Ausstellung

Blick auf die Ausgrenzung

d'Lëtzebuerger Land vom 26.05.2017

Geht es um Flüchtlinge, zeigen viele Medien Bilder vermeintlich lethargischer Menschenmassen oder überfüllte Boote. Ob bewusst oder nicht, ohne weiteren Kontext nähren solche Bilder das Vorurteil des „trägen Afrikaners“. Einen anderen Blick auf Flüchtlingswanderungen präsentiert das Centre de documentation sur les migrations humaines (CDMH) mit seiner interaktiven Ausstellung Moving beyond borders. Auf einem Bild des spanischen Fotografen José Palazón sieht man im Hintergrund Flüchtlinge über einen Grenzzaun zwischen Marokko und Spanien (Enklave Melilla) klettern, während im vorderen Teil des Bildes betuchte Menschen auf einem grasgrünen, aseptisch gemähten Golfplatz den Golfschläger schwingen. Palazón zeigt auf seiner – mit dem ihm 2015 verliehenen Ortega-y-Gasset-Preis in der Kategorie „grafischer Journalismus“ – Fotografie den Zusammenprall: hier die sorglosen Reichen, dort die Mittellosen auf der Flucht ins vermeintliche Paradies. Sarah Prestianni hat die griechisch-bulgarische Grenze bereist und einen Lastwagen gescannt. Wie auf einer Fotokopie erkennt man im Inneren schemenhaft die Umrisse von drei Menschen, die sich in dem Fahrzeug versteckt halten. Spuren der Flüchtenden sind zu sehen, so auch ein Schlauchboot in einem Gebüsch, aus dem die Luft gewichen ist; die düstere Ansicht einer provisorisch als Flüchtlingsunterkunft eingerichteten Turnhalle zeigt das vorläufige Ziel.

Nach Stationen in Europa und Afrika ist Moving beyond borders des Netzwerks Migreurop1, szenografisch umgesetzt durch das Künstlerkollektiv Étrange miroir (Raphaël Rialland) nun im Bahnhofshäuschen Dudelange-Usines im CDMH zu sehen. Interaktiv ist die in Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch und Arabisch konzipierte Ausstellung vor allem durch ihre simulierten großflächigen Karten. An ihnen kann man erkunden, wie sich Flüchtlingswanderungen in den letzten Jahren verändert haben und künftig wandeln werden. Man sieht, wie unverhältnismäßig Armut und Reichtum weltweit verteilt sind oder wie Schicksale von einzelnen im Nirgendwo und in der Verzweiflung enden. Die animierten Weltkarten führen zudem vor Augen, dass Migration ein Jahrtausende altes Phänomen ist. Grenzen werden hier als Begrenzung von individueller Freiheit herausgestellt.

Nicht-EU-Bürger und Staatenlose erfahren tagtäglich an den Grenzzäunen Europas, dass ihr Pass, sofern sie einen haben, im „Ranking“ weit unten steht, während man als Luxemburger Staatsangehöriger über einen „1.Klasse-Pass“ verfügt und fast überall problemlos ein- und ausreisen kann. Auf dieser Überlegung beruht auch Antoine Cassars universaler Pass (www.passaportproject.org), der für alle zugänglich sein soll. Entstanden ist das Projekt – ein Pass für jeden – des gebürtigen Maltesers, der seit über acht Jahren in Luxemburg lebt, aus der Utopie einer Welt, in der Herkunft und Nationalität keine Rolle spielen. „Als ich diesen Pass entwarf, hätte ich nicht gedacht, dass in den USA ein Präsident gewählt werden würde, der eine große Mauer bauen will“, sagte Cassar anlässlich einer Lesung (gemeinsam mit Francis Kirps) im Rahmen der Ausstellungseröffnung. Den Anwesenden wurde vorgeschlagen, ihre Pässe für ein paar Minuten abzugeben und an eine Wäscheleine zu hängen, sodass sie zumindest bis zum Ende der Vernissage nachempfinden können, wie es ist, staatenlos zu sein. – Freilich nur ein Spiel, das letztlich wenig mit der Realität von Flüchtlingen zu tun hat und eher als symbolische Solidaritätsgeste gedacht war. Der universale Pass ist eine poetische Utopie, von der sich aktuell nur träumen lässt. So zerstritten die EU ist, die als Sicherung der Außengrenzen titulierte faktische Abwehr von Flüchtenden ist Konsens. Moving beyond borders führt die dramatischen Konsequenzen vor Augen. Jenseits von Grenzzäunen befinden sich Menschen, die unter schwersten Bedingungen nach Europa fliehen, um hier einen sicheren Platz, ein besseres Leben zu finden. Die eindrucksvollen Fotografien und klug konzipierten Karten stellen jedem die Frage: Mit welchem Recht willst Du ihnen dies verweigern?

1 Migreurop ist eine Vereinigung von Militanten und Wissenschaftlern aus rund zwanzig Ländern in Europa, Asien und dem Nahen Osten, die es sich zur Aufgabe macht, über Menschen auf der Flucht und die Situation in den Flüchtlingslagern zu berichten. Das Netzwerk setzt sich für uneingeschränkte Reisefreiheit ein. Informationen unter: www.migreurop.org. Das Künstlerkollektiv „Étrange miroir“ aus Nantes experimentiert mit unterschiedlichen Kunstformen und kombiniert in seinen Projekten Wissenschaft, Reportage, Musik und Video: www.etrangemiroir.org

Moving beyond borders ist bis zum 16. Juli Donnerstags bis Sonntags zwischen 15 und 18 Uhr im Centre de documentation sur les migrations humaines (CDMH), Bahnhof Dudelange-Usines zu sehen. Weitere Informationen unter: www.cdmh.lu; Führungen für Schulklassen sind auf Anfrage möglich. Anmeldung unter: nicolas.graf@cdmh.lu

Am Samstag, dem 27. Mai, um 21.30 Uhr findet im Hall Fondouq des DKollektiv, Site du Laminoir in Düdelingen ein getanztes Doku-Konzert der Tanztruppe Étrange Miroir statt; Informationen: www.cdmh.lu.

Anina Valle Thiele
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