Sie fühlten sich „wie der letzte Dreck behandelt“, es fehle an Respekt. Das sind Klagen von Eltern, die das Ombudskomitee für Kinderrechte im vergangenen Jahr wiederholt hören musste. „Institutionelle Gewalt“ hat Marie-Anne Rodesch-Hengesch daher ein Kapitel in ihrem aktuellen Tätigkeitsbericht überschrieben. Darin setzt sich die Ombudsfrau dafür ein, die Rechte von Eltern in Familienverfahren neu auszubalancieren. Dabei geht es einerseits um Eltern, die sich von Sozialarbeitern und Richtern ungerecht behandelt fühlen, etwa wenn Besuchsrechte restriktiv ausgelegt werden. Offenbar hätten manche Erzieher nicht begriffen, dass Hilfsmaßnahmen vor allem ein Ziel zur Aufgabe hätten, so heißt es im Bericht: Eltern zu befähigen, sich so bald wie möglich wieder um ihre Kinder kümmern zu können. Andererseits bemängelt die Kinderbeauftragte, dass Eltern, deren Kinder im Heim untergebracht werden, oft lange Zeit getrennt sind oder nicht genügend informiert darüber, warum die Trennung verordnet wurde.
Bereits 2009 hatte das Ombudskomitee eine Stärkung der Elternrechte bei Jugendgerichtsverfahren gefordert und auf eine Reform des Jugendschutzgesetzes von 1992 gedrängt. Im Fokus der Kinderrechtler: Heimleitungen bekommen bei einer Unterbringung eines Jugendlichen das elterliche Sorgerecht zugesprochen. Eine Praxis, die nicht zuletzt die Genfer Kinderschutzkommission verurteilt und die das Justizministerium 2004 veranlasste, einen Entwurf für einen neuen Jugendschutz vorzulegen – über den noch beraten wird.
Seit kurzem liegt auch das Gutachten der Menschenrechtskommission zur Reform vor: Es fällt ziemlich kritisch aus. Vor allem juristische Gründe führen dessen Autoren, darunter der Kinderpsychologe und Familientherapeut Gilbert Pregno, gegen den Entwurf an. So verpflichte die 1993 von Luxemburg ratifizierte UN-Kinderrechtskonvention die Behörden, neben dem Schutz der Kinder vor Gewalt, Vernachlässigung oder Misshandlung, ihnen auch, so weit möglich, das Aufwachsen in der Herkunftsfamilie zu ermöglichen. Statt also den Eltern das Sorgerecht im Falle einer Heimunterbringung automatisch und komplett zu entziehen, wie es bisher getan wird und woran der Entwurf festhält, solle der Staat versuchen, außer in Härtefällen Eltern in der Verantwortung zu belassen.
Pregno macht sich seit vielen Jahren für eine Neuregelung von Sorgerechtsfragen in Jugendhilfe- und -gerichtsverfahren stark. Im Jahr 1993, kurz nach Verabschiedung des Jugendschutzgesetzes, schrieb die Fondation Kannerschlass: „Nous estimons (...) que sauf les cas évoqués plus haut, tout doit être fait pour garantir à l’enfant le respect fondamental de ce droit de vivre dans le respect de ses origines familiales. Désapproprier les parents et l’enfant de ce droit, c’est favoriser que l’enfant soit coupé de ses parents et de sa culture familiale et représente pour de nombreuses personnes une position abusive (...).“ Die Entente des gestionnaires des centres d’accueil (EGCA) stieß ins gleiche Horn. Das neue Gesetz sei überholt, inzwischen herrschten andere Konzepte im Sozialsektor vor, die hilfebedürftige Familie stärker einbezögen. Die Einwände erreichten die Abgeordneten, die 1996 einstimmig eine Motion verabschiedeten, den neuen Entwicklungen Rechnung zu tragen.
Bei den Akteuren in der Justiz stießen die Bedenken jedoch auf taube Ohren. Der Gesetzentwurf, über den die Justizkommission derzeit berät, stützt sich auf den Bericht einer Arbeitsgruppe von Justiz- und Familienministerium unter Federführung des Jugendrichters Alain Thorn und dem verstorbenen damaligen Beamten Mill Majerus. Ihr Fazit damals: Obwohl Luxemburg und Belgien schon damals in Europa die einzigen Länder mit einem „système protectionnel“ waren, seien „strukturelle Änderungen“ des Jugendschutzgesetzes nicht notwendig. Ob der Direktor des Jugendgerichtes heute noch derselben Ansicht ist, ist unklar: Eine Anfrage des Land beim Gericht blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Klar ist aber, dass eine Neufassung des Jugendschutzes spätestens mit der Schaffung der Kinderbeauftragten sowie dem 2008 verabschiedeten Jugendhilfegesetz überfällig ist. So wurde das Office nationale de l’enfance geschaffen, um eben jenen starken Einfluss der Gerichte bei familiären Problemlagen zurückzudrängen und so zur Entstigmatisierung der Jugendlichen – und ihrer Eltern – beizutragen. Statt dass Fälle direkt vor dem Jugendrichter landen, sollen das Jugendamt sich zunächst um die hilfebedürftigen Familien kümmern und so versuchen, eine außergerichtliche Lösung zu finden. Gelingt diese nicht, bleibt als letztes Mittel der Weg über die Gerichte.
Doch dieser neue Grundsatz scheint noch nicht überall angekommen zu sein: Von allen 2009 gesprochenen Einweisungen waren 82 Prozent per Gericht angeordnet. Ein Umstand, der auch den Heimen zu schaffen macht. Und das nicht nur aus Gründen des Platzmangels. Denn mit dem Jugendhilfegesetz sind die Sozialdienste verpflichtet, mit den betroffenen Kindern und ihren Eltern stärker zusammen zu arbeiten. Der automatische Entzug sei da eher kontraproduktiv, so die Direktoren in ihrem im Mai veröffentlichen Gutachten.
Übrigens, auch wenn manche Jugendrichter das Argument des Jugendschutzes unterstreichen, um die alten Regelungen zu verteidigen, in seinem Entwurf hat das Justizministerium sich ein Hintertürchen offen gelassen, das mit Jugendschutz eher weniger zu tun hat: Minderjährige sollen weiterhin im (erwachsenen) Strafvollzug untergebracht werden können, „wenn sie eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen“. Mit der geschlossenen Unisec in Dreiborn wurde eine geschlossene Abteilung für jugendliche Straftäter geschaffen. Nicht nur an der vagen Formulierung stößt sich die Menschenrechtskommission. Luxemburg wurde für seine Praxis, Minderjährige ins Gefängnis zu sperren, international mehrfach gerügt.