„Mir hunn eng Pflicht vun Transparenz an deen Verbatim soll public gemaach gin“, hatte sich der damalige Abgeordnete Xavier Bettel (DP) in fetten Großbuchstaben auf Twitter empört. Der Tweet erfolgte im Juni 2013 auf dem Höhepunkt der Geheimdienstaffäre. Das Versprechen von mehr Transparenz sollte später eines der Schlüsselthemen sein, mit dem die damaligen Oppositionsparteien DP und Déi Gréng in den Wahlkampf zogen – und schließlich die alte Herrschaftsclique der CSV entthronten.
In der Regierungserklärung des frisch gebackenen Premierministers folgten entsprechende Akzentsetzungen: Das Wort „transparent“ fiel immerhin acht Mal. Ein Jahr später sieht die Sache schon anders aus. In einem Wort-Interview zum Jahresende gelobte Bettel zwar, seine Regierung habe sich „für die Transparenz entschieden“, doch schon in seiner Erklärung zur Lage der Nation war vom einstigen Eifer nicht mehr viel zu spüren: Transparenz tauchte da noch vier Mal auf, im Kontext des versprochenen Informationszugangsgesetzes, der Finanzpolitik und des Bürokratieabbaus.
Stets hatte der Premierminister, der sich gerne dynamisch und publikumsnah gibt, eine andere Information und Kommunikation versprochen: Offener und zugänglicher sollte seine Regierung sein, die Bevölkerung sollte mehr Einblick in politische Entscheidungsprozesse bekommen – und per Referendum mehr beteiligt werden. Eine seiner ersten Amtshandlungen war es, das wöchentliche Pressebriefing, das Bettel fast immer persönlich leitet, live im Internet zu übertragen. Das hatte sich sein Vorgänger Jean-Claude Juncker, der als EU-Kommissionspräsident immerhin einen Kommissar des Internets schuf, in seinen Jahren als Regierungschef nie getraut. Bestimmt hätten sich nicht nur Medienvertreter gefreut, Junckers genuschelte süffisant-spitze Einlassungen zum nationalen und zum Weltgeschehen in einem Video-Format zu haben.
Viel mehr hat sich in der Informationspolitik bei den Blau-Rot-Grünen seitdem aber nicht verändert. Oder noch nicht? Nun können auch interessierte Bürger das Briefing schauen, Journalisten können, ohne beißende Widerworte zu riskieren, Fragen stellen und Antworten hören – Analysen und Factsheets, die belegen würden, was der Premierminister oder einer der Kollegen auf dem Podium vor hellblauem Hintergrund erzählt, werden jedoch höchst selten ausgeteilt. Eine Ausnahme war die Vereinbarung mit der katholischen Kirche, die abgespeckte Version. Sie lag zugleich dem Parlament vor. Ursprünglich hatte die Regierung den Bürgern mehr versprochen: ein Referendum zur Priesterfrage, das nun vom Tisch ist.
Die Tagesordnung zum Regierungsrat wird seit einigen Wochen nicht mehr vorher an die Redaktionen geschickt. Ein verschnupfter, in modischem grauen Strickschal gewickelter Bettel erklärte beim Briefing vergangene Woche, der Grund dafür sei, dass wegen zu knapper Zeit Punkte oft nicht abgearbeitet würden. Unerledigtes könnte für Journalisten aber zugleich ein wertvoller Hinweis sein, dass es möglicherweise Uneinigkeit und Klärungsbedarf gibt und eine Entscheidung deshalb vertagt wird. Aber über Streit im Kabinett spricht keine Regierung gerne.
