D’Lëtzebuerger Land: Herr Wagener, am 8. März feiert die Banque Internationale à Luxembourg (Bil) ihr 160. Jubiläum. Ende der 70-er Jahre haben Sie ein Praktikum bei der Bank absolviert und wurden daraufhin als Jurist eingestellt. Sie haben sich durch die Hierarchie bis zum Posten des Generaldirektors hochgearbeitet, waren Präsident des Verwaltungsrats, dem Sie auch heute noch angehören. Wie war die Bank, bei der Sie vor bald 40 Jahren Ihre Karriere begannen, aufgestellt?
Frank Wagener: Als ich bei der Bank anfing, unterschied man eigentlich nur zwischen drei Geschäftsfeldern: Privatkunden, Unternehmenskunden und daneben gab es die Werbeabteilung. Erst danach entwickelte sich das Marketing immer stärker und man begann zwischen Schalterkunden, den wohlhabenden Kunden, dem Private Banking und in den letzten Jahren High Net Worth Individuals zu differenzieren und die Bank intern entsprechend aufzugliedern und zu organisieren.
Wie war die Bil damals geografisch aufgestellt?
Die Kunden der Bil stammten aus Luxemburg, der Großregion und darunter waren auch Kunden vom Typ dentiste belge. Dem Referenzaktionär der Bil, Groupe Bruxelles Lambert, gehörte auch die Banque Bruxelles Lambert, deshalb entwickelte sich auch auf dieser Ebene eine relativ intensive Kooperation. Aber die belgischen Kunden waren damals für viele Luxemburger Banken sehr wichtig. Erst durch die Niederlassung Schweizer und deutscher Banken gewann die deutschsprachige Kundschaft an Bedeutung, und man begann von Private Banking zu reden.
Welche Rolle spielte das Bankgeheimnis bei dieser Entwicklung, die Mitte der 80-er Jahre begann?
Luxemburg und die Schweiz waren ganz klar die Länder, die ein Höchstmaß an Diskretion boten, das außerdem gesetzlich verankert war. Das hat den Kunden, die von außen kamen, imponiert. Aufbauend auf der Kundschaft die wir hatten, im Grenzgebiet und in Belgien, fanden wir, dass wir in punkto Beratung einiges zu bieten hatten, auch im Vergleich mit der Schweiz, dem Private-Banking-Land schlechthin. Außerdem waren viele der Banken, die dort aktiv waren, auch in Luxemburg vertreten. Daraus hat sich eine gegenseitige Bereicherung ergeben. Das waren die goldenen Jahre. Ab der Entwicklung des Private Banking Mitte der 80-er Jahre bis 2008 war Erntezeit für alle Banken in Luxemburg. Es war auch die Zeit, in der es zahlenmäßig die meisten Banken gab. Und keine von ihnen hatte einen Grund, ihre Präsenz in Luxemburg in Frage zu stellen oder zu bereuen.
In den Jahren davor war die Bil, wie auch die BGL oder die BCEE, oft an der Gründung neuer Unternehmen beteiligt, wie der Börse, Luxair, der CLT oder Cegedel, um nur die zu nennen. 1970 wurde noch die Cedel, die heutige Clearstream, gegründet. Aber mit den direkten Beteiligungen in der Realwirtschaft war es danach vorbei. Warum?
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gab es eine Aufbruchstimmung in Luxemburg, und die einzigen, die über ausreichend Kapital verfügten, um solche Projekte zu finanzieren, waren diese drei Banken. Deshalb ging die Interbank, wie sie damals genannt wurde, solche Beteiligungen ein, wie beispielsweise auch an der Foire internationale. Das würde man heute Good citizenship nennen. Dann wurde eine ganze Zeit lang keine größere Initiative mehr gestartet, wo soviel Kapital notwendig oder von Anfang an klar gewesen wäre, dass die Rendite stimmen würde. Man darf auch nicht vergessen, dass die Bil immer weiter in ausländischen Besitz ging. Die neuen Aktionäre hatten vielleicht weniger den Reflex, in Luxemburger Projekte zu investieren, bei denen nicht die allerbeste Rendite in Aussicht gestellt wurde. Die meisten dieser Beteiligungen wurden später in der externen Beteiligungsgesellschaft Luxempart regruppiert, die ein viel aktiveres Management ihrer Beteiligungen betrieb als vorher die Bil.
