D’Lëtzebuerger Land: Herr Guill, als Sie am 1. Mai 2009 den Posten als Direktor der Finanzaufsicht CSSF antraten, hatte der Finanzplatz gerade dramatische Bankenrettungen bei Fortis und Dexia hinter sich und der Madoff-Skandal zog seine Kreise. Davon waren auch Luxemburger Fonds, Depotbanken und Buchprüfer betroffen. War die CSSF, die Sie damals vorfanden, aus heutiger Sicht richtig aufgestellt und ausgerüstet?
Jean Guill: Ich denke, die CSSF war richtig ausgerüstet für die Aufgaben, die sie damals zu erfüllen hatte. Aber die Krise von 2007 – und in Luxemburg vor allem 2008 – und die darauffolgende Welle an neuer Regulation haben einen kompletten Umbau der Finanzaufsicht in Europa mit sich gebracht und daher hat sich die CSSF in den Jahren seither völlig neu aufgestellt. Die heutige Situation ist das Ergebnis dieser Krise, sowohl auf regulatorischer wie auf Verwaltungsebene. Was in den vergangenen Jahren passiert ist, kann man schon am Vokabular erkennen. Heute reden alle nur noch von „Regulierung“, was weiter geht als die reine Kontrolle und bedeutet, dass wir eingreifen. Wir sind viel interventionistischer geworden als je zuvor. Das ist allerdings ein Trend, der sich in Luxemburg noch moderater zeigt als anderswo.
Gibt es Branchen oder Gesetze, die besonders viele Interventionen erfordern?
Am Deutlichsten zeigt sich das in der Bankbranche – durch die Bankenunion und die gemeinsame Bankenaufsicht wurden unsere Vollmachten und Befugnisse deutlich ausgeweitet. Früher wäre es unvorstellbar gewesen, dass wir von einzelnen Banken verlangt hätten, mehr Kapital als das strikte Minimum zurückzulegen, beziehungsweise Banken verboten hätten, Dividenden auszuschütten, solange ihr Kapitalpuffer unter einem gewissen Niveau lag. Oder Banken aufgefordert hätten, für bestimmte Aktivitäten besonders viel Kapital zurückzulegen.
Wie oft tun Sie das denn?
Ich würde sagen sporadisch, aber nicht selten. Ein bereits bekanntes Beispiel ist die Handvoll Banken, die auf dem Luxemburger Immobilienmarkt Kredite vergeben und deshalb eine hohe Risikokonzentration haben. Ihnen haben wir eine größere Kapitalvorsorge vorgeschrieben. Ein anderes Beispiel von Eingreifen ist die sogenannte Abschaffung des Bankgeheimnisses. Wir haben versucht, die Banken rechtzeitig darauf vorzubereiten, sie in die richtige Richtung zu „schubsen“. Es sollte niemand sagen können, das habe man nicht kommen sehen oder falsch verstanden.
Wie zeigt sich, dass Luxemburg sich dem Trend zu mehr Intervention widersetzt?
Beispielsweise beim Enforcement, wenn wir Sanktionen und Strafen verhängen müssen. Von den USA gar nicht zu reden, aber wir sind auch nie in Bereiche und Größenordnungen gegangen, wie das in anderen europäischen Ländern der Fall ist. Dennoch haben wir viel öfter sanktioniert als früher.
Vor Ihrer Zeit gab es kaum bis gar keine Sanktionen.
Ja, das hat sich geändert. Wir stellen sehr oft kleinere „Strafzettel“ aus, weil Unterlagen zu spät eingereicht werden oder aber gar nicht. Das sind Banalitäten, aber wir müssen dagegen vorgehen. Wenn eine Bank uns ihre Bilanz nicht mitteilt, können wir sie nicht überprüfen. Solche kleineren Strafen vergeben wir nun systematisch, um die Disziplin zu steigern.
Sie haben auch die Kontrollen vor Ort eingeführt.
Das stimmt. Die Vorortkontrollen durchzuführen, ist sehr personalintensiv. Aber wir wollen in diese Richtung weitergehen, weil wir merken: Das bringt’s.
Wie viele „Inspekteure“ gibt es derzeit bei der CSSF?
Rund 30. Aber das reicht noch nicht aus. Die EZB setzt ebenfalls sehr stark auf Vorortkontrollen und unsere Mitarbeiter kontrollieren im Rahmen des Europäischen Aufsichtssystems auch Banken in anderen Ländern. Die Erfahrung zeigt, dass sich ein ganz anderes Bild ergibt, wenn man vor Ort mit den Angestellten spricht, nachsieht, was überhaupt an Infrastruktur da ist. Wenn wir bei solchen Kontrollen feststellen, dass es an den richtigen Prozeduren fehlt, verhängen wir auch strengere Strafen.
