Die vielen diffusen Informationen, zweifelhaften Tweets und Facebook-Kommentare erschlagen fast beim Rundgang durch diese neue Schau. Eine sinnliche Klanginstallation (Szenerien 2021/Tido Brussig) mit ihrem zischenden Geraune und Geflüster führt es vor: Da ist doch etwas Tieferes im nervösen Weltgemurmel, auf das man hören muss. Aber auf welche der Stimmen?
Die Ausstellung, erstmals 2019 von der Stiftung Kloster Dahlheim gezeigt, ist umgebaut und verspätet im Lëtzebuerg City Museum zu sehen. Die Pandemie war Gelegenheit, das Thema mit Bezug auf die wild grassierenden Theorien rund um Corona aufzugreifen. So werden die Besucher/innen von Anfang an als direkt Betroffene angesprochen.
Die bis heute wohl berühmteste Verschwörungstheorie findet sich in den „Protokollen der Weisen von Zion“. Im Katalog beschreibt der Historiker Michael Hagemeister, dass eine Lesart bestimmend war für die Rezeption: „Die Protokolle als Apokalypse, als ,Enthüllung‘ eines spirituellen Geheimnisses, einer kosmischen Konspiration satanischer Mächte im Kampf um die Weltherrschaft.“ Die wiedergewonnene Aktualität der Verschwörungstheorien datiert laut Kuratorin Gaby Sonnabend in den letzten Jahren: „Stein des Anstoßes war dann 2015 die ‚Flüchtlingskrise‘ in Deutschland.“
Verschwörungstheorien werden als Begleiterscheinung von Umwälzungen gedeutet, wobei die Frage bleibt, wie sie genau entstehen. Die Kulturwissenschaftlerin Carolin Mischer verweist in ihrem Beitrag im Katalog auf die Konstanten: Verschwörungstheo-rien träten vor allem in Zeiten politischer, wirtschaftlicher und sozialer Umbrüche auf, in Epidemien, Revolutionen oder Kriegen. Waren Opfer einst vor allem vermeintliche Randgruppen und Außenseiter, richten sich Verschwörungstheorien heute zunehmend gegen Eliten, Konzerne oder Regierungen. Die Chemtrail-Bewegung etwa deutet Kondensstreifen am Himmel als Chemikalien, die Regierende absichtlich versprühen lassen würden, um ihre Bevölkerungen zu vergiften.
Manchmal lässt sich recht präzise nachvollziehen, wie eine Verschwörungstheorie entstand oder welche dubiose Publikation den Nährboden lieferte. Mitunter verbreiten auch Medien die Gerüchte oder zweifelhafte Theorien weiter. Hauptforen sind dafür heute die sozialen Medien.
Der Rundgang durch die Ausstellung beginnt im Jetzt. Damit ist er chronologisch genau entgegengesetzt zu der ursprünglichen Reihung der Stiftung Kloster Dahlheim aufgebaut. Die verschiedenen Textebenen, bestehend aus Zitaten und Thementexten, sind kaum zu unterscheiden. Allein anhand der farblichen Kennzeichnung lassen sich Zitate von Verschwörungstheoretikern und wissenschaftliche, faktenbasierte Positionen ausmachen: Ein Labyrinth-Effekt, der die Besucherin auffordert, zu differenzieren und sich eigenständig durchzukämpfen. Man stößt auf truthers, die die Geschehnisse vom 11. September 2001 anzweifeln. In einem Glaskasten ist ein Aufzugsmotor aus einem der Zwillingstürme des World Trade Centers ausgestellt. Die Geschehnisse dienen als Prototyp: „Die Idee ist immer dieselbe, dass eine kleine, mächtige Gruppe hinter Ereignissen steht, die man sich nicht so recht erklären kann.“
Man bekommt Impfgegner vorgeführt, Klimawandelleugner und die Barcode-Verschwörung. Letztere basiert auf der Behauptung, hinter den drei Doppelstrichen verberge sich die 666. Dadurch gäben die Scancodes negative Energien ab, die wie Gift wirken und krankmachen würden; wenn auf Produkten in Bioläden der Barcode durchgestrichen ist, zeuge das davon, dass die Hersteller reagieren, indem sie die Barcodes „entstören“. Dubiose Weltinterpretationen gibt es zuhauf, etwa die Büchern und im Internet imaginierte reptiloide Weltherrschaft: Eine globale Elite von Mischwesen aus Menschen und Echsen kontrolliere die Menschheit.
Verschwörungstheorien in der Konfrontation zwischen den Blöcken im Kalten Krieg werden aufgerufen. Wie zum Beispiel das Attentat auf John F. Kennedy, um das sich Spekulationen rankten, dass es unmöglich ein Einzeltäter gewesen sein könne. Und natürlich wird die unvermeidliche Frage gestellt: War die Mondlandung eine Inszenierung?