Die Aktionärsstruktur der Bil hat sich Anfang und Mitte der Neunziger noch einmal stark verändert.
Die Bil war nie exklusiv in der Hand von Luxemburger Kapital. Gegründet wurde sie von deutschen Industriellen aus der Gegend um Köln, die Kapital brauchten, um die Stahl- und Kohleindustrie sowie die Eisenbahn auszubauen. Anfang der 90-er Jahre verkaufte Groupe Bruxelles Lambert seine Beteiligung dann an den Crédit communal de Belgique. Die Zeit, als wir eine Bank als Referenzaktionär hatten, war für uns die interessanteste, weil sie die gleiche Sprache sprach wie wir und sie einen strategischen Entwicklungsplan hatte, von uns lernte und wir von ihr. Es ging nicht nur um eine Finanzbeteiligung. Das war für uns ganz wichtig.
Der Crédit communal de Belgique fusionierte 1996 mit dem französischen Crédit local und die Dexia-Gruppe entstand. Welche Position hatte die Bil innerhalb der neuen Gruppe?
Die Bil war darin einer von drei Akteuren, die im Finanzwesen aktiv waren und neben dem Crédit communal de Belgique die einzige Universalbank, das heißt eine Bank mit Schaltern, Kundeneinlagen und Firmenkunden. Crédit local de France war exklusiv in der Finanzierung von öffentlichen Strukturen tätig. Innerhalb der Gruppe war die Bil zuständig für das Private Banking, aber auch für die Fondsverwaltung. Die Investmentfondsbranche entwickelte sich während dieser Zeit sehr stark – das tut sie ja auch heute noch – und wir hatten das Glück, bei der dieser Entwicklung von Anfang an dabei zu sein. So kam das Joint Venture mit der Royal Bank of Canada zustande, das dann RBC Dexia Investor Services genannt wurde, aber daran war Dexia nicht beteiligt, die Firma war eine Filiale der Bil. Um sie unterzubringen, haben wir in Belval 250 Millionen Euro in den Bau eines neuen Gebäudes investiert. Zu den besten Zeiten von Dexia trug die Bil 24 Prozent zum Nettoergebnis bei.
Wie war das Verhältnis zur Dexia-Gruppe damals und wie viel Freiheit hatte die Bil, sich selbst zu entwickeln?
Anfangs hatten wir viel Entscheidungsspielraum, weil wir gute Resultate erzielten. So konnten wir die internationale Expansion im Private Banking beispielsweise, wo die Bank mittlerweile in der Schweiz, in Singapur, Dänemark, den Niederlanden oder sogar Japan vertreten war, entweder aus unseren eigenen Mitteln finanzieren oder aber die Gruppe sorgte für die Finanzierung. Dann kam eine Phase, in der in Brüssel entschieden wurde, die Gruppe vertikal zu integrieren, wo aus unserer Unabhängigkeit eher eine Autonomie wurde.
Welche Philosophie verfolgte die Dexia-Gruppe?
Die Bil war damals nicht im Vorstand von Dexia vertreten, deshalb ist es für mich ein wenig schwierig, das zu beurteilen, aber das Ziel war ganz klar, im Bereich der Finanzierung öffentlicher Strukturen weltweit die Nummer eins zu werden. Der Ausbau des Public Finance sollte aus den Einlagen aus dem Kundennetz in Belgien und Luxemburg finanziert werden. Anders als heute schätzte man das Risiko, dass öffentliche Kreditnehmer säumig oder insolvent werden könnten, als minimal ein.
Das Risiko, Gemeinden, Städten und Staaten Kredit zu geben, wurde damals in der Tat völlig anders eingeschätzt, auch auf regulatorischer Ebene. Wenn die Bil keinen Vertreter im Vorstand von Dexia hatte, wann haben Sie denn hier in Luxemburg erfahren, dass die Gruppe Liquiditätsprobleme hatte?
Im September 2008. Wir haben Ende August noch die Ergebnisse der Bil vorgestellt, die sehr gut waren, und wir durften das auch so bekannt geben. Dann erhielt ich an einem Samstagmorgen einen Anruf von Axel Miller, dem damaligen Administrateur délégué der Gruppe, der mir sagte, die Gruppe bräuchte dringend mehrere Milliarden, ich solle den Staatsminister anrufen. Ich fiel aus allen Wolken. Es war einer dieser Momente, in denen man niemals vergisst, wo man war. So wie man niemals vergisst, wo man war, als die Nachricht von der ersten Mondlandung eintraf oder die der Anschläge vom 11. September 2001.
