Bei den mit Hilfe gewerblicher Steuerberater auf DP-Seite geführten Koalitionsverhandlungen im Spätherbst 2013 sollte die Steuerreform für die natürlichen Personen noch bescheiden ausfallen: Der Mittelstandsbuckel sollte abgeflacht, die Freibeträge und Abschläge sollten verringert und, falls technisch machbar, die Individualisierung für Ehepaare eingeführt werden. Die Steuerreform für Privathaushalte sollte das hübsche Geschenkpapier werden, in das die als unvermeidlich angesehene Mehrwertsteuererhöhung eingepackt würde, aber auch die Senkung der Körperschaftsteuer, die Einführung von „intérêts notionnels“ und andere Vorteile für Unternehmen.
Zudem hatte die Regierung immer wieder betont, dass die Steuerreform kostenneutral für die Staatskasse ausfallen müsste. Wenn also beispielsweise der Mittelstandsbuckel abgeflacht würde, müsste der Steuerausfall durch Steuererhöhungen am Anfang oder am Ende der Steuertabelle und durch Kürzungen der Freibeträge ausgeglichen werden. Denn das oberste Staatsziel von DP, LSAP und Grünen war ein ausgeglichener Staatshaushalt als Mittel zur ökonomischen Disziplinierung, wie sie im europäischen Stabilitätspakt beschrieben ist.
Die ökonomische Disziplinierung verlief trotz mancher Pannen auf Regierungsseite erfolgreich. Aber der politische Preis schien höher als erwartet: Nach den als Zukunftspak dargestellten Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen sank die Beliebtheit der Regierung in den Meinungsumfragen alle sechs Monate tiefer, das Referendum wurde vergangenes Jahr zu einem Plebiszit gegen die liberale Koalition.
Also legte die Regierung nun eine Steuerreform vor, die alles andere denn kostenneutral ist. Das Ende der Haushaltsausgleichssteuer bedeutet einen jährlichen Ausfall von 100 Millionen; was die anderen Steuersenkungen kosten, behält die Regierung für sich, um eine öffentliche Diskussion über die Lastenverteilung zu vermeiden. Insgesamt 400 bis 500 Millionen Euro jährlich sollen die Steuerausfälle für den Staat ausmachen bei Gesamtsteuereinnahmen von 12,5 Milliarden Euro. So viel wollen die Regierungsparteien es sich kosten lassen, um sich wieder mit ihren Anhängern zu versöhnen, um sich rechtzeitig vor den Gemeinde- und Kammerwahlen wieder die Sympathie der Wählerschaft zu erkaufen. Die Erfahrung lehrt, dass das meist funktioniert, denn die Wähler sind weit korrupter als alle Politiker.
Zur Debatte stand in den vergangenen Monaten, wie sich die drei Koalitionsparteien die halbe Milliarde aufteilen dürfen. Die DP bedient mit einer Senkung der Körperschaftssteuer die Unternehmer, deren Verbände für sie Wahlkampf geführt hatten, und mit einer Abflachung des Mittelstandsbuckels die intensiv als Mittelschichten hofierten Führungskräfte, Beamten und Selbstständigen. Von Letzterem profitieren auch die grünen Wähler im öffentlichen Bildungs- und Erziehungsbereich, deren moralische Überlegenheit mit einem Steuerabschlag für elektrische Fahrräder und Autos bescheinigt werden soll. Und die LSAP macht mit einer Erhöhung der Steuergutschrift im unteren Einkommensbereich und zwei Prozent Neid am oberen Ende der Steuertabelle etwas für die Arbeiter und kleinen Angestellten.
Bei fünf Prozent Wirtschaftswachstum jährlich könne man eben etwas großzügiger sein, meinten bei der Vorstellung der Reform am Montag der Finanz- und der Wirtschaftsminister, die noch vor nicht allzu langer Zeit des Gejammers über das Staatsdefizit, die Staatsverschuldung und das Ende des elektronischen Handels nicht müde wurden. Dass die Ende 2014 beschlossenen Steuererhöhungen und Sparmaßnahmen jährlich weniger einbringen, als die nun angekündigten Steuersenkungen um 400 oder 500 Millionen jährlich kosten werden, bedeutet keineswegs, dass sich die Regierung ihren Zukunftspak hätte sparen können. Denn wie anders hätte sie die Kürzungen bei den Familienleistungen oder der Sozialversicherung durchsetzen können? Die Steuersenkungen stehen nicht etwa im Widerspruch zum Sparpaket, sondern sind dessen Fortsetzung als Teil einer Umverteilungspolitik, die sich niemals auf die Einnahmenseite des Staatshaushalts beschränkt.
Inzwischen verbreitete die CSV eine Erklärung, in der es heißt, dass all die Steuersenkungen in ihrem Wahlprogramm standen, also keinesfalls eine kopernikanische Wende der Steuerpolitik im CSV-Staat darstellen. Bei der Verteilung von einer halben Milliarde Steuersenkungen würden sogar die Oppositionsparteien am liebsten mitmachen.