Das Gesetz zur transparenten Verwaltung, ein weiteres Versprechen der DP-LSAP-Grünen-Koalition, liegt als Vorentwurf vor. In dem Papier wird das Prinzip festgeschrieben, dass Bürger Zugang zu Verwaltungsdokumenten bekommen sollen. Der Staat dient dem Bürger, nicht umgekehrt. Doch von Auskünften ausgenommen sind zum Beispiel die Bankenaufsicht, die Zentralbank und die Arbeitsinspektion, auch der parastaatliche Sektor bliebe neugierigen Blicken verschlossen, ebenso Dokumente, die zur Vorbereitung von politischen Entscheidungen dienen. Zählt eine Wohnungsbedarfsanalyse als Vorarbeit oder ist sie ein veröffentlichungspflichtiges Amtsdokument? Von einem großen Wurf lässt sich demnach nicht sprechen. Zumal für Journalisten die geplante einmonatige Bearbeitungsfrist völlig unrealistisch ist, wie Presserats-Präsident Roger Infalt bei seiner Neujahrsansprache bemängelte. Nichts ist älter als die Zeitung von gestern, im Internetzeitalter als die Meldung von vor einer Stunde. Der Presserat kommt in seiner Stellungnahme zum Ergebnis, dass der Entwurf nicht den Bedürfnissen und Forderungen der Medien entspricht und zu vieles offen lässt.
Journalisten und Verleger sind noch aus einem anderen Grund enttäuscht: Denn obwohl ihre Vertretungen seit vielen Jahren eine Auskunftspflicht von Beamten gegenüber Journalisten fordern, die diese dazu verpflichtet, journalistische Anfragen zügig zu bearbeiten, fehlt diese hierzulande weiterhin. Wie sein Vorgänger Juncker, der erst am Ende seiner Amtszeit einen – für Journalisten inakzeptablen – Entwurf für ein Informationszugangsgesetz vorlegte und von einem eigenen Informationszugang für Journalisten nichts wissen wollte, übernimmt Medienminister Bettel dasselbe, pardon, dumme Argument: Er kenne solch ein Recht nicht. Dabei hatte der Presserat dem zuständigen Beamten mindestens zweimal vergleichbare Texte aus dem Ausland vorgelegt, das Pressegesetz von Rheinland-Pfalz etwa oder vom Saarland (in Deutschland sind Pressegesetze Ländersache). Ein Journalist, der in Trier recherchiert, kann sich bei seinen Recherchen auf ein verbrieftes Auskunftsrecht berufen, seinem Kollegen in Luxemburg können Beamte hingegen ungestraft Informationen verweigern.
Und das tun sie auch. Denn neue Dienstherren und -damen im Haus bedeuten keineswegs automatisch neue Spielregeln. Was im Rahmen der internationalen Politik, die von grenzüberschreitender Koordination und diplomatischen Sprachregelungen lebt, Sinn machen kann, ist weniger nachzuvollziehen, wenn es beispielsweise um Gesundheitspolitik oder Wirtschaftsfragen geht. Journalisten werden häufig angewiesen, nicht beim zuständigen Beamten um Auskunft zu ersuchen, sondern mit Anfragen bei der jeweiligen Kommunikationsabteilung vorstellig zu werden, am besten mit vorher zu schickendem Fragenkatalog. Letzte Woche wurde eine Land-Anfrage zum Hepatitis-Aktionsplan abgelehnt, weil der trotz nunmehr fast zweijährigen Beratungen nicht fertig sei. Die Kommunikationsbeauftragte fragte die Journalistin gar, ob sie es verantworten könne, über unvollständige Sachverhalte zu schreiben? Dabei war es das Ministerium, das der eigenen Pressekonferenz nicht vorgreifen wollte und Sachinformationen bewusst zurückhielt.
Die Presse soll informieren, offizielle Darstellungen hinterfragen. Anders dagegen die Pressereferentin, für die jede offizielle Information zugleich Möglichkeit zur PR bietet, als Agentin des Ministeriums ist es ihr Auftrag, dafür zu sorgen, dass ihr Dienstherr in der Berichterstattung nicht schlecht dasteht. Ihre Information soll Macht festigen, keineswegs aber destabilisieren. Denn zu viel Information kann einem Politiker, einer Regierung mitunter schaden. Deshalb stehen Journalisten auf der einen und Pressereferenten, respektive Politiker auf der anderen Seite einander misstrauisch gegenüber. Der deutsche Ex-Staatssekretär für Medien, Michel Mertes, beschrieb das ambivalente Verhältnis einmal so: „Partnerschaft und Gegnerschaft prägen das Verhältnis zwischen Politiker und Journalisten: Beide sind als Partner existenziell aufeinander angewiesen.“ Und: „Wettbewerb um Macht ist der spezifische Motor der Politik, Wettbewerb um neue Information der spezifische Motor des Journalismus.“ Oder wie es in einem Tageblatt-Edito zur Luxemburger Situation hieß: „Allen voran geht hier Vater Staat, der sich inzwischen einen Informations- und Pressedienst eingerichtet hat, der allein schon personalmäßig gesehen alle Redaktionen von Zeitungen, Radio- oder Fernsehsendern übertrumpft. Informationen dringen scheibchenweise nach außen, und wird der Boden unter ihren Füßen einmal heiß, dann schweigt der ganze Apparat, weil ‚der Chef’ (also der Staatschef) das so will.“
Beim Presse- und Informationsdienst der Regierung (SIP) fragen sich nicht nur Journalisten, was dieser außer Mitteilungen und Presserevuen zu schreiben eigentlich macht. Links zu Meldungen der vorigen Regierung funktionieren nicht, für Hintergrundrecherchen hat der SIP kaum einen Mehrwert. Minister ärgern sich hingegen eher über schlecht gewählte Fotos und zu wenig Kommunikation, sprich: schlecht gemachte Werbung.
