Rund 230 Seiten dick ist die Festschrift, welche die CFL zum Anlass des Hundertjährigen der hauptstädtischen Gare herausgegeben haben. 100 Joer Gare Lëtzebuerg 1912-2012: Eine einmalige Zeitreise führt in 20 Kapiteln durch die Geschichte des Bahnhofs. Angefangen bei der Planung, die anhand von Artikeln des vor Jahren verstorbenen Paul Reinert, ursprünglich in Transport, dem Mitteilungsblatt des Syprolux erschienen.
Reinert zeichnet darin die Suche nach dem geeigneten Standort für den Bahnhof nach; wegen der bei Planungsbeginn noch bestehenden Festungsanlagen, kein leichtes Unterfangen. Diesem Holzbau, 1859 in Betrieb genommen, folgte die Planung des heutigen Steinbaus, 1912 fertiggestellt. Die Planung, die Suche nach dem geeigneten Bauunternehmer, dem richtigen Baumaterial (Ernzener und Gilsdofer Stein), den Ablauf der Arbeiten beschreibt ein weiterer Artikel Paul Reinerts. Die vielen alten Fotos, Postkarten und Pläne, die zeigen, wie es damals am Bahnhof zuging, sind ein Bonus.
Im Lichte der auch 2013 immer noch aktuellen Diskussion über die Landesplanung allgemein und die Rolle von Immobilienpromotoren insbesondere ist der Beitrag von Robert L. Philippart Une ville rejoint sa gare von ganz besonderem Interesse. Philippart legt dar, wie die Regierung, die Urbanisierung des durch die Schleifung der Festung freigewordenen ehemaligen Kasernengeländes auf dem Plateau de Bourbon plante und vorantrieb. Wie sollten Oberstadt auf der einen Seite des Petrustals und der Bahnhof auf dem Gelände der Gemeinde Hollerich miteinander verbunden werden? Zu berücksichtigen war dabei neben der Straßenführung der künftigen Avenue de la Liberté die Problematik der Grundstücksspekulation sowie die Konkurrenzsituation zwischen den Geschäften der Oberstadt und dem Gewerbe, das in Bahnhofsnähe angesiedelt werden sollte. Das Einzelhandelssterben in der Innenstadt durch Konkurrenz auf der grünen Wiese – damals wie heute ein aktuelles Thema.
Bahnenthusiasten werden die Einführungen in den Bahnjargon freuen. Wie auch die Ausführungen von Charles-Léon Mayer, ehemaliger beigeordneter Bahndirektor, der die Umstellung auf den elektrsichen Bahnbetrieb im nüchternen Ton eines Eisenbahners beschreibt. Laien wird dabei einfach überraschen, wie spät die Nordstrecke der Luxemburger Bahn auf Strom umgestellt wurde, und beeindrucken, wie kompliziert sich die Situation am Bahnhof Luxemburg aufgrund seiner Lage als Knotenpunkt zwischen den deutschen, belgischen und französischen Systemen – mit jeweils anderen Stromnetzen – präsentierte. Fast jeder kennt die Joseph-Junck-Straße, die vor dem Bahnhofsplatz Richtung Hollerich führt. Aber wer weiß schon, wer Joseph Junck war? Ein Kapitel ist den Vorstehern des Bahnhofs Luxemburg gewidmet, darunter Joseph Junck, der diesen Posten 50 Jahre besetzte.
Die mehrseitige Bilderstrecke mit Fotos von Wolfgang Osterheld aus den Achtzigern und frühen Neunzigerjahren ist eine Reise zurück in die Zeit, als Dauerwellen nichts Ironisches hatten und der Bahnhof noch stärker als der Flughafen Ausgangs- und Ankunftspunkt längerer Urlaubsreisen war und deswegen nicht nur Jugendliche, Senioren, Idealisten und die, sie sich kein Auto leisten können, die Bahn als regelmäßiges Transportmittel nutzen.
Michèle Sinner
Kategorien: Eisenbahn
Ausgabe: 04.01.2013