Oppositionsparteien

Politik der Nadelstiche

d'Lëtzebuerger Land du 06.08.2009

Er wolle in kommunalpolitischen Angelegenheiten künftig kürzer treten, kündigte Kammerpräsident Laurent Mosar (CSV) am Montag gegenüber der Zeitung Le Quotidien an. Man kann das als Eingeständnis werten. Sein erster offizieller Auftritt bei der Hilfsorganisation „Stëmm vun der Strooss“ war DP und Déi Gréng sauer aufgestoßen, sahen sie darin doch eine parteipolitische Stellungnahme, die dem „ersten Bürger des Landes“ nicht zustünde. Die Grünen reagierten mit einem erbosten Brief, und auch der frisch gekürte DP-Fraktionspräsident Xavier Bettel ließ es sich nicht nehmen, in seiner Rede am vergangenen Donnerstag im Parlament dem neuen Kammervorsitzenden zu bescheinigen, er hätte wohl noch einiges dazuzulernen. 

Die Polemik um den ungeschickten Auftritt des christlich-sozialen Politikers ist eher von Symbolkraft: Denn selten war eine schwarz-rote Übermacht so groß wie in dieser Legislaturperiode. 38 von 60 Sitzen besetzen Abgeordnete der Regierungsparteien. Klar, dass sich da die Frage nach dem Handlungsspielraum der Opposition stellt. Schon in der vergangenen Legislaturperiode taten sich DP, Déi Gréng und ADR schwer damit, gegen die CSV-LSAP-Überzahl eigene Akzente zu setzen, von der Auseinandersetzung um das Sterbehilfegesetz einmal abgesehen. Kontroverse, kritische Positionen wurden zaghaft, schlecht kommuniziert oder es gab sie schlichtweg nicht. 

Schenkt man dem frisch gekürten liberalen Fraktionspräsidenten Glauben, soll das in den kommenden fünf Jahren anders werden. „Arithmetisch gesehen, ist sicher wenig Platz, Dinge zu ändern“, so Bettel, „aber das ist kein Grund, nicht seine Meinung zu sagen.“ Bettel hatte am vergangenen Donnerstag als Antwort auf Jean-Claude Junckers Regierungserklärung eine kämpferische Antrittsrede vorgetragen, wie sie von seinem stets um Diplomatie bemühten Vorgänger Charles Goerens schwer vorstellbar gewesen wäre. Doch die spritzig vorgetragene Kritik am ratlosen Weiter so! des Regierungsprogramms und am betretenen Schweigen der Koalition dazu, wie denn die krisenbedingten Milliardenlöcher im Staatshaushalt gestopft werden sollen, sowie rethorische Spitzen gegen einen Super-Minister François Biltgen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Abwärts-trend der Liberalen nicht gestoppt ist. Der Großteil der Wähler wollte von „neie Weeër“ eben nichts wissen, der Wirtschaftsliberalismus erlebt in diesen Krisenzeiten eine schwere Sinnkrise, auf die auch die DP so richtig keine Antworten weiß. Junckers „selektive Sozialpolitik“ begrüßen die Liberalen ebenso wie die angekündigte Senkung der Unternehmenssteuern von 29,5 auf nunmehr 25,5 Prozent. Statt eigener Lösungen lauert man, so scheint es, auf Fehler im Regierungs-Krisenmanagement, um dann mit dem Finger auf die anderen zeigen zu können. 

Dabei gibt es viel vor der eigenen Tür zu kehren. Der  Erneuerungsprozess ist, trotz neuem Fraktionspräsidenten, noch lange nicht abgeschlossen. Mit Xavier Bettel an der Spitze hat die Fraktion zwar einen Mann mit viel versprechendem politischem Instinkt. Seine Popularität bei den Wählern verdankt der 36-Jährige nicht zuletzt seinen forschen, bisweilen populistischen Attacken – und dem geschickten Umgang mit den Medien. Im sozialen Netzwerk Facebook ist er der mit Abstand beliebteste Politiker Luxemburgs. Bloß: Kann er auch die Liberalen aus der Krise führen? „Wir werden unser Wahlprogramm Punkt für Punkt in den kommenden Monaten in die Debatte einbringen“, in Form von Interpellationen oder eigenen Gesetzesinitiativen, verspricht Bettel. 

Ob die Fraktionskollegen ihm folgen werden? Nach einem klärenden Gespräch zwischen Carlo Wagner und Gilles Baum hat die Partei sich selbst eine Ruhepause verordnet. „Das Dossier ist zu“, betont Bettel. Aus der Welt ist der andauernde Generationenkonflikt damit aber noch nicht, denn Carlo Wagner ist nicht der einzige, der an der neuen Parteistrategie wenig Gefallen findet. Außer von den Kolleginnen Anne Brasseur und Lydie Polfer könnte Wagner Unterstützung vom einzigen echten Newcomer in der DP-Fraktion bekommen: André Bauler aus dem Norden soll sich den Themen Wirtschaft- und Finanzen widmen, ist aber auch Mitglied in der Unterrichtskommission. Mit fortschrittlichen Positionen ist der Wirtschaftslehrer bisher eher nicht aufgefallen, so dass man gespannt sein darf, wie sich die Zusammenarbeit etwa mit Eugène Berger, der Brasseur als Bildungsexperten abgelöst hat, gestalten wird. 

