschaftspolitik, ein einheitliches Steuersystem, ein einheitliches Sozialsystem, einheitliche Schulden, eine Wirtschaft, ein Finanzminister.
Was in der Theorie so einfach ist, scheitert an der europäischen Wirklichkeit. Alle außer den AAA-Ländern (ohne Frankreich) wollen Eurobonds, keiner die Vereinigten Staaten von Europa. Am Mittwoch hat EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso ein Grünbuch mit drei Modellen für die Einführung von Eurobonds vorgelegt. Angela Merkel hat gleich abgelehnt. EZB-Präsident Draghi und Bundesbankpräsident Weidmann beklagen den fehlenden politischen Willen, die Krise zu lösen und weisen – noch – jede stärkere Rolle der EZB zurück. Die langfristigen Kosten einer Staatsfinanzierung durch die Notenpresse würden die kurzfristigen Vorteile weit übersteigen. Der finnische Außenminister Alexander Stubb, ein ehemaliger Europaabgeordneter, fordert, die Eurozone nach darwinistischen Prinzipien zu führen und den sechs AAA-Staaten mehr Einfluss auf die Wirtschaftpolitik zuzugestehen. „Warum sollten wir Staaten zuhören, die sich nicht um ihre eigenen öffentlichen Finanzen kümmern?“, zitiert ihn die Nachrichtenagentur Reuters.
Bis 2013 müssen die Südländer eine Billion Euro neu finanzieren. Woher das Geld kommen soll, ist unklar. Die Banken fliehen aus Staatsanleihen, ihre Kosten werden dazu durch die neuen Eigenkapitalregeln deutlich steigen. Schuldenmachen wird deshalb so oder so teurer. Wo das alles endet, weiß niemand mehr.