Der sinnvolle Einsatz von 700 Millionen Euro öffentlicher Gelder sei nicht garantiert, warnte der Mouvement écologique am Donnerstag vergangener Woche. Die EU-Kommission habe den Luxemburger Entwicklungsplan für den ländlichen Raum, den Plan du développement rural, abgelehnt und in 308 Einwänden gezeigt, dass er „schlampig“ aufgestellt und „nicht zielführend genug“ sei.
Das Landwirtschaftsministerium reagierte sauer: Der Avis aus Brüssel sei ein „internes Dokument“. Minister Fernand Etgen (DP) dachte vergangenen Freitag im Radio 100,7 laut darüber nach, ob es „legal“ war, es zu veröffentlichen. Sein Ministerium schob nach, die Umweltorganisation habe Zitate „aus dem Kontext gerissen“. Die Kommis-sion habe „keine 308 Einwände gemacht“, sondern „überwiegend Nachfragen und Vorschläge“, über die „in aller Besonnenheit verhandelt“ werde. Andere EU-Staaten hätten noch viel mehr Nachfragen bekommen, Frankreich über 900 und Italien mehr als 1 200. Und schließlich würden über den PDR, wie der Plan du développement rural abgekürzt wird, nicht 700 Millionen Euro ausgegeben, sondern nur 368 Millionen.
Das ist natürlich noch immer viel Geld. Alle sieben Jahre verhandelt jeder EU-Staat mit der Kommission einen Plan du développement rural. Darin steht am Ende, wie die nationale Agrarpolitik aus einem EU-Fonds kofinanziert wird. Neben den Betriebsprämien für die Landwirte, dem „ersten Pfeiler“ der EU-Agrarpolitik, sind die Ausgaben für die Entwicklung des ländlichen Raumes der „zweite Pfeiler“. Luxemburg will sich bis 2020 von der EU Maßnahmen zum „Erhalt einer wettbewerbsfähigen Landwirtschaft“, zum „Ressoucenschutz“ zum „Klimaschutz“ und zur „Dorfentwicklung“ kofinanzieren lassen.
In der Stellungnahme der EU-Kommission werden tatsächlich viele Detailfragen gestellt. Alles ist sehr diplomatisch formuliert, und der Mouvement écologique mag es auf seiner Pressekonferenz polemisch zugespitzt haben, als er von einem „schlampigen Plan“ sprach. Doch: Wohin die heimische Landwirtschaft damit gelenkt werden soll, geht aus dem 260 Seiten langen PDR nicht klar hervor.
Dabei ist darin beispielsweise durchaus von mehr Ökologie die Rede. Die Landschaftspflegeprämie etwa, die allein ein Fünftel der PDR-Ausgaben ausmacht und derzeit auf 93 Prozent der Luxemburger Agrarnutzfläche ausgezahlt wird, soll um eine „Option“ ergänzt werden: Bauwern, auf deren Flächen sich schützenswerte Biotope befinden, können einen Zuschlag von fünf bis zehn Prozent erhalten. Oder der Biolandbau: Dort sollen die Prämien um 33 bis 67 Prozent steigen. Artenschutzmaßnahmen werden nicht über den PDR, sondern rein national finanziert; bis 2020 sollen dafür 13 Millionen Euro zur Verfügung stehen, während es zwischen 2007 und 2013 nur 10,5 Millionen waren. Landwirte, die eine Investitionszulage beantragen, sollen künftig begründen, dass ihr Projekt CO2-emissionsarm und energieeffizient ist. Wenn Junglandwirte einen neuen Betrieb eröffnen, wird eine „integrierte Beratung“ Pflicht, die den Businessplan inklusive Energie-, Dünger- und Pestizideinsatz analysiert.
Das klingt nicht schlecht. Wenngleich schon CSV-Langzeit-Agrarminister Fernand Boden vor zwölf Jahren wusste: Abgesehen von der Landschaftspflegeprämie werden die so genannten Agrar-Umweltmaßnahmen nur wenig in Anspruch genommen. Daran hat sich nicht viel geändert; 2013 bearbeitete das Ministerium gerade mal 97 neue Anträge – auf 1 900 Agrarbetriebe. Ein PDR enthält stets so gut wie nur freiwillige Maßnahmen. Selektionskriterien für Investitionsbeihilfen und Pflichtberatungen für Jungunternehmer sind so gesehen echte Neuerungen.
