Siggy Koenig ist nicht zu beneiden. Der pensionierte ehemalige Regierungsrat aus dem Unterrichtsministerium hat die undankbare Aufgabe übernommen, die Zwischenbilanz der Grundschulreform zu koordinieren und zu niederzuschreiben. Undankbar ist die Aufgabe deshalb, weil Koenig sie kaum wird gut machen können.
Das fängt mit seiner Personalie an. Die Opposition sieht in der Wahl der Ministerin, einen alten Vertrauten und Weggefährten für die Bilanzierung aus dem Ruhestand zu holen, den Beweis einer gewissen Parteilichkeit. Koenig ist langjähriges Parteimitglied der LSAP, wirkte aber eher still hinter den Kulissen. Zuletzt bei der Vorbereitung der Zentrum-Kandidatenliste für die Gemeindewahlen.
Zudem sind drei Jahre nach der Einführung von Zyklen statt Jahrgangsklassen, Teamarbeit, neuen Zeugnissen und Elternpartizipation schlicht zu kurz, um wissenschaftlich belastbare Schlussfolgerungen ziehen zu können. Bildungsexperten gehen von einer Zeit zwischen fünf und zehn Jahren aus, bis Strukturreformen wirksam greifen.
Undankbar ist die Aufgabe aber vor allem auch, weil die Ergebnisse in eine politisch heikle Zeit fallen, wie es sie lange nicht mehr gab. In diesem Schuljahr entscheidet sich die politische Zukunft der Unterrichtsministerin. Schafft sie es nicht, sich mit den Lehrervertretern auf eine gemeinsame Marschroute in Sachen Sekundarschulreform zu einigen, droht eine Neuauflage des vergangenen Winters. Tausende Lehrer und Schüler waren auf die Straße gegangen, um gegen Reformen zu protestieren. Es geht nicht mehr nur um die geplante Sekundarschulreform oder den Murks beim Startschuss der neuen Berufsausbildung. Mittlerweile stehen Schlüsselelemente der Grundschulreform in Frage: die eilig eingeführte Bewertung und der kompetenzorientierte Unterricht. Auch wenn längst nicht alle Lehrer den Protest der Gewerkschaften unterstützen, sie vertreten die Frustrierten und Zornigen – und sind dabei ganz offensichtlich erfolgreich.
Aber aufgepasst, auch den Gewerkschaften könnte die Freude über den Zulauf noch vergehen: Im Dezember kommt Pisa. An das mäßige Abschneiden Luxemburgs mag sich der eine oder andere schon gewöhnt haben. Die Gewerkschaften, allem voran der SEW, scheinen ohnehin entschlossen zu sein, Gutachten der OECD kein Gewicht mehr beizumessen, außer natürlich wenn sie als Argument für ihren Feldzug gegen „die Neoliberalisierung“ des Bildungswesens herhalten müssen.
Mit derselben Grundhaltung werden sie vielleicht auch die Ergebnisse der für diesen Herbst erwarteten OECD-Studie zum Luxemburger Schulsystem ignorieren können, für die Lehrer, Schüler und Direktionen vor gut anderthalb Jahren befragt wurden.
Schwieriger wird eine Blockadehaltung allerdings bei den nationalen Leistungstests, den Épreuves standardisées. Auch ihre Ergebnisse werden für diesen Winter erwartet. Sie waren schon beim letzten Mal nicht gut ausgefallen. Damals konnte das Ministerium noch auf den frühen Entwicklungsstadium der Test-Items verweisen. Das Argument fällt nun weg.
Miese Resultate auf die Reformen der Ministerin abzuwälzen, ist aber viel zu einfach: Zum einen gab es vor den Reformen keine landesweiten Leistungstests, die einen Vergleich des alten und des neuen Systems zuließen. Außerdem würde damit ein Argument der Opposition ad absurdum geführt: nämlich dass Strukturreformen nichts brächten und sich die Qualität des Unterrichts woanders entscheide.
Nichtsdestotrotz werden die Ergebnisse dieser Studien den Druck mächtig erhöhen. Für die Ministerin, weil sie als politische Verantwortliche zusammen für die bildungspolitische Richtung haftet. Die öffentliche Meinung ist nunmal an komplexeren Erklärungen meistens nicht interessiert. Angesichts einer anhaltenden Wirtschaftskrise, in der mittlerweile fast jeder fünfte Jugendliche arbeitslos ist, steigt die Nervorsität bei Schülern und Eltern – luxemburgische wie nicht-luxemburgische –, wie sie sich auf die Anforderungen der Arbeitswelt vorbereiten können. Die Rolle der Eltern wurde mit der Grundschulreform gestärkt. Immer lauter fordern sie Gehör. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Befürworter für grundlegende Schulreformen gerade auch Eltern sind, die sich Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder machen. Sie wollen zu Recht Resultate sehen und konkurrenzfähige Schulabschlüsse.
Damit stehen aber auch die Lehrer (und ihre Vertreter) unter Zugzwang: Was tun sie, damit Luxemburgs Schulen besser werden? Dass Einwandererkinder dieselben Bildungschancen erhalten wie luxemburgische? Damit junge Menschen auf die Anforderungen eines flexibilisierten Arbeitsmarktes, der vor allem hochqualifizierte Fachkräfte braucht, vorbereitet werden? In diese angespannte Stimmung kommt die Bilanz – die jeder auf seine ihm genehme Art und Weise zu interpretieren versuchen wird.
Nein, der Koordinator ist wirklich nicht zu beneiden.
Ines Kurschat
Kategorien: Bildungspolitik
Ausgabe: 21.09.2012