Der Versuch, offizielle Informationen und die mediale Darstellung maximal zu kontrollieren, geht in manchem Ministerium offenbar so weit, dass Beamte angewiesen wurden, gar nicht erst mit Medienvertretern zu reden, ohne zuvor das Okay des jeweiligen Ministers eingeholt zu haben. Egal, ob ein Journalist wissen will, wann ein Aktionsplan fertig ist, oder ob es stimmt, dass der Minister zu einem gegebenen Zeitpunkt an diesem oder jenem Ort war.
Das ist nicht überall so und hängt nicht zuletzt von den Ministern selbst ab, ihrer Persönlichkeit und ihren Erfahrungen mit den Medien. Im Familienministerium, wo mit Corinne Cahen eine Frau mit Radio-Hintergrund sitzt, scheint es kein solches Redeverbot zu geben. Der ehemalige Gesundheitsminister und heutige Chamber-Präsident Mars Di Bartolomeo, einstiger Tageblatt-Journalist, kennt den Medienzirkus gut, wegen seiner jovialen Art ist er bei Journalisten beliebt. Anders seine Nachfolgerin, die im Umgang mit der Presse gehemmt, fast ängstlich scheint. Schulminister Claude Meisch ist bekannt für seine ruhige Sachlichkeit (wenngleich bisher nicht für erfolgreiche Verhandlungen im Lehrer-Sparstreit). Anders der oft gehetzt und genervt wirkende Pierre Gramegna, der sich schon mal einen hitzigen Schlagabtausch mit Journalisten liefert, wenn die ihn mit fuchsigen Fragen löchern. Das Umweltministerium kommuniziert recht viel nach außen, vielleicht weil mit dem ehemaligen Medienberater des Europaabgeordneten Claude Turmes dort ein Kommunikationsprofi (und ehemaliger Journalist) sitzt, der um die gegenseitige Abhängigkeit von PR und Presse weiß.
Die Kritik mancher Medienvertreter an einer spartanischen Kommunikation von Ministerien erklärt sich aber noch anders: Guter Journalismus lebt von guten Kontakten. Ohne Informanten, ohne Tipps aus dem Innersten der Machtmaschine würde es viele Nachrichten, Analysen und Hintergrundberichte nicht geben. Diese Kontakte funktionieren wegen des Regierungswechsel nicht mehr gleichermaßen, daran haben die vielen Seitenwechsel von Journalisten in die Politik oder in ministerielle Beraterstäbe (prominentestes Beispiel Paul Konsbrück als Sprecher des Premiers oder neuerdings RTL-Journalist Max Theis, der zu Maggy Nagel ins Wohnungs- und Kulturministerium wechselt) nichts geändert. Beamte wurden abgesetzt und durch politisch genehmere ersetzt. So hat ein ehemaliger Kontaktmann vielleicht keinen Zugang zum Dossier mehr, weil ihn sein Dienstherr in ein Büro abseits des Geschehens verbannt hat.