In einem Raum können die Besucher/innen ihre Lieblings-Verschwörungstheorie an die Wand pinnen. Der Flyer „Ne croyez pas tout!“ mit einem Quiz, auf dem die richtigen Lösungen freigerubbelt werden können, bietet die Möglichkeit, selbst zu überprüfen, welche Theorien der Exponate man für wahr hält. – Eine pädagogische Mahnung: Schaut Euch die Quellen an! Ein Tool des Zentrum fir politesch Bildung richtet sich explizit an Jugendliche.
Die „Jüdische Weltverschwörung“ auf einem großen Plakat zeigt den verhassten Juden, wie er angeblich international vernetzt ist. Ergänzt werden die bekannten Darstellungen aus den deutschen Publikationen um Strophen aus luxemburgischen Volksliedern: „Eent zwee dräi, t’ass e Judd kapott, huel e mat de Been a schleef e fort.“ Die nachgerade verblüffende heutige Rezeption der „Protokolle der Weisen von Zion“ als Bibel der Antisemiten begründet Hagemeister in seinem Katalogbeitrag so: „Dabei dürfte es weniger der konkrete, bisweilen auch widersprüchliche Inhalt sein, dem die Schrift ihre anhaltende Wirkung verdankt, als vielmehr die Verführungskraft des Mythos der Verschwörung, scheinen die Protokolle doch die Existenz eines geheimen Planes zu belegen, nach dem allmächtige Akteure das Weltgeschehen manipulieren und auf ein als bedrohlich empfundenes Endziel hinlenken.“ Diese Beobachtung zeigt ein Problem. Es sind nicht die haltlosen „Informationen“ eines solchen Pamphlets, die seine Wirkung ausmachen, sondern der bestätigt gefundene Glaube an ein solch mythisches Geschehen. Eine wirkliche Erklärung für ein sich selbst irrational begründendes Weltbild ist damit aber nicht gefunden.
Eine Fülle weiterer Beispiele aus der Geschichte findet sich in der Ausstellung, darunter die Verschwörungstheorien zu den „wahren Schuldigen“ für die Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg und die zentralen Feindbilder Juden und Freimaurer. Der Illuminatenorden wird vorgestellt, dessen Nachwirkung in keinem Verhältnis zu seiner Existenz von nur knapp zehn Jahren steht. Es handelte sich um eine Geheimgesellschaft, die aus dem Gedankengut der Aufklärung entstanden war und entsprechend auf breite Skepsis stieß.
Dass dem Trierer Bürgermeister einst als Hexer der Prozess gemacht wurde, zeigt, dass die Randständigkeit Einzelner, die den Verdacht auf sich gezogen hatten, nicht unbedingt mit Armut verbunden gewesen sein muss. Man stößt auf ein berühmtes Hexenhemd, das hinter einem Glaskasten wirkt wie ein gigantischer Lumpen. – Ein unheimliches Exponat, kündet doch dieses Folterhemd der Anna Kramerin (Veringenstadt, 17. Jahrhundert) noch heute von einem exemplarischen Frauenschicksal. In Veringenstadt fand 1680 ein Hexenprozess statt: Kramerin (1619-1680) war die Beschuldigte. Für die Folter wurde ihr eigens ein Hemd genäht. Nach mehreren Folter-Durchgängen wurde sie schließlich enthauptet und verbrannt.
Bereits um 1300 fanden antisemitische Verschwörungstheorien rege Verbreitung. Die Ausstellung zeigt klar, dass es in der Ausgrenzung und Verfolgung von Juden eine Kontinuität, eine mitteleuropäische Tradition über die Jahrhunderte gibt. Einem Exponat, einem originalen Rechnungsbuch aus dem 15. Jahrhundert, kann man entnehmen, dass Juden auch aus der Stadt Luxemburg vertrieben wurden.
Schließlich werden auch aktuellere luxemburgische Theorien aufgegriffen, darunter die Clearstream-Affäre. Nur nach der bekanntesten Affäre, um die sich wilde Spekulationen ranken, sucht man vergebens. Die bis heute noch immer nicht aufgeklärte Bommeleeër-Affäre war wohl ein zu heißes Eisen. „Lëtzebuerg gibt es gar nicht!“, diese Theorie am Ende des Rundgangs erinnert an die satirische Bielefeld-Theorie. Der belgische Philosophieprofessor Matthieu Peltier hinterfragt in seinen Kursen die Existenz des Großherzogtums. Luxemburg sei nur ein Konstrukt zur Abwicklung internationaler Finanzgeschäfte im Interesse einer kleinen, elitären Gruppe. – Eine Übung, um zu zeigen, wie Verschwörungstheorien konstruiert werden.
Die Ausstellung mahnt die Besucher/innen, den Verstand einzuschalten und nicht auf vereinfachte Welterklärungsmuster hereinzufallen. Auf die schwierigen Fragen, warum einige und manchmal viele dies dennoch tun und weshalb eine eigentlich verrückte Idee ideologisch und historisch so wirkmächtig werden kann, gibt sie keine leichten Antworten. So bleibt am Ende dieser guten Ausstellung das mulmige Gefühl: Wenn man die Irrationalität identifiziert und beseitigt, versteht man dann Geschichte und Gesellschaft besser?