Während ihres Mandats hat die CSSF personell bereits sehr stark aufgerüstet, die Zahl der Mitarbeiter hat sich innerhalb von sechs Jahren verdoppelt.
Ja, ziemlich genau sogar von 320 Mitarbeitern 2009 auf aktuell 640. Das war nicht unbedingt geplant, sondern hat sich aus den Sachzwängen so ergeben. Um die zusätzlichen Aufgaben erfüllen zu können, war deutlich mehr Personal notwendig. Wir sind ja heute keine rein Luxemburger Verwaltung mehr, sondern Teil des europäischen Aufsichtssystems. Teils schreibt uns die EZB sogar bis ins Detail vor, wie viele Leute wofür gebraucht werden. Außerdem darf man die Mitarbeiterzahl der CSSF nicht an der Landesfläche messen. Sie steht vielmehr im Verhältnis zu Größe und Gewicht der Finanzbranche. Sonst kann sie ihre Arbeit nicht machen und wird nicht ernst genommen.
Wie viele Mitarbeiter braucht die CSSF noch?
Der personelle Ausbau wird wohl nicht im gleichen Rhythmus weitergehen, wie in den vergangenen Jahren. Wir suchen zum Beispiel auch nach informatischen Lösungen, um effizienter zu werden und den Personalbedarf zu mindern. Aber wir sind sicher noch nicht am Ende der Fahnenstange. Abgesehen von den Bankinspekteuren werden auch in anderen Abteilungen noch zusätzliche Leute gebraucht, wie etwa im Fondsbereich, wo zwischen 13 000 bis 14 000 Fonds- und Fondskompartimente zu überwachen sind.
Sie haben vergangenes Jahr einen Gesetzentwurf beim Finanzminister eingereicht, der darauf abzielt, das Gründungsgesetz der CSSF zu reformieren. Warum?
Das Gründungsgesetz der CSSF stammt aus dem Jahr 1998. Deshalb gibt es eine Reihe von Elementen, die einfach veraltet sind. Darin ist natürlich keine Rede von der Bankenunion und der Beteiligung am gemeinsamen Überwachungsmechanismus. Davon abgesehen hatten wir den Eindruck, verschiedene andere Artikel müssten ein wenig aufgefrischt werden.
Zum Beispiel?
Der Internationale Währungsfonds hat bereits des öfteren darauf hingewiesen, dass es in Sachen Gouvernance einige problematische Passagen gibt, auch wenn es in der Praxis keine Probleme gegeben hat.
Der IWF hat damit immer die Unabhängigkeit der CSSF vom Finanzministerium gemeint, unter dessen Vormundschaft die CSSF laut Gesetz steht.
Genau, obwohl ja „Unabhängigkeit“ ein sehr dehnbarer Begriff ist. Auch nach unserem Entwurf wäre der Vorsitzende des Verwaltungsrats weiterhin ein Beamter des Ministeriums. Wir sind ja eine staatliche Institution. Aber da die Begriffe Unabhängigkeit und Vormundschaft vom und durch das Ministerium sich ein wenig widersprechen, haben wir vorgeschlagen, auf das Wort „tutelle“ zu verzichten. Damit er besser lesbar sei und alles schön in der richtigen Reihenfolge stehe, haben wir den Text ganz neu geschrieben und um zu unterstreichen, dass es etwas Neues sei, vorgeschlagen, den Namen CSSF in "Autorité du secteur financier" umzuändern. Damit hätten wir uns an die europäischen Kollegen angepasst.
Wie hat denn das Finanzministerium reagiert?
Bisher kann von einer wirklichen Reaktion nicht die Rede sein. Jedenfalls wurde der Entwurf als Ganzes bisher nicht aufgegriffen, obwohl der Minister durchblicken ließ, verschiedene Elemente könne man umsetzen, ohne gleich das ganze Gesetz zu erneuern.
Als es vor ein paar Jahren eine gewisse Aufregung um die Gouvernance der CSSF gab, ging es vor allem um die staatlichen Vertreter im Verwaltungsrat. Dass dort auch die Branche vertreten ist, schien erstaunlicherweise weniger anstößig.
Der Verwaltungsrat hat sich auch nie in die Überwachsungsarbeit an sich und niemals in einzelne Dossiers eingemischt. Im Übrigen lassen sich die Banken- und die Fondsvereinigung ABBL und Alfi in der Zwischenzeit nicht mehr durch ihre Präsidenten vertreten, die ja gleichzeitig CEO einer Firma aus der Branche sind. Sondern durch die Mitarbeiter der Verbände, was der Sache gouvernance-technisch auch eine andere Nase gibt.
