Würde der Staatsrat Noten für Gesetzentwürfe verteilen, ausgerechnet das Unterrichtsministerium hätte für die geplante Reform der Schulaufsicht in der Grundschule wohl „eng Datz“ bekommen. Nicht verständlich, undurchsichtig – das sind nur einige der Bedenken, die das hohe Gremium an dem mehr als 70-seitigen Entwurf in seinem Gutachten äußert.
Es geht um das Grundschulpersonal. Nachdem mit der Reform 2009 die Personalverwaltung von den Gemeinden auf den Staat übertragen wurden, blieben dennoch etliche Fragen, etwa die der Vertretungen und der Erzieher, offen, die mit dem Entwurf geregelt werden sollen. Zu diesen Punkten nimmt der Staatsrat aber nicht weiter Stellung. Er konzentriert sich auf den Teil des Entwurfs, der die Rolle des Inspektorats neu definiert. Bisher arbeiteten die Inspektoren auf regionaler Ebene. Das soll auch in Zukunft so bleiben, allerdings sollen die Aufgabenfelder Inspektion und Überwachung der Schulen, Personalverwaltung, Zusammenarbeit mit den Gemeinden sowie die pädagogische Begleitung reorganisiert werden. Demnach würden 16 Regionaldirektionen auf sechs Hauptbüros im Land verteilt. Vier Inspektoren wären zudem ausschließlich für Aufsicht und Kontrolle der Schulen zuständig (siehe Kasten).
„Seit der Reform arbeite ich etwa 50 Prozent mehr“, sagt Pierre Reding. Er ist Inspektor im Osten und betreut wie seine Kollegen durchschnittlich rund 320 Lehrer. Mit der Umsetzung der Reform seien neue Aufgaben hinzugekommen: mehr Informationsversammlungen, neue Zeugnisse, Arbeit in Teams oder die Abstimung mit den neu geschaffenen Équipes multiprofessionelles. „Die Grundschule ist komplexer geworden“, bestätigt Patrick Mergen aus dem Inspektorat Norden. Elternvertreter koordinieren, Konflikte zwischen Schulpräsidenten und Lehrern lösen, den Plan de réussite scolaire von diversen Schulen begleiten und Weiterbildungen organisieren: „Der Arbeitsaufwand eines Inspektors ist enorm gewachsen. Und mit ihm die Verantwortung“, unterstreicht Mergen.
Dass das Inspektorat neu aufgestellt werden muss, um die Grundschulen besser zu begleiten, war den politisch Verantwortlichen bewusst, als noch die Beratungen zur Grundschulreform liefen. Doch weil bereits die Zentralisierung des Lehrperonals erheblich schwieriger war als gedacht und der Zeitplan drängte, wurden die Inspektoren auf später vertröstet. Mit dem Ergebnis, dass knapp einen Monat vor der geplanten Zwischenbilanz der umstrittenen Grundschulreform plötzlich ein Vorschlag auf dem Tisch liegt, einen zentralen Pfeiler, nämlich die Schulaufsicht, neu zu organisieren, ohne aber die Ergebnisse der Evaluation abzuwarten. Das stößt nicht nur dem Staatsrat auf, der mahnt, der Gesetzgeber sollte Reformen im Bildungsbereich bitte schön auf das strikte Minimum beschränken. Die Inspektoren wurden im Rahmen der Zwischenbilanz, die die Uni Luxemburg mitverantwortet, ausführlich zu ihrer Arbeit und zu den Folgen der Reform befragt. Die Ergebnisse werden der Öffentlichkeit Ende Januar vorgestellt, wenn auch der Abschlussbericht des ehemaligen Generalkoordinators und Parteikollegen der Unterrichtsministerin, Siggy Koenig, vorliegt.
