Der Größte ist ein Knirps von 14 Jahren. Er schießt zuerst. Ein kurzer Anlauf, amTorwart unten links vorbei. Tor! Um zu gewinnen, muss er zwei von drei Schüssen ins Netz hauen.Tor!! Seine Kumpels applaudieren, der Sieger bekommt den Preisausgehändigt: eine Flasche Champagner. An der Ecke neben demFriedhof wird sie unter lautem Gejohle ausgetrunken.
Das Spiel „Penalty“ auf der diesjährigen Schueberfouer ist bei jungen Fußballbegeisterten ein Renner, der süffige Preis ist es offenbar auch. Das, obwohl Marc Weydert vom hauptstädtischenOffice des fêtes, foires et marchés nach dem ersten Wochenendeauf einer Pressekonferenz die besonderen Bemühungen der Veranstalter in Sachen Alkoholkonsum bei Minderjährigen unterstrichen hat. Alkopops, die hochprozentigen Spirituosen-Mixgetränke seien dieses Jahr „verbannt“, man bemühe sich verstärkt um Kontrollen. An den Bierbuden würden neuerdings Warnhinweise „Keen Alkohol ënner 16 Joer“ aushängen. Nach einigem Suchen findet man sogar einige davon.
Am Crêpes-Stand neben der Achterbahn leuchtet die blaue Jugendschutz-Warnung im A4-Format, beim Grénge Spill, Bofferdinger Bierpalast und Haupttreffpunkt für alte und junge Schueberfouer-Besucher, ist das gleiche Plakat weniger als halb so groß. An anderen Schankständen sucht man es vergeblich. Dass hier überhaupt Plakate hängen, ist wohl vor allem dem Picadilly zu verdanken. Zwei Wochen ist es her, dass das Wein- undWinzerfest in Stadtbredimus für Negativschlagzeilen gesorgt hatte,weil dort minderjährige Jugendliche bis zur Bewusstlosigkeit trankenund die Polizei mehrmals bei Schlägereien einschreiten musste.14 Besucher wurden ins Krankenhaus gebracht, 63 Personen mussten vor Ort ambulant behandelt werden. In den Leserbriefspalten der Tageszeitungen brach daraufhin eine hitzige Debatte aus, wie sie Luxemburg nur selten erlebt. Drei parlamentarische Anfragen wurden eingereicht. Exzessiver Alkoholkonsum bei Jugendlichen, Komasaufen, Trinken bis zum Umfallen ist plötzlich Thema.
Bemerkenswerterweise galt das Gros der Empörung aber nicht den Veranstaltern, die an minderjährigen Festbesucher ihr aufgemotztes Weingetränk verkauften. Man sei nicht glücklich darüber gewesen, dass „wir den Alkoholgehalt von acht auf 10,5 Prozent erhöhen mussten, nur damit der Picadilly nicht zu den Alkopops zählt“, hatte der Vorsitzende des Syndicat d’initivative et de tourisme“, Nicolas Vesque unumwunden zugegeben. Eine zynische Argumentation,welche die Ombudsfra fir d’Rechter vum Kand, Marie AnneRodesch-Hengesch, scharf kritisierte. Ziel des Gesetzes über die Sonderbesteuerung von Alkopops von 2006 ist schließlich nicht, Verkäufer von alkoholischen Getränken dazu anzuhalten, den Alkoholgehalt ihrer Ware heraufzusetzen, sondern den Konsum bei Jugendlichen zu verringern (d’Land vom 17.3.2006). Die Veranstalter waschen ihre Hände in Unschuld. Man könne ja nicht jeden kontrollieren. Schuld seien die Eltern, die ihre Kinder auf das Fest gehen und ohne Maß trinken ließen.
Doch es ist kein Problem vereinzelter Jugendlicher, und Stadtbredimus ist kein Einzelfall. Dass die Jugend immer häufiger am Limit trinkt, ist ein europaweiter Trend, der nun auch Luxemburg erreicht hat. Einem im Auftrag der Europäischen Kommission verfassten Bericht des Londoner Institutes for Alcohol Studieszufolge ist die Europäische Union weltweit die Region mit demhöchsten Alkoholverbrauch – mit elf Liter Reinalkohol pro Erwachsenen jährlich. In den meisten EULändern stieg zudem das so genannte binge-drinking (Saufen bis zum Umfallen) bei Jugendlichen in den vergangenen Jahren drastisch an, mit zumTeil erheblichen Folgen für die Gesundheit der Betroffenen und für derenUmwelt. Zehn Prozent der Mortalität bei weiblichen Jugendlichen und ein Vierteil bei männlichen Jugendlichen sei durch Alkohol verursacht, so die Studie.