Das Luxemburger Wort zeichnete im Januar auf einer Doppelseite nach, welcher hohe Staatsbeamte in den vergangenen Wochen und Monaten das Handtuch geworfen hat und wer daraufhin nachgerückt ist. Auch wenn sie kaum objektiv ist, ist die Analyse bemerkenswert, obschon sich fragen lässt, ob sie im selben Maße erfolgt wäre, säße die CSV nicht in der Opposition. Die Zeitung hat mit Jean-Lou Siweck einen ehemaligen politischen Berater Jean-Claude Junckers als Chefredakteur.
Der Wechselreigen sagt auch etwas über die politische Kultur der Parteien aus. Die Grünen scheinen das Bäumchen-wechsel-dich-Spiel weniger nötig zu haben. Unter Justizminister Felix Braz und Umweltministerin Carole Dieschbourg herrscht weitgehende personelle Kontinuität. Umwelt- und Transportministerium zeichnen sich durch eine proaktive Kommunikation aus. Vielleicht ist das der grüne Stil: flache Hierarchien, wo es eben geht. Obschon in der Kommunikation der Partei die Transparenz neuerdings ein Schattendasein führt: Seit Juni 2013 findet sich auf der Déi-Gréng-Webseite kein neuer Eintrag zum Stichwort Transparenz, obwohl es Dinge zu kommentieren gäbe: die hinter verschlossenen Türen geführten Verhandlungen zum Werteunterricht beispielsweise, früher ein Reizthema, zu dem grad die Grünen immer etwas Streitbares zu sagen hatten.
Der unaufgeregte Auftritt von Landesplanungsminister François Bausch, als der die rechtlich zweifelhaften Entwürfe der Sektorpläne zurückziehen musste, war jedenfalls sehr viel geschickter als das Dementi der DP auf die geleakte umstrittene 0,5-Prozent-Abgabe im Sommer, dem später das Dementi des Dementi folgte. Die anschließende Kontroverse, die empörten Reaktionen der Öffentlichkeit haben, das sagen Insider, dazu geführt, dass Regierungs-Verhandlungen noch abgeschotteter verlaufen als ohnehin schon. Bloß keine weiteren Kommunikationspannen. Der Nachrichtenhunger heute scheint unersättlich: Der Appetit auf Geschichten, auf Skandale und Skandälchen gar, sorgt dafür, dass sich kleinere und größere Pleiten unbeholfener oder unerfahrener Minister ins kollektive Gedächtnis einbrennen und mit einem Mausklick wiederzubeleben sind. Eine schmerzhafte Erkenntnis gerade für diejenigen Politiker, die sich zuvor auf der Oppositionsbank noch von Journalisten umgeben und gefeiert wähnten, wie der bittere Kommentar eines Ministers zeigt: „Wir haben keine befreundete Presse mehr.“ Der freilich die Realität verzerrt: Die DP hat im Zweifelsfall die freundliche Unterstützung des Journal, die CSV das Wort, wenngleich kritischer, ebenso sind Meldungen zur LSAP am ehesten im Tageblatt zu finden. Eine Parteipresse mag es so nicht mehr geben, aber überwunden sind die alten Zugehörigkeiten und Reflexe auch nicht.
Dass Minister Kommunikationsberater und Vertrauensleute um sich scharen, gehört zum Regierungsgeschäft heute dazu. Politische Berater und PR-Agenten haben außer dröge Pressemitteilungen samt Foto mit fröhlich lächelnder Ministermiene und herzhaft zupackenden Ministerhänden zu liefern, noch eine subtilere Aufgabe: Mit gezielten Leaks, kleinen Indiskretionen und geschickt gesetzten Spins versuchen sie die Medien so zu beeinflussen, dass diese ihre (Erfolgs-)Geschichten aufgreifen und weitererzählen. Weil die Zeit für Journalisten im Internetzeitalter enger wird, wird Gesagtes und Eingeflüstertes auch mal unkritisch übernommen. Herauskommt im schlimmsten Fall eine Nachricht, die wie die Pressemitteilung eines Ministers klingt. Deshalb ist ein wirksamer gesetzlich verbriefter Informationszugang auch für Journalisten so wichtig: Er gibt Medien prinzipiell den gleichen Zugang zu amtlichen Informationen und macht sie von allzu engen Kontakten zur Macht, und somit von Beeinflussung, einen Tick unabhängiger. Kritisch analysieren muss der Journalist allerdings weiterhin selbst.