Leitartikel

Wettbewerbsverzerrung

d'Lëtzebuerger Land vom 30.11.2012

Nur zum Teil zufrieden zeigt sich die katholische Kirche diese Woche mit dem Expertenbericht über die Beziehungen zwischen Staat und Kirchen. Der christlich-soziale Kultusminister François Biltgen hatte ihn gekauft, um eine Debatte über die Trennung von Staat und Kirche zu verhindern. Denn eine Mehrheit in der Öffentlichkeit und im Parlament hält die Verstaatlichung des nur noch von einer Minderheit gehuldigten katholischen Kultus inzwischen für überholt und zu kostspielig.
Die Vorbehalte des Erzbistums könnten überraschen. Denn Biltgens Experten waren zu dem Schluss gekommen, dass die Art und Weise, wie die öffentliche Hand Geistliche, Kirchen und Pfarrhäuser aushält und den Religionsunterricht in öffentlichen Schulen fördert, eine Landessitte darstellt, die einfach aus Gründen der Brauchtumspflege beibehalten gehört. Selbst die Übernahme des belgischen Modells hielten sie für überflüssig; im Nachbarkönigsreich bekommen auch die Atheisten, die ein kluger Kopf einmal die letzten Gläubigen nannte, ihren Kult bezuschusst.
Weil sich die Experten des Kultusministers aber wider Erwarten nicht einmal die Mühe machten, den Befürwortern einer Trennung von Staat und Kirche einen Kompromiss anzubieten, sind sich inzwischen fast alle Parteien im Parlament, von den Sozialisten über die Liberalen und Grünen bis zur Linken einig, den Gebrauchswert des Berichts als gering einzuschätzen. Und die meisten von ihnen, die bei der geplanten Verfassungsreform auch das „schwedische Modell“ einer rein symbolischen Monarchie befürworten, verlangen weiter, dass alle Glaubensformen privatisiert werden.
Wieso das Erzbistum Vorbehalte gegenüber dem Expertenbericht äußert, hat sicherlich mehrere Gründe. Angesichts der vielen Kritik von links muss sie, schon allein aus taktischen Gründen, Gegendruck von rechts erzeugen, um das Schlachtfeld nicht kampflos zu räumen. Eine Rolle spielt sicher auch der neue Wind an der Spitze des Erzbistums, das in den vergangenen Monaten zeigte, wie ernst es ihm mit dem Remissionierungsauftrag von Jean-Claude Hollerich gemeint ist. Doch neben Detailfragen, über die zu reden es bereit ist, sieht das Erzbistum auch einige tatsächliche Bedrohungen für seine Position.
So wehrt sich die katholische Kirche in ihrer Replik vehement gegen die wiederholt im Expertenbericht auftauchende Feststellung, sie genieße gegenüber anderen Religionsgemeinschaften Privilegien, weil Juden, Muselmanen, Protestanten und Orthodoxe keine Kirchenfabriken bezahlt bekommen und keinen Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen halten dürfen. Denn sie weiß nach 30 Jahren Neoliberalismus ganz genau, dass der Kampf gegen Privilegien nicht zur Gleichstellung der Benachteiligten führen, sondern den Bevorteiligten etwas wegnehmen soll. Deshalb versucht sie den Nachweis zu erbringen, dass diese Privilegien keine Wettbewerbsverzerrung darstellen, sondern die Entschädigung für die Beschlagnahme der Kirchengüter nach der Französischen Revolution darstellen.
Da das Erzbistum aber weiß, dass die Frage nach dem Sinn und den Kosten der staatlichen Finanzierung um so lauter gestellt wird, je leerer die Kirchen werden, schlägt es vor, endlich „die volle Religionsfreiheit“ in die Verfassung einzuschreiben. Zwar gibt es schon einen Verfassungsartikel 19, der die Kultusfreiheit und die Äußerung religiöser Ansichten gewährleistet. Aber um die Religionsfreiheit zu vervollständigen, will das Erzbistum ihn um den Zusatz ergänzt wissen, dass der Staat Konventionen mit den verschiedenen Religionsgemeinschaften abschließt. In Zeiten der Wirtschaftskrise und der Säkularisierung hilft offenbar nur noch die Erhebung der Finanzierung der Kirche in den Verfassungsrang, um die derzeit 57,7 Millionen jährlich bis zum Hinscheiden des letzten Kirchgängers zu garantieren.

Romain Hilgert
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