Die Frage ist aber, ob damit ein Strukturwandel zu schaffen wäre. Sie könnte sich konkret stellen, wenn in sechs Wochen europaweit das Milchquotenregime abgeschafft wird, das pro Staat die jährliche Milchmenge begrenzt. Mit 734 von 1 900 sind die meisten Luxemburger Agrarbetriebe Milchbetriebe. In einer repräsentativen Erhebung durch den Service d’économie rurale (SER) im Landwirtschaftsministerium gaben Ende vergangenen Jahres 71 Prozent von ihnen an, fielen die Quoten weg, würden sie ihre Produktion um 75 bis 150 Prozent steigern. 25 Prozent würden ihre Produktion halten, nur vier Prozent aus der Milchproduktion aussteigen wollen.
In ziemlich deutlichen Worten hält der SER die Wachstumspläne für „nicht gesund“. Er rechnete auf die Befragung hin vor, durch Investitionen in neue Ställe entstünden Kosten von durchschnittlich 11 800 Euro „pro Kuhplatz“, was „nur in den allerseltensten Fällen wirtschaftlich zu rechtfertigen“ sei. Die Produktionserweiterung werde auch an die Flächenknappheit im Land stoßen. Fast jeder fünfte der zum Wachstum entschlossenen Betriebe wolle sich flächenmäßig vergrößern. Manche würden ihre Milchleistung pro Hektar Weidefläche auf bis zu 18 000 Kilogramm steigern wollen. Das entspreche dem, „was man aus einem Hochleistungsland wie den Niederlanden kennt“, sei aber „nur Theorie“. Denn schon heute lägen die Pachtpreise bei 200 Euro pro Hektar, jede Pacht-Erhöhung um 100 Euro bringe aber eine „Mehrkostenstelle“ von einem Cent pro Kilo Milch mit sich. Das könne „verheerende Folgen“ haben. Denn die Pachtpreise sind natürlich nach oben offen, die Milchpreise aber volatil, da die Molkereien sich immer mehr auf den Weltmarkt ausrichten. Die 2013 und 2014 sehr guten Preise kamen vor allem durch das Geschäft mit Russland, China und Südostasien zustande – und brachen ein, nachdem die EU wegen der Ukraine-Krise Sanktionen gegen Russland verhängt hatte und Russland im Gegenzug Agrarimporte aus der EU kappte.
Keiner der vom SER befragten Betriebe erwog, in eine Produktion einzusteigen, in der hierzulande der Selbstversorgungsgrad klein ist, etwa im Geflügelbereich oder im Obst- und Gemüsebau. Ob der PDR Weichen dafür stellt?
Nicht wirklich. Wer diversifizieren will, wird unterstützt; das war schon früher so. Die beiden dominierenden Branchen Milch- und Rindfleischproduktion sollen aber nicht angetastet werden, schreibt das Ministerium in seinem Planentwurf. Weder soll die Produktion resolut regional ausgerichtet werden, noch kann das Ministerium sagen, ob sich die vielen Einzelmaßnahmen und ihre Bezuschussung so weit „rechnen“, dass einem Landwirt ohne viele Umstände klar würde, inwiefern es sich lohnt, nicht auf den Milch-Weltmarkt zu schauen, weniger intensiv zu produzieren, weniger Fläche zu pachten und vielleicht gar die Produktion umzustellen. Der PDR ist als „Menü“ gedacht, das allen etwas bieten soll, dem Hochleistungs-Milchproduzenten wie dem Hardcore-Biolandwirt, der sät, wenn der Mond richtig steht. Allerdings: Dass trotz der geplanten Prämiensteigerungen für „bio“ in Luxemburg noch immer weniger ausgezahlt würde als in den Nachbarländern, hat sich das Landwirtschaftsministerium von einem Konsortium dreier Beratungsbüros sagen lassen müssen, das den PDR analysiert hat. Doch wer allen gerecht werden will, muss eben überall Abstriche machen und fördert nichts konsequent. Die Idee aus dem Nachhaltigkeitsministerium, Leitbilder zu entwickeln wie etwa für eine bestimmte Landwirtschaft im Müllerthal, wurde von Etgens Ministerium verworfen: Jeder Bauer müsse für sich entscheiden, was er macht.