Davor hatten aber doch andere Banken bereits Probleme und die Finanzkrise war in vollem Gange. Der Staatsminister verhandelte gerade die Rettung von Fortis. Sie waren dennoch überrascht?
Über die Schwere der Lage: ja. Fortis implodierte die Woche vorher; die Gruppe hatte ungefähr die gleiche Größenordnung und diese Banken sind alle gegenseitig voneinander abhängig. Aber es gab nie ein Treffen, nie eine Mitteilung an die Filiale Bil über die Gravität der Situation innerhalb der Dexia-Gruppe. Außerdem waren wir in Luxemburg in einem völlig anderen Szenario. Uns ging es noch gut. Als dann die ausländischen Medien nur noch negativ über Dexia berichteten, erkundigten sich unsere Kunden in Luxemburg bei uns. Die Luxemburger Regierung teilte sehr schnell mit, die Bil sei eine systemische Bank und werde überleben. Das beruhigte die ortsansässige Kundschaft. Unsere ausländischen Kunden hörten allerdings nur die schlechten Neuigkeiten in den internationalen Medien und wenn sie hierher kamen, hatten sie ihre Entscheidung, ihr Konto zu räumen, oft bereits getroffen. Innerhalb von ungefähr eineinhalb Monaten verloren wir mehr als 20 Prozent der Einlagen.
Wie stellten Sie sicher, dass nicht noch größere Panik entstand?
Um den Bank run zu verhindern, musste immer ausreichend Geld an den Schaltern sein. Ich telefonierte jeden Tag morgens früh mit der CSSF und mit der Zentralbank. Dann wurden die Geldtransporter losgeschickt, um die Geldscheine an die Filialen zu verteilen. Wir waren in dieser Zeit wieder völlig auf uns alleine gestellt, eine unabhängige Bank. Es gab keine Kommunikation, die waren in Brüssel mit ihren eigenen Problemen beschäftigt.
Inwiefern waren Sie an den Diskussionen um die Rettung beteiligt?
Bei der ersten Sitzung war kein einziger Vertreter der Dexia-Gruppe zugegen. Aber soweit mir das berichtet wurde, ging es dabei hauptsächlich um Politik. Die französische Regierung fuhr mit einem ganzen Bus nach Brüssel. Die Luxemburger Regierung war durch Finanzminister Luc Frieden (CSV) und Wirtschaftsminister Jeannot Krecké (LSAP) sowie durch Gaston Reinesch, den heutigen Zentralbankpräsidenten, vertreten – das war nicht schlecht, weil beide Koalitionsmitglieder vertreten waren. Als die Franzosen die Absetzung von Axel Miller verlangten, forderten die Belgier die Absetzung von Verwaltungsratspräsident Pierre Richard. So wurde schließlich Pierre Mariani neuer CEO und Jean-Luc Dehaene Verwaltungsratsvorsitzender. Dass die Diskussionen zwischen Belgien und Frankreich hauptsächlich politisch waren, sieht man auch daran, dass Belgien 60 Prozent der Garantien übernahm. Das war für mich unverständlich, weil die Probleme hauptsächlich in den französischen Einheiten entstanden waren.
Nach zwei Sitzungen zwischen den Regierungen von Belgien, Frankreich und Luxemburg im Abstand von einer Woche wurde Dexia durch Belgien und Frankreich rekapitalisiert und erhielt von den drei Regierungen die eben genannten Bürgschaften, um sich Geld leihen zu können. Wie schätzen Sie das Verhandlungsgeschick der Luxemburger Delegation ein?
Die Luxemburger Vertreter fuhren nach Brüssel, um die Interessen des Landes, des Finanzstandorts und der Bil zu wahren. Sie haben damals gesagt: Die Gruppe interessiert uns nicht, und vorgeschlagen, der Bil eine Wandelanleihe für 376 Millionen Euro zu zeichnen – wozu es im Endeffekt nie kam. Die Bil war und ist eine wichtige Bank für die Luxemburger Wirtschaft. Man konnte nicht riskieren, dass die Probleme durch einen Domino-Effekt nach Luxemburg importiert würden.
Wie hätte dies passieren können?
Beispielsweise indem wir durch eine größere Integration gezwungen worden wären, noch mehr Liquiditäten nach Brüssel zu schicken, um die Gruppe am Leben zu erhalten.