Déi Gréng plagen derlei Flügelkämpfe und Abstimmungsprobleme weniger, schließlich ist die neue Mannschaft die alte und eingespielt, und auch die Ressort-Zuständigkeiten wurden grosso modo beibehalten. Allerdings waren auch die Grünen in den vergangenen fünf Jahren nicht unbedingt durch prägnante Oppositionsarbeit aufgefallen: Der Wahlerfolg auf Gemeindeebene ging zu Lasten der Arbeit im Parlament: „Wir standen in den Gemeinden unter enormer Beobachtung und wollten es besonders gut machen“, räumt François Bausch ein. Mittlerweile sei man um „wichtige Jahre Erfahrung reifer“ und somit „gelassener“, so der grüne Fraktionspräsident, der eine „engagierte und kritische Oppositionsarbeit“ und „viel Druck“ verspricht. 

Einen kleinen Vorgeschmack lieferten Déi Gréng kurz nach den Wahlen, als sie bei der Vorstellung der neuen-alten Parlamentsfraktion ihren Widerstand gegen einen scheidenden Langzeit-Minister Fernand Boden als möglichen Parlamentsvorsitzenden ankündigten. Ins gleiche Kampfeshorn blies Bausch in seiner Rede zur Regierungserklärung, in der er die Geheimnistuerei rund um die Koalitionsverhandlungen als „dunkelste Katakomben“ anprangerte. Eine Anspielung auf eine Lästerei Junckers, der einst den EU-Verfassungskonvent als „dunkelste Dunkelkammer“ bezeichnet hatte und als Regierungs-Formateur nun selbst nicht mit konkreten Informationen herausrücken wollte. 

Die verbale Angriffslust macht aber noch keinen Oppositions-Sommer. Auch die Grünen tun sich schwer damit, die Krise politisch für sich zu nutzen. Der Abschwung der Partei nach Beginn der Wirtschaftskrise zeigt, dass die Wähler der Partei in Wirtschaftsfragen wenig Führungsstärke zutrauen, da mag sie noch so Recht damit haben, dass „grüne“ Themen wie Klima und Energie in Zukunft eine noch bedeutsamere Rolle spielen werden. Inzwischen hat selbst die schwarz-rote Regierung einen Nachhaltigkeitsminister, und ob die von Déi Gréng propagierte ökologische Steuerreform in der Bevölkerung auf offene Ohren stoßen wird, darf angesichts des geschassten „Autosteuer-Ministers“ Lucien Lux bezweifelt werden. Der Fokus auf die drei É – Écologie, Économie und Éducation – mag bei jungen Menschen Anklang finden, mehrheitsfähig ist er nicht. 

Bauschs Kassandra-Warnrufe vor sozialen Aufständen wie in Frankreich und sein Bemühen, die Grünen als Vorreiter einer sozialen Umverteilungspolitik von oben nach unten zu etablieren, wirken angestrengt – und kann die Linke ohnehin glaubwürdiger: In seiner zehnminütigen Antrittsrede sprach der Déi-Lenk Abgeordnete André Hoffmann als einziger davon, die Verhältnisse grundlegend ändern zu wollen. Obschon durch Minderheitenstatus und striktes Kammerreglement gehindert, will Hoffmann „alle Möglichkeiten nutzen“, innen- und außerparlamentarisch, um „linke Identifiants“, wie Wohnungsbaupolitik, Kündigungsschutz und Mindestlohn, zu thematisieren. Auch strategische Allianzen mit den Grünen, der DP und, warum nicht?, Teilen der LSAP, etwa auf gesellschaftspolitischen Themen und wenn es um „politischen Liberalismus“ geht, schließt Hoffmann nicht aus. 

Derlei Ansinnen, die die Koalition spalten könnte, versuchen CSV und LSAP von vornherein den Wind aus den Segeln zu nehmen: mit dem beiderseitigen Versprechen, keine „alternativen Mehrheiten“ (Seiten 2-3) zuzulassen. Junckers Ankündigung, die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare öffnen zu wollen und auch den Schwangerschaftsabbruch zu regeln, macht es überdies für die Opposition links von der CSV (die ADR schwieg sich im Wahlprogramm über die Homoehe aus) nicht gerade leichter, ihre Taktik, den Christlich-Sozialen „Strukturkonservativismus“ – und den Sozialisten Komplizenschaft – vorzuwerfen, wird zumindest in dem Bereich nicht ohne weiteres aufgehen. Wobei abzuwarten bleibt, wie denn ein schwarz-roter Kompromiss in Sachen Fristenlösung und Homoehe aussieht. Das Hin und Her um die doppelte Staatsangehörigkeit spricht dafür, dass große Fortschritte wohl eher nicht zu erwarten sind.

Ein anderes Thema könnte der Opposition die Munition liefern, die sie braucht, um sich gegen die CSV-LSAP-Dominanz bemerkbar zu machen: Eine Änderung des Status Quo beim Dauer-Streitpunkt Religionsunterricht schließt das Regierungspapier kategorisch aus. Einer Antwort auf die Land-Frage, ob er sich eine Gesetzesinitiative für einen Werteunterricht für alle vorstellen könnte, wich Xavier Bettel aus: „Wir machen keine Polemik um der Polemik willen.“ Aber mit Eugène Berger hat die Partei einen klaren Befürworter einer staatlichen Neutralitätspflicht, der diesbezügliche Änderungsvorschläge bereits im Kontext der Grundschul-Reformdebtatte eingebracht hatte – auf die er  „gewiss zurückkommen“ werde. 

Auch François Bausch betont, das Thema sei „keineswegs ad acta“, und kündigt schonmal eine Gesetzesinitiative diesbezüglich an. Eine strategische Allianz aus Blauen, Grünen und Roten, eine Politik der feinen Nadelstiche, zur richtigen Zeit an den richtigen Stellen gesetzt, könnte den frisch bekräftigten Ehebund zwischen Christlich-Sozialen und Sozialisten gehörig auf die Probe stellen. Vielleicht wird die kommende Legislaturperiode richtig spannend. 

Ines Kurschat
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