Das ist eine Haltung, die nicht nur die CSV-Agrar-politik fortsetzt, für die Fernand Boden immer erklärte: „Impulse zur Diversifizierung müssen aus dem Beruf kommen“, wer die Möglichkeiten des PDR und des darauf anschließend aufbauenden Agrargesetzes nicht nutze, sei selber schuld. Sie ist, weil Beihilfen hier ihre Wirkung verfehlen könnten, auch erstaunlich für eine Regierung, die eine Haushaltspolitik der „neuen Generation“ betreiben und nur Ausgaben zulassen will, die effizient sind. Immerhin: Bei einem EU-Kofinanzierungsanteil von 26 Prozent werden 272 Millionen der 368 Millionen Euro PDR-Gelder aus der Staatskasse kommen, plus 133 Millionen für rein nationale Maßnahmen. Weil die EU-Kommission in ihrer Stellungnahme anmerkt, verschiedene Maßnahmen, vor allem im Umweltbereich, könnten zum zweiten Mal finanzieren, was schon im „ersten Pfeiler“ über das so genannte Greening der Betriebsprämien abgedeckt wird, für die in sieben Jahren 238 Millionen aus dem EU-Agrarhaushalt fließen, hat der Mouvement écologique schon Recht, wenn er sagt, es gehe um den sinnvollen Einsatz von insgesamt 700 Millionen Euro öffentlicher Gelder – seien sie national oder europäisch.
Und es ist nicht ausgeschlossen, dass die EU-Kommission Luxemburg die Agrargelder in drei Jahren empfindlich kürzt. Noch erhalten 96 Prozent der Bauernbetriebe eine „Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete“. Je nach Betrieb kann sie bis zu ein Drittel des Bruttoeinkommens des Landwirts ausmachen. Im neuen PDR sind dafür 110 Millionen Euro vorgesehen. Doch nur bis Ende 2017 wird Luxemburg die Ausgleichszulage ausnahmsweise zugestanden, um damit das Einkommen der Landwirte im Vergleich zum hohen Durchschnitts-Einkommensniveau aufzubessern. Ab 2018, so steht es in einer EU-Verordnung, können dafür nur noch „contraintes naturelles qui affectent la production agricole“ geltend gemacht werden, wie die Kommission in ihrem Avis zum PDR erinnert. Und wenn Luxemburg mit der Ausgleichszulage durchschnittlich 143 Euro pro Hektar auszahlen wolle, so die Kommission, müssten „Umweltkriterien“ angegeben werden, die das rechtfertigen.
Weil die Regierung das schon wusste, ehe der PDR-Entwurf im Juli 2014 nach Brüssel geschickt wurde, hatte das Nachhaltigkeitsministerium darin eine Hintertür gesehen, die Zulage zu retten, wenn man die Landwirtschaft ganz wesentlich „ökologisiert“, stärker auf Qualitätsnischen ausgerichtet und damit argumentiert hätte. Das Landwirtschaftsministerium lehnte das jedoch ab und will der Kommission lieber erklären, dass auch die Beschaffenheit der heimischen Böden die Bauern benachteilige.
Dass das klappt, ist natürlich nicht sicher. Sicher ist dagegen, dass die Koexistenz von Landwirtschaft und anderen Aktivitäten im kleinen Land schwieriger wird. Landwirtschaft finde „fast nur noch im peri-urbanen Raum“ statt, ist im PDR zu lesen, also unweit von Wohnsiedlungen. Eine andere „klar zu beobachtende Tendenz“ sei, das Vieh nur noch im Stall zu halten. Mit dem PDR soll deshalb eine „Weideprämie“ eingeführt werden, die die EU-Kommission aber nicht akzeptieren will: Tiere auf die Weide zu lassen, sei „gute fachliche Praxis“ und verstehe sich schon des Tierwohls wegen von selbst. Die richtigen Akzente für ein gesundes Wachstum der Luxemburger Landwirtschaft setzt der PDR offensichtlich noch nicht.