Hielten Sie einen Ausstieg aus der Dexia-Gruppe damals schon für wünschenswert?
Ich persönlich hielt das schon vor der Krise für wünschenswert, aber das war keine Option. Je mehr Kundeneinlagen wir sammelten, umso wichtiger wurden wir für die Gruppe, weil sie sich dadurch refinanzierte. Aber im September 2008 wurde das überhaupt nicht diskutiert. Zeitlich wäre es nicht drin gewesen, innerhalb weniger Monate den Verkauf der Bil abzuwickeln.
Nach der Rettung versuchte Pierre Mariani aufzuräumen und die Auflagen, unter denen die EU-Kommission die Rettung genehmigt hatte, zu erfüllen. Wie wirkte sich das auf die Bil aus?
Nach 2008 führte man die Probleme unter anderem auch auf die große Autonomie der verschiedenen Filialen zurück. Daraufhin wurde entschieden, einen Vorstand auf Gruppenebene zu bilden – indem niemand von der Bil verteten war. Pierre Mariani ist Franzose und er sagte uns: „Ce ne sera pas centralisé, ce sera très centralisé.“ Meiner Ansicht nach führte das zu großen Nachteilen für die Bil, weil wir dadurch die Flexibilität verloren, auf den Markt, Kundenanfragen oder Gesetzesänderungen zu reagieren. Das war der Zeitpunkt, an dem ich entschied, meine Rolle bei der Bil sei vorbei. Ich war 18 Jahre im Vorstand der Bank, davon sechs als Administrateur délégué, und meine Erfahrung war die der Unabhängigkeit. Mein Bestreben war es immer, die Bil als vollwertige Bank zu erhalten, wo die Entscheidungen in Luxemburg getroffen würden und mit allen dafür notwendigen Funktionen.
Dafür brauchten Sie das notwendige Personal. 2009 aber gab Mariani den Befehl zum Stellenabbau.
Mariani umgab sich mit externen Beratern, die auf die Kostenreduzierung spezialisiert waren. Die einfachste Art, Kosten zu reduzieren, ist Personal abzubauen. Deshalb sollten alle Filialen Stellen streichen, anteilig am Personalbestand. Wir waren damals eine gesunde Bank, wir hatten die Einlagen, die wir während der Krise verloren hatten, in etwa kompensiert. Aber wir gehörten zu fast 100 Prozent der Dexia-Gruppe. Wenn die den Befehl gab, mussten wir ihn ausführen. Ich bin froh, dass uns das damals gelungen ist, ohne dass jemand aus wirtschaftlichen Ursachen entlassen werde musste. Innerhalb der Bil hat dies das Personal eher noch mehr zusammengeschweißt als vorher.
Dabei stellte sich ein Jahr später heraus, dass die Reduzierung der Kosten nicht Marianis Hauptsorge war. Als die Staatschuldenkrise nämlich losbrach und es zum Problem wurde, dass der Großteil der Aktiva der Gruppe aus Forderungen gegenüber öffentlichen Einrichtungen bestand und Dexia wieder in akute Liquiditätsschwierigkeiten geriet.
Ja, die Abwicklung des riesigen Portfolios von Dexia brauchte Zeit. Um schnell Liquiditäten zu schaffen, entschied Pierrre Mariani im Herbst 2011, die Bil zu verkaufen, und die Kontakte zu den Investoren aus Katar wurde hergestellt.
Als Dexia schließlich zerschlagen wurde, wurden auch Filialen der Bil verkauft, wie RBC Dexia Investor Services und Dexia Asset Management, die Bank ist heute eine völlig andere als vorher.
Im Joint-Venture-Vertrag mit RBC war vorgesehen, dass RBC im Fall eines Aktionärswechsels bei der Bil ein Vorkaufsrecht habe. Daran war nicht zu rütteln. Die Asset-Management-Dienste kauft Bil heute über Subunternehmerverträge ein. Aber um das zu veranschaulichen: Im August 2008 zählte die Bil-Gruppe 4 400 Mitarbeiter, jetzt sind es 2 200.
Würden Sie die Bil mit ihrem heutigen Aktionär, Precision Capital zu 90 Prozent und dem Luxemburger Staat zu zehn Prozent, denn wieder als unabhängige Bank bezeichnen?
Ja, die Entscheidungen werden wieder in Luxemburg getroffen.