Das Timing der Reorganisation der Schulaufsicht ist auch deshalb so ungeschickt, weil die Zwischenbilanz eine politisch sehr umstrittene und für die sozialistische Ministerin brisante Frage beantworten helfen soll: ob es Direktionen für Grundschulen geben soll. Ministerin Mady Delvaux-Stehres (LSAP) war 2009 den Gewerkschaften entgegen gekommen, indem sie auf Schuldirektionen für die rund 150 Grundschulen im Land verzichtete und stattdessen basisdemokratische Schulkomitees mit gewählten Präsidenten einführte. Allerdings klagen diese heute, dass sie in Konfliktfällen ihren Lehrerkollegen keine Anweisungen geben können.
Bildungswissenschaftler betonen die Bedeutung von ausgebildeten Schulleitungen für eine erfolgreiche Schulentwicklung – was auf die Luxemburger Schulpräsidenten nicht zutrifft. Wie aber passt die Neuorganisation der Schulaufsicht überhaupt zur möglichen Einführung von Schulleitungen? „Sollten eines Tages Schuldirektoren für die Grundschule kommen, kann die neue Struktur dennoch funktionieren“, ist Pierre Reding überzeugt. Für ihn und für die Gewerkschaft der Inspektoren ist wichtig, dass die Reform zügig kommt „Sie hätte eigentlich schon zusammen mit dem Gesetz 2009 erfolgen sollen“ so Mirko Mainini, Inspektor in Differdingen und Präsident der Gewerkschaft der Inspektoren. Inspektoren und ihre Vertreter hatten in der Tat schon vor Jahren Reformbedarf angemeldet. Allerdings wurde der Entwurf für eine neue Schulaufsicht erst im Februar 2012 deponiert. Das liegt auch daran, dass sich die 21 Inspektoren untereinander nicht alle einig sind und sich die Diskussionen übe Monate hinzogen: Während die einen beispielsweise professionelle Schuldirektoren kategorisch ablehnen, unter anderem, weil sie darin Konkurrenz sehen, befürworten andere mehr Weisungskompetenz für den Schulpräsidenten.
Und offenbar gab und gibt es auch im Unterrichtsministerium unterschiedliche Standpunkte, wie eine wirksame Schulaufsicht und das Zusammenspiel zwischen Gemeinden, Eltern, Inspektoren und innerministeriellem Script (Service de Coordination de la recherche et de l’innovation pédagogiques et technologiques) aussehen soll. Der Staatsrat fragt, wie das Verhältnis zwischen Schulentwicklungsagentur und Schulaufsicht, laut Gesetz von 2009 zuständig für die Qualität, zu verstehen ist. Deren Leitung wurde anfangs in die Gespräche eingebunden, die Endversion wurde aber nicht mehr mit ihr abgestimmt. Die Inspektoren stellen klar: „Die Agentur liefert den Schulen weiterhin Daten zum Schulprofil, da ändert sich nichts“, so Pierre Reding. Das mag die Absicht sein, so klar aus dem Text herauslesen lässt sich das aber nicht, findet der Staatsrat.
Nicht nur die ungenaue Abgrenzung der verschiedenen Kompetenzbereiche stört den Staatsrat, er moniert auch unklare Hierarchien und die Schaffung neuer Strukturen. So sollen die 16 Direktionen zwar weiterhin der Ministerin direkt unterstellt sein, aber das Kollegium der Inspektoren soll künftig mit einem gewählten Präsidenten funktionieren, statt von der Ministerin ernannt. Die Inspektoren begründen dies damit, dass sich so besser diskutieren und sich vernetzen ließe. Fragt sich, warum das im alten Kollegium nicht möglich gewesen sein soll.
