Morricone non più. Sfortunatamente. Ennio Morricone wurde über 90 Jahre alt und dennoch wird dasvon ihm gerissene Loch längerfristig Spuren hinterlassen. Mit dem Tod des Maestros am Montag, den 6. Juli, verliert das septième art nicht nur einen Komponisten, sondern eine Figur, die das moderne Kino über Jahrzehnte geprägt hat wie wenig andere. Ay-ee-ay-ee-ayyy. Wah-wah-waaah. Jedem Menschen ist die Musik von Morricone ein Begriff. Wirklich jedem. Und wenn es nur die Kompositionen für die Italo-Western mit Clint Eastwood sind. Sei᾽s drum.
Die ganze Woche über wurden in zahlreichen Nachrufen immer wieder Filmtitel aufgezählt. Die Dollar-Trilogie, The Untouchables, Le clan des Siciliens, Once upon a time in America, Cinema Paradiso, The Mission, The Thing, Le professionel, etc. Die immer gleichen zwei Handvoll Filme, mit einem Gewicht auf US-amerikanische Produktionen. Lediglich ein Bruchteil seiner über 500 Arbeiten – richtig gelesen, fünfhundert Arbeiten! – für die Leinwand waren US-amerikanische Filme. Ennio Morricone war Italiener, Römer und er war italienischer Filmmusikkomponist, der auch nach dem definitiven Durchbruch in Hollywood seiner Heimatstadt Rom nie den Rücken gekehrt hat. Morricones Englischkenntnisse? Nessuna. Die Mehrheit seiner Arbeiten sind musica da film per film italiani.
Woher kommt jedoch die automatische Blende von Morricone zu Sergio Leone? Eine solche Partnerschaft ist eigentlich nicht einzigartig. Was Morricone zu Leone war, war doch schon Herrmann zu Hitchcock, Williams zu Spielberg, Rota zu Fellini und Tonnar zu Bausch? Nicht ganz. Das Gespann Leone-Morricone ist in der Filmgeschichte einzigartig.
In der Regel wird das Drehbuch geschrieben, dann wird gedreht und die Musik wird in der Postproduktion, oft in der Montage komponiert und ausgearbeitet. Nicht so bei den alten Schulkameraden aus Rom. So war der Regisseur musikalisch, wie der Komponist mitverantwortlich in Sachen mise en scène. Eigenen Aussagen nach war Morricone Leones liebster Drehbuch-Koautor. Die beiden haben gleichzeitig am Drehbuch und an der Musik gearbeitet. Beim Dreh wurde diese Zusammenarbeit einen Schritt weitergedacht. Systematisch ließ Leone die fertig komponierte und aufgenommene Musik über Lautsprecher am Set während der Dreharbeiten spielen. Das blocking der Schauspieler/innen, die Geschwindigkeiten, Bewegungen der Kamera und alles im Bereich Inszenierung war minutiös auf die Musik abgestimmt. Von der Psychologie der Figuren, die der Musik innewohnte, gar nicht zu sprechen. Ein perfektes Beispiel, um diese Technik zu veranschaulichen: Claudia Cardinales Ankunft am Bahnhof im Western-Epos C᾽era una volta il West aus dem Jahre 1968.
In Morricones Musik für Leone-Filme kann man nicht nur eine Blaupause für sein gesamtes filmmusikalisches Werk mit all seinen Obsessionen und Motiven wiederfinden – ohne die restlichen 496 (Schätzung!) Filme aus seinem Curriculum sehen zu müssen – sondern entdeckt noch weitere Spiegelungen zur Persona Leone. So wie der Regisseur sein Spaghetti- oder Italo-Western aus Versatzstücken aus amerikanischen Western und des asiatischen Samurai-Films gebastelt hat – Per un pugno di dollari ist zum Beispiel ein eiskaltes Remake von Kurosawas Yojimbo – so ist Morricones Musik auch ein Sammelsurium aus Oper, Folklore und musique concrète. Auch Recycling war dem Komponisten nicht sonderlich fremd. Nachdem Sergio während der ersten gemeinsamen Arbeit Ennios Vorschläge znächst in der Luft zerrissen hatte – es soll ein billiger Abklatsch von Western-Musik eines Dimitri Tiomkins gewesen sein –, hatte dieser in seinen Archiven gestöbert und einen vor Jahren produzierten Song ausgegraben. Was davon übriggeblieben ist im Soundtrack des Films? Alles. Außer die Stimme des Sängers. Der dazu noch einen Woody Guthrie Songcover schmachtete. Aber Glockenspiel, Chor, Peitschenhiebe, Pferdegalopp – alles war drin gewesen. Leone war begeistert.
Nicht zu jeder Filmmusik oder Zusammenarbeit von Regisseur/innen ist so viel zu erzählen wie bei diesem Gespann. Die meisten Filme, zu denen Morricone seine Musik beigesteuert hat, sind in Vergessenheit geraten. Aber im Falle dieses Komponisten ist die Regel außer Kraft gesetzt, die besagt, dass Filmmusik nur im Zusammenspiel der Bilder funktioniert, die sie begleitet. Ob es nun Musik für einen Western, Giallo, poliziottesco, einen Horror- oder Liebesfilm ist, die Musik von Morricone hat das Genrekino des modernen und postmodernen Kinos – Tarantino und seine recycelten Morricone needle drops seit Kill Bill, Vol.1 lassen grüßen! – auf Gezeiten geprägt wie mindestens die Spitzenreiter (sic!) der jeweiligen filmischen Genredisziplin. Ob man den Film gesehen hat oder nicht, wenn man die dazugehörende Filmmusik hört – oder ist es umgedreht? –, dreht immer der ganz eigene Film im Kopf.
Übrigens, so ganz nebenbei: Wurde an dieser Stelle eigentlich angemerkt, dass Ennio Morricone neben 500 Filmmusiken noch Jazzmusiker war, sowie Komponist von neoklassischer, absoluter Musik – rund 150 Kompositionen – Pop-Hits in Zusammenarbeit mit seinen Kumpels Bruno Nicolai und Alessandro Alessandroni und devotionaler und library Musik? Es stimmt: Ennio Morricone hat sogar die Musik für die Fußball-Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien komponiert.