Ihr Nachfolger, Claude Marx, kommt aus der Privatwirtschaft. Wie finden Sie diese Neuerung?
Neuerungen an sich, ein wenig frischen Wind, finde ich nie schlecht. Laut Gesetz setzt sich die Direktion aus drei bis fünf Leuten zusammen. Ich fand es logisch, dass sich die Direktion aus Leuten von innen und von außen zusammensetzen würde. In den vergangenen vier Jahren waren wir zu viert, aber es ist wenig strittig, dass es ausreichend Arbeit für fünf Leute gibt. Ich gehe deshalb davon aus, dass im Laufe des nächsten Jahres ein fünftes Direktionsmitglied nominiert wird. Welches Profil diese Person haben soll, dürfte die neue Direktion vorschlagen.
Sie haben die Abschaffung des Bankgeheimnisses angesprochen. Wie hat denn die Branche dieses Ereignis weggesteckt?
Insgesamt gut. In seinen Dimensionen hat sich der Bankensektor nicht wesentlich verändert. Das von den Banken verwaltete Vermögen ist relativ stabil geblieben. Wenn man aber die einzelnen Banken im Detail betrachtet, hat es große Bewegungen gegeben.
Die Frage ist, ob es wenigen Banken gelungen ist, einzelne Großvermögen anzulocken und so die von Zahnärzten und Bäckern abgezogenen Ersparnisse auszugleichen, oder ob es doch ein paar mehr sind ...
Nein, es ist durchaus eine ansehnliche Zahl neuer Kunden. Tatsache ist jedoch, dass sie nicht unbedingt zu den Banken gegangen sind, die vorher viele kleine Kunden verloren haben. Eine Zahl, die mich ebenfalls beeindruckt hat, ist die der Banken selbst. Es sind immer noch 140 Banken in Luxemburg tätig. Aber es sind in dieser Zeit 40 Banken verschwunden und 40 neue gekommen. Das ist ein enormer Umschlag und die Zusammensetzung hat sich sehr verändert. Vor sechs Jahren war der Bankenstandort dominiert von deutschen und belgischen Häusern. Früher waren die deutschen Landesbanken mal der Stolz der Branche. Heute ist der Sektor viel internationaler geworden, beispielsweie durch Neuzugänge aus Lettland, Spanien, Brasilien, Katar und China.
Diese Internationalisierung war doch aber auch Teil einer voluntaristischen Politik, die der frühere Finanzminister Luc Frieden immer gepredigt hat.
Auf jeden Fall. Das war Teil der Bewegung in Richtung Transparenz und deshalb sind unsere Minister viel gereist. Allerdings war es keine voluntaristische Politik, die los zu werden, die jetzt weg sind. Eher wollte man neue hinzugewinnen.
Bis vor kurzem gab es keine wirkliche „Luxemburger“ Steuer-CD. Zwar haben sich die Filialen einiger deutschen Banken mit den Steuerbehörden auf Bußgelder geeinigt, aber das ging ohne größere Turbulenzen über die Bühne. Nun steht die Frage im Raum, ob es einen Träger welcher Art auch immer mit Daten deutscher Kunden der Sparkasse gibt. Wie schätzen Sie das Schadensrisiko solcher Altlasten ein?
Für den Finanzsektor an sich sehe ich wenig Risiken, eben weil es sich um Altlasten handelt. Für die einzelnen Banken und die betroffenen Kunden, die eventuell Strafen beziehungsweise Steuern nachzahlen müssen, entsteht natürlich ein finanzieller Kostenpunkt, aber nicht für die Branche insgesamt.
Dennoch ist der „Fall“ Sparkasse ein wenig besonders. Die Bank gehört dem Staat.
Das stimmt. Aber bisher hat sich überraschenderweise noch kein Journalist die Frage gestellt, ob die Sparkasse 55 000 deutsche Kunden haben soll. Meiner Meinung nach werden da Zahlen durcheinander geworfen.
Wie meinen Sie das?
Ich kenne den Datenträger nicht, aber es ergäbe für mich mehr Sinn, wenn es sich nicht um einen Datenträger der Sparkasse handeln würde, sondern um einen, der gegebenenfalls unter anderem Daten von Sparkassen-Kunden enthält.
Da es keine Geheimnisse mehr gibt – wie wird sich Ihrer Meinung nach das Konzept der Vertraulichkeit weiterentwickeln? Die Interessen der Akteure am Finanzstandort laufen nicht unbedingt in die gleiche Richtung. Das Geschäftsmodell der einen beruht auf Verschwiegenheit, andere könnten von der Auswertung von Daten en masse, beispielsweise über das Kundenverhalten, profitieren.