Sogar im Service de l’enseignement fondamental, deren Leiter, Inspektor Guy Strauss, den Entwurf maßgeblich verantwortet, war man sich offenbar nicht einig. Die Kommunikation in dem Dienst verläuft nicht ohne Reibung, frustrierte Mitarbeiter sollen gar mit ihrem Fortgang gedroht haben. Der Dienst soll sich künftig stärker an der pädagogischen Innovation beteiligen, obschon der Staatsrat Zweifel hat, ob der Dienst überhaupt über die nötige Expertise verfügt und diese Aufgabe nicht besser beim Script aufgehoben ist. Dennoch wertet der Entwurf die Abteilung auf: mit einem Direktor an der Spitze bei entsprechend höherem Gehalt. Apropos Gehalt: Mit der Neuorganisation wäre auch eine Neueinstufung der Regionaldirektoren verbunden, deren Gehalt demnach auf das eines Lycée-Direktors steigen würde: von rund 7 700 auf 11 000 Euro brutto. Ein schöner Batzen Geld in Anbetracht leerer Staatskassen und Beschäftigten, die überall im Land (vor allem im Privatsektor) die Gürtel enger schnallen müssen. Die Gewerkschaft verteidigt die Gehaltserhöhung damit, Klärung und Gerechtigkeit zu wollen: „Wir sind laut Gesetz Chef hierarchique. Wir beaufsichtigen 300 und mehr Lehrer, also wollen wir entsprechend unser Verantwortung bezahlt werden“, so Pierre Reding, der sagt, er wisse nicht, um wie viel sein Gehalt steigen würde.
Nun ist nichts daran auszusetzen, dass für qualitativ hochwertige Führungsarbeit – und das sollte die Schulaufsicht sein, schließlich entscheidet sich mit ihr die Qualität der Schulen – auch mehr bezahlt wird. Allein: das ist nicht so sicher. Unklar bleibt nämlich, wie eigentlich genau die Qualität der Inspektoren bestimmt und gesichert werden soll. Die dem Regionalbüro zugewiesene Schulaufsicht würde zwar die Schulen kontrollieren und müsste die jeweilige Regionaldirektion schriftlich. Die Inspektoren legen ihrerseits Rechenschaft in Form eines Jahresberichts ab, der veröffentlicht würde. Ein selbst verfasster Tätigkeitsbericht sagt aber nichts über die Qualität ihrer Arbeit und die der Regionaldirektionen aus. Ein Problem bei der Umsetzung der Reform ist, dass selbst Inspektoren sich nicht immer einig sind, was eine gute Schulentwicklung ausmacht. Der OECD-Bericht über das Luxemburger Bildungsmonitoring, vom Ministerium kürzlich mit einiger Verspätung vorgestellt, benennt diese Schwäche ausdrücklich: Die 21 Inspektoren kontrollieren ihre Schulen nicht nach einheitlichen Kriterien. Der Mangel würde mit dem neuen Gesetz nicht behoben, jedenfalls nicht ausdrücklich, denn es bleibt unklar, wer die Qualitätskriterien erstellen soll. Die Daten dafür hat bisher die Schulqualitätsentwicklungsagentur gesammelt.
So droht das System nach der Reorganisation vielleicht sogar noch komplizierter und noch unübersichtlicher zu werden. Komplizierte Systeme aber, das zeigt die Debatte um die Zeugnisse, sind anfällig für Attacken und Kritik. Und dass eine Gehaltserhöhung nicht die Arbeitsmotivation erhöht, weiß man spätestens seit der letzten Gehaltsaufbesserung der Grundschullehrer, die heute zu Tausenden gegen die Reformen protestieren.
Der finanzielle Aspekt könnte gleichwohl der Grund gewesen sein, warum das handwerklich grobe Gesetz von der Ministerin dennoch auf den Instanzenweg geschickt wurde: Im Clinch mit den Gewerkschaften wegen der Reform des Beamtenstatuts liegend, wäre das ein – vergleichsweise preiswertes – Zugeständnis gewesen. Würden die 154 Schulen mit einer professionellen Direktion versehen, würden Rufe nach einer finanziellen Entschädigung sicher nicht lange auf sich warten lassen. Dann lieber 16 Regionaldirektoren mehr bezahlen. Das kommt am Ende deutlich billiger. Ob das angemessen ist, zumal in Zeiten einer anhaltenden Wirtschaftskrise, steht auf einem anderen Blatt.
Ines Kurschat
Kategorien: Bildungspolitik, Vorschule und Grundschule
Ausgabe: 21.09.2012