Selbst wenn es nicht so schlimm kommt: „Die gesundheitlichen Folgen von übermäßigem Alkoholkonsum sind für einen jungen Menschen gravierender als für einen Erwachsenen“, bestätigt Gérard Bauer, Arzt im Useldinger Therapiezentrum für Alkoholkranke. Weil die Entwicklung von Gehirn und inneren Organen noch nicht abgeschlossen ist, sind Kinder und Jugendliche anfälliger für Gesundheitsschäden und Sucht. Viele Eltern seien sich zudemnicht bewusst, dass zu viel Alkohol bei prädestinierten, psychisch labilen Jugendlichen psychotische Schübe auslösen könne.
Um die Jugend zu schützen, hat das Centre de prévention des toxicomanies (CePT) diese Woche gemeinsam mit zehn Gemeinden aus dem Redinger Kanton, der Polizei und dem Gesundheitsministerium eine umfassende Sensibilisierungskampagnegestartet. Siemahnt dringend verschärfte Alters- und Eintrittskontrollen bei Festveranstaltungen mit Alkoholausschank an. Jugendliche sollen künftig nur noch in Begleitung ihrer Eltern oder eines anderen weisungsbefugten Erwachsenen auf Weinfeste und dergleichen gehen, so sei das Alkoholverbot für Minderjährige unter 16 Jahren am besten durchzusetzen. Das Verbot gilt übrigens nicht erst seit 2006.
Schon nach dem Gesetz über Cabarets von 1989 dürfen Wirte keinen Alkohol an unter 16-Jährige ausschenken dürfen. Wer es dennoch tut, handelt gesetzeswidrig. Das hätten die Picadilly-Veranstalter eigentlich wissen müssen. Auch das Ausschenken von Alkohol an bereits Betrunkene ist nicht erlaubt und kann juristisch verfolgt werden. In Deutschland und in Frankreich wurden vor kurzem zwei Wirte aus diesem Grund verurteilt. Damit in Zukunft niemand sagen kann, davon nichts gewusst zu haben, werden ab September Eltern und Vereine kontaktiert und über ihre Verantwortung für das gesundheitlicheWohl ihrer Schützlinge informiert. Für Gemeindeverantwortliche,die Weinfeste organisieren wollen, hat das CePT zudem eine Checkliste vorbereitet, die Ausfälle à la Picadilly in Zukunft verhindern soll (www.cept.lu). Ein Totalverbot für Jugendliche, auf Dorffeste zu gehen, wie es in einigen Zeitungsberichten anklingt, sieht die Initiative aber nicht vor. „Die Kampagne richtet sich ausdrücklich nicht gegen Jugendliche und ihre Lust zu feiern, sondern an die Erwachsenen“, betont der Beckericher Bürgermeister Camille Gira.
Sie sind die richtigen Ansprechpersonen. Jede Flasche Alkohol, die Jugendliche trinken, geht zunächst durch die Hände von Erwachsenen. Da sind zum einen die Hersteller und Verkäufer von Alkopops: Mit modischen Mixgetränken und auf junge Zielgruppen angestimmten aggressiven Werbekampagnen hoffte die schwächelnde Branche neue Umsätze zu erzielen. Die Rechnungging so lange auf, bis immer mehr Länder eine saftige Sondersteuer erhoben. Danach stürzten die Verkaufszahlen ins Bodenlose, so dassbeispielsweise der Spirituosenhersteller Bacardi kürzlich ankündigte,seine Alkopop-Produktion ab 2008 einstellen zu wollen. Wenn in Stadtbredimus die Veranstalter den Gehalt ihres Picadilly-Gesöffs nach oben schrauben, um die Steuer von rund 1,50 Euro pro Flache zu umgehen, zeigt das vor allem, dass sie den Marktmechanismus durchschaut und ihre Prioritäten gesteckt haben.
Die Gesundheit der Jugendlichen zählte offenbar nicht dazu. Das Problem liegt aber noch tiefer. In ihrem Handlungsrahmen für eine Alkoholpolitik in der europäischen Region von 2006 mahnt die Weltgesundheitsorganisation, um der jugendlichen Bierseligkeit wirksam beizukommen, müsse sich vor allem die „Alkoholkultur“ und der oftmals bagatellisierende Umgang mit Spirituosen ändern. Das dürfte schwierig werden. Trinken ist cool, und die Großen machen’s vor: Eine Party kann ohne George Clooney steigen, aber nicht ohne Martini. Popsänger Robbie Williams gibt öffentlich zu, einige seiner besten Momente erlebt zu haben, als er unter Drogen stand, Rapper 50 Cent widmet der geliebten Flasche gleich ein ganzes Lied. Auch für andere Normalsterbliche gehört Alkohol zum schönen Leben unbedingt dazu. Weinfeste sind im Sommer in Luxemburg die Attraktion – und für die Dorfjugend oftmals der einzige Ort, wo wenigstens etwas los ist. Die Flasche Wein oder Drëpp gilt als geschätztes Mitbringsel für gesellige Abende. So selbstverständlich ist sie, dass nicht einmal Politiker, die es eigentlich besser wissen müssten, etwas dabei