Im Bereich der Steuern ist die Entwicklung eigentlich abgeschlossen. Im Gegensatz dazu sehen wir immer öfter, dass die Vertraulichkeitsregeln verhindern, dass neue Dienstleistungen entwickelt oder Geschäftsbereiche an Dritte ausgelagert werden können. In diese Richtung muss etwas passieren, wenn wir wollen, dass neue Dienstleistungen entstehen, von denen auch die Kunden profitieren. Dabei darf man Eines nicht vergessen: Auf der einen Seite bauen wir Vertraulichkeits- und Geheimnisregeln ab. Auf der anderen Seite bauen wir dafür immer mehr Datenschutzregeln auf. Ich stelle immer wieder fest, dass diejenigen, die gegen das Bankgeheimnis sind, sehr wohl den Datenschutz befürworten. Da fehlt es manchmal an Kohärenz.
Seit Jahren versucht man das Geschäftsfeld der Sharia-konformen Finanzprodukte zu pushen, ohne größeren Erfolg. Dann wurde versucht, einen Hype um die Internationalisierung der chinesischen Währung Renminbi aufzubauen. Wo sehen Sie gute Entwicklungsmöglichkeiten für die hiesige Finanzbranche?
Das sind für mich alles Nischen und sie werden es auch bleiben. Man muss in seinem Warenangebot eine gewisse Diversität haben. Aber mich hat jemand aus einem islamischen Land einmal gefragt, warum er wegen islamischer Finanzprodukte nach Luxemburg kommen solle, wenn er davon zu Hause genug habe. Es war immer bekannt, dass die Internationalisierung des Renminbi etwas Transitorisches, ein zeitlich begrenztes Phänomen ist, bis der Renminbi eine Währung ist, die wie jede andere gehandelt wird. Es ging vielmehr darum, die Aufmerksamkeit chinesischer Akteure auf Luxemburg zu lenken und das ist gelungen. Unser Rennpferd ist und bleibt die Fondsindustrie. Wenn es die Branche schafft, ihre Position im Asset Management zu verteidigen, wäre das schon nicht so schlecht. Man könnte sich vielleicht auch wieder ein wenig mehr auf das gute alte langweilige Kreditgeschäft besinnen. Da gäbe es Möglichkeiten. Auch in der Interaktion zwischen Banken und Parallelbanken – wenn die Banken Kredite vergeben und diese verbriefen, liegt darin eine Chance, um die Geschäfte anzukurbeln.
Apropos Parallelbanken. 2014 rettete der portugiesische Staat die Bank Espirito Santo, bei deren Mutterhaus, einer Luxemburger Beteiligungsgesellschaft, die Bilanz gefälscht wurde und die überschuldet war. Als Beteiligungsgesellschaft unterlag die Firma keiner besonderen Kontrolle. Im Fall Fiat streiten Luxemburg und die EU-Kommission darum, mit welchem Zinssatz die Luxemburger Gesellschaft, anderen Filialen Kredite geben darf und wie hoch ihre Kapitalrücklagen sein müssen. Eigentlich funktioniert die Luxemburger Firma wie eine Bank. Sie untersteht aber nicht Ihrer Aufsicht. Wie stehen Sie dazu?
Wir sind absolut davon überzeugt, dass Gruppen, in denen es neben Bankaktivitäten andere Geschäftsbereiche gibt, auf konsolidierter Ebene geprüft und überwacht werden müssten. Das geben aber weder die nationalen noch die europäischen Gesetze und Regeln derzeit her. Dabei wäre das wirklich wichtig. Darüber hinaus sind wir der Meinung, dass es dringend notwendig wäre, die Finanzsparten von anderen Konzernteilen besser zu trennen, auch um prüfen zu können, ob ein Konzernteil den anderen nicht zu Bedingungen finanziert, die dem Markt nicht entsprechen.
Welche Möglichkeiten haben Sie?
Wir haben bei seiner letzten Visite mit dem Internationalen Währungsfonds diskutiert, dass in diesem Bereich dringend Handlungsbedarf besteht. Der IWF denkt in die gleiche Richtung wie wir. Der macht natürlich keine Gesetze hierzulande und es ist kein Luxemburg-spezifisches Problem. Aber der IWF kann auf globaler Ebene Denkanstöße geben, über eine Problematik, die global agierende Gruppen betrifft. Wenn er das beim G-20 macht, landet es vielleicht auch einmal als Gesprächsthema in Brüssel auf dem Tisch. Dann könnten die Richtlinien geändert werden, damit auch solche Gruppen als Ganzes betrachtet werden.