Grundzüge der Steuerreform

Steuergerechtigkeit

d'Lëtzebuerger Land vom 04.03.2016

Die Regierung hat eine Neigung, unter dem Vorwand der leichteren Verständlichkeit die Öffentlichkeit mit den Instrumenten der Werbewirtschaft zu infantilisieren. Wenn es beispielsweise um Steuern geht, verbreitet sie statt präziser Zahlen lieber bunte Bildchen. Eine Schautafel, die sie am Montag bei der Vorstellung ihrer Steuerreform vorstellte, und ein Trickfilm der DP zeigen als erstes etwas wie jenen Idealtypus, der in den Wahlprogrammen der DP als junge liberale Mittelschichtenvertreter „in der Rush hour des Lebens“ auftaucht: Der Ehemann verdient 66 000 Euro brutto, die Ehefrau 48 000 Euro, sie haben zwei Kinder und ihnen bleibt nicht nur genug Geld für ein Hypothekendarlehen von einer halben Million, sondern überraschenderweise auch noch für einen Bausparvertrag und eine private Rentenzusatzversicherung. Sie sollen ab nächstem Jahr die größten Nutznießer der Steuerreform sein und jährlich statt 14 681 nur noch 9 471 Euro Einkommenssteuer zahlen, ein Drittel weniger als bisher.

Die Steuergerechtigkeit laufe, so Premier ­Xavier Bettel (DP) am Montag, als „ein roter Faden durch die ganze Reform“. Sein Vizepremier Etienne Schneider (LSAP) freute sich, es sei gelungen, „ein größeres Stück Steuergerechtigkeit herzustellen, als wir das bisher in Luxemburg gewohnt waren“.

Unter Steuergerechtigkeit versteht die Regierung vor allem eine begrenzte Umverteilung innerhalb einer Klasse, jener der Lohnabhängigen. Zu diesem Zweck werde „die Steuertabelle ganz neu gestaffelt“, meinte Xavier Bettel. Aber das ist wohl etwas übertrieben.

Der Eingangssteuersatz, der Betrag, ab dem begonnen wird, Steuern zu erheben, wird gesenkt, von 11 300 Euro auf 11 265 Euro, so dass also schon bei 35 Euro niedrigeren Jahreseinkommen die Besteuerung beginnt. Gleichzeitig werden die fünf nächsten Einkommensstufen verringert. War man dazu übergegangen, bis zum Spitzensteuersatz einheitliche Einkommensstufen von derzeit 1 900 Euro zu berechnen, so werden die niedrigsten Einkommensstufen auf 1 872 Euro gekürzt. Gleichzeitig steigt bei diesen Einkommensstufen der Steuersatz jeweils nur um einen Prozentpunkt und nicht, wie derzeit, um zwei Prozentpunkte. Dadurch wird die Steuerprogression abgebremst, steigen die Steuersätze mit zunehmendem Einkommen langsamer. Die Verringerung der Einkommensstufen bei gleichzeitig langsamerem Anstieg des Steuersatzes heben einen Teil ihrer Wirkung gegenseitig auf: Durch kleinere Einkommensstufen steigt die Steuerprogression schneller, durch kleinere Steuersätze steigt sie langsamer.

Die Steuersenkung setzt so bei den niedrigsten Einkommensstufen langsamer ein und macht erst ab etwa 20 000 Euro Jahreseinkommen einen Unterschied von vier Prozentpunkten aus. Das hat sicher nicht nur damit zu tun, dass die Regierung laut Koalitionsabkommen vor allem den Mittelstandsbuckel abflachen will, und der Mittelstandsbuckel an der einen Seite der Steuertabelle dadurch entsteht, dass die Steuerprogression erst ab dem Eingangssteuersatz anfängt. Es hat auch damit zu tun, dass jede Senkung im untersten Bereich der Steuertabelle die größten Ausfälle für die Staatskasse verursacht, da von ihr alle Steuerpflichtigen profitieren.

Während die Steuertabelle so in den niedrigsten Einkommensbereichen geschrumpft wird, wird sie ab 22 569 Euro dann gedehnt: Die Einkommensstufen werden von 1 900 auf 1 944 Euro erhöht. So macht die Steuersenkung dann für die Mittelschichten rund vier Prozentpunkte im Vergleich zur derzeitigen Steuertabelle aus.

Um die Bezieher niedriger Einkommen netto nicht allzu sehr gegenüber den Mittelschichten zu benachteiligen, wird die 2009 eingeführte Steuergutschrift, der Crédit d’impôt pour salariés beziehungsweise der Crédit d'impôt pour pensionnés, für Jahreseinkommen unterhalb des Eingangssteuersatzes von 300 auf 600 Euro progressiv erhöht, bis er für Einkommen zwischen 11 265 und 40 000 Euro verdoppelt, ab 40 000 wieder schrittweise auf das heutige Niveau von 300 Euro gesenkt und ab 80 000 Euro ganz abgeschafft wird. Ähnlich wird die Steuergutschrift für Alleinerziehende selektiv verdoppelt.

Bezieher sehr niedriger Einkommen erhalten die entsprechenden Beträge als Negativsteuer ausgezahlt, während in höheren Einkommensgruppen eine Steuererhöhung entsteht, welche die Steuersenkung in der Steuertabelle zum Teil ausgleicht. Die Änderungen in der Steuertabelle und die selektive Erhöhung der Steuergutschrift schüfen „eine Kombination, die kleinen Löhnen und dem Mittelstand am meisten entgegenkommt, den größten Gewinnern dieser Reformen“, so Finanzminister Pierre Gramegna (DP) am Montag. Trotzdem hält sich die versprochene Steuergerechtigkeit in Grenzen, in jenen Grenzen, welche die Steuertabelle überhaupt zulässt. Ein Mindestlohnbezieher spart jährlich 444 Euro, wer zwei-, drei- oder viermal so viel verdient, spart dreimal so viel wie der Mindestlohnbezieher.

Der Mittelstandsbuckel entsteht am anderen Ende der Steuertabelle dadurch, dass ab etwa 45 000 Euro Jahresabkommen bereits der Spiutzensteuersatz fällig wird und das im 20. Jahrhundert durchgesetzte Prinzip der Steuerprogression aufhört; die höheren Einkommensstufen werden dann wie im 19. Jahrhundert mit einer Flat tax besteuert. Sie werden mit 39 Prozent besteuert, die Einkommensstufe über 100 000 Euro mit 40 Prozent. Nun sollen die Einkommensstufen als „Reichensteuer“ über 150 000 Euro mit 431 Prozent und über 200 000 mit 42 Prozent besteuert werden. Dadurch wird die Progres­sion der Steuertabelle symbolisch fortgesetzt: Für die Höchstverdiener steigt der Steuersatz nicht mit jeder Einkommensstufe von 1 944 Euro, sondern von jeweils erst 50 000 Euro.

Die Steuerlast wird zusätzlich dadurch gesenkt, dass die anfänglich als „Contribution pour l’avenir des enfants“ beschönigte, befristete Haushaltsausgleichssteuer von 0,5 Prozent wieder abschafft wird.

Romain Hilgert
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