finden, wenn als Dankeschön für die Redner bei einer Schuleinweihungsfeier Schnaps überreicht wird.So geschehen im neuen Deutsch-Luxemburgischen Schengener Lyzeums in Perl. Zuvor hatte der saarländische Bildungsminister eine Anekdote über seine Trinkfestigkeit zum Besten gegeben. Ein Gläschen Wein in allen Ehren, aber es gibt passendere Orte, um Alkohol das Wort zu reden. Gar nicht zum Lachen ist die Tatsache, dass Luxemburg seit Jahren den europaweit höchsten Pro-Kopf-Verbrauch von Alkohol verzeichnet (ein großer Teil wird dank günstiger Steuersätze ans Ausland verkauft) – gleichzeitig waren die Anti-Alkohol-Gesetze hierzulande lange Zeit vergleichsweise lasch. Mit der neuen Regierung, und vor allem mit den roten Ministern Mars di Bartolomeo und Lucien Lux, hat sich das geändert. Allmählich findet ein Umdenken statt. Wie so oft bei kulturellen Gewohnheiten geht dies aber nicht ohne Widerstand. Zumal, wenn die Ökonomie mit ins Spiel kommt. Als der Gesundheitsminister sich anschickte, gegen Alkopops vorzugehen,schienen zunächst alle die Sondertaxe zu begrüßen. InLuxemburggibt es keine nennenswerten Produzenten dieser Getränke. Als dannaber aufgrund einer Ungenauigkeit im Text auch Bier- und Weinmischgetränke unter die Regelung zu fallen drohten, war Schluss mit lustig, und die einheimischen Brauereien und Winzereien mobilisierten gegen die Bestimmung (d’Land vom5.1.2007 und 9.3.2007). Von erheblichen Umsatzeinbußen war dieRede, andere sahen nach dem geliebten Glimmstängel nun ihr Feierabend-Bier in Gefahr.
Ähnlich vehement wehrten sich Abgeordnete der DP und der ADR als es Mitte Juli darum ging, die bis dato gültige Promillegrenze von 0,8 auf 0,5 zu verschärfen. So wie es übrigens in fast allen Ländern Europas (außer Großbritannien, Irland und Malta) längst der Fall ist. Ausgerechnet der ehemalige Gesundheitsminister Carlo Wagner, häufig gesehener Gast auf Weinfesten im Osten, und sein Parteikollege und Ex-Transportminister Henri Grethen polemisiertengegen die geplante Anhebung, als wäre damit das Trinken per se abgeschafft und als gäbe es nicht andere Möglichkeiten, nachbeherztem Trinkgelage nach Hause zu kommen. Außerdem wurde so getan, als wären die schädlichen Auswirkungen von Alkohol am Steuer gar nicht erwiesen.
Auf den Trick mit der ungenauen Datenlage und den kompliziertenKausalitäten griff auch die Europaabgeordnete und bekennende Weinfreundin Astrid Lulling (CSV) zurück. Als das Europaparlament sich dieses Frühjahr anschickte, die Verbrauchssteuersätze für Alkoholika europaweit anzunähern, was für Luxemburg eine Anhebung bedeutet hätte, setzte sieHimmel und Erde in Bewegung, umdies zu verhindern. Ihre Forderung: Mindeststeuersätze ganz abschaffen, da sie bestehendeWettbewerbsverzerrungen nicht lösen und ihre gesundheitliche positive Wirkung nicht bewiesen sei. Dabei steht im Europa-Bericht der WHO von 2006, der erschwerte Zugang zumAlkohol zähle erwiesenermaßen zu den „most effective and cost-effective approaches to limit the harm done by alcohol“. Ihre Rechnunghatte Lulling ohne die Sozialisten gemacht, die sich in letzterMinutegegen Lullings ultraliberale Ideen stemmten. Nun geht die Debatte von vorne los, die vergleichsweise niedrige Preise für Spirituosen, Bier und Wein bleiben in Luxemburg bis auf Weiteres bestehen. Was neben dem mit verdienenden Staat nicht zuletzt den jugendlichen Kunden freut.
Doch höhere Steuern und deutliche Verbote nutzen gar nichts, wenn sie mangels Kontrollen und fehlender Einsicht umgangen werden können. Die verschärfte Aufmerksamkeit gegenüber jugendlichen Kampftrinkern, welche die Organisatoren der Schueberfouer angekündigt haben, gehört jedenfalls in die Kategorie Wünsch-dir-was. Bei den Verantwortlichen ist nicht viel zu sehen. Auf die Frage, wie sie das Alter ihrer Kundschaft überprüfe, stutzt die studentische Bedienung im grünen Bofferding-T-Shirt zunächst. „Ich gucke, wie sie ausschauen“, sagt sie dann und zuckt hilflos mit den Schultern. Spätestens beim Blick auf die drängende Masse an der Außentheke wird klar, was für ein hoffnungsloses Unterfangen das ist. Der Einsatzleiter der Polizei auf der Schueberfouer, Nico Schroeder, sagt es deutlich: „Wir kontrollieren nur, wenn jemand auffällig wird. Alles andere ist nicht machbar.“ Ernüchternde Aussichten für den Jugendschutz.