An einer Bushaltestelle in der Hauptstadt warten fünf Bürger auf den Bus: zwei Jugendliche, vermutlich Lyzeumsschüler, eine Frau mit ihrem kleinen Sohn und ein älterer Mann. Auf die Frage, was sie vom öffentlichen Nahverkehr und den Bussen halten, erklären sie, die seien „ganz schön preiswert“, so einer der Schüler, und „meistens ziemlich pünktlich“, so der ältere Mann, der gleich noch Fahrpläne und Liniennetz des Stater Busbetriebs zu erörtern beginnt. Für die junge Frau ist „Fahrplan“ ein Stichwort: Kürzlich habe sie sich beim Fahrer eines Busses, der an einer Endhaltestelle wartete, erkundigt, wann er abfahre. „Do seet een fir d’éischt mol Moien!“, habe der sie angeschnauzt. Unerhört sei das. Selbstverständlich habe sie zurück geschimpft.
Als wäre ein Damm gebrochen, haben nun alle von unerfreulichen Erlebnissen mit Busfahrern zu berichten. Die junge Frau regt sich über den Fahrstil der Chauffeure auf. Der ältere Mann hat oft das Gefühl, um zusteigende Passagiere zu ärgern, würden die Fahrer nur die Vordertür zum Bus öffnen. Die spektakulärste Schilderung gibt einer der Schüler zum besten: Als er zu einer Haltestelle gerannt sei, weil er den Bus schon kommen sah, habe der Fahrer ihm lachend zugewinkt, mit dem Finger auf den Bushalt gezeigt und sei einfach weitergefahren. „Als wollte der mir sagen, dein Pech, dass du nicht schneller laufen kannst! Dabei war ich nur noch zehn Meter von der Haltestelle entfernt und der sah mich ja, ich kam von vorne.“
Sind die Verhältnisse zwischen Fahrern und Fahrgästen derart zerrüttet, dass Erstere Letztere ärgern und die dann schon mal handgreiflich werden? Vor zwei Wochen wurden neue Daten zu Übergriffen auf Personal im öffentlichen Transport publik. Die Häufigkeit nehme ab: von 390 Übergriffen in den ersten acht Monaten 2011 und 303 im vergangenen Jahr auf 261 zwischen Januar und August dieses Jahres. Dafür nehme die Schwere der Fälle zu: „Vom lauten Wort wird immer schneller zur Tat geschritten“, sagt Mylène Wagner, Generalsekretärin der Transportgewerkschaft Syprolux.
Die Idee, dass ein Fahrgast, der zur Vordertür eines Busses einsteigen musste statt bequemer in der Mitte, daraufhin den Chauffeur verprügelt, geht höchstwahrscheinlich viel zu weit. Nach wie vor spielen die meisten Vorfälle sich auf der verbalen Ebene ab. Auch im CFL-Zugverkehr, wo stets die übergroße Mehrzahl der Fälle registriert wird: 204 waren es bis zum August. Andererseits aber enthält die Statistik nur, was das Personal der Transportbetriebe selber meldet. Busfahrer aus den Privatfirmen im RGTR-Überlandverkehr gelten als zurückhaltender mit ihren Meldungen als etwa die Chauffeure des kommunalen Hauptstadt-Busdiensts AVL. Vielleicht verzeichnet der AVL ja deshalb mit 33 fast anderthalb Mal so viele Vorfälle wie RGTR, Tice und CFL zusammengenommen.
Aber ebenso wenig, wie man Genaues zu solchen Vorfällen weiß, gibt es landesweite Daten zur Zufriedenheit der Nutzer des öffentlichen Transports. Regelmäßig erhoben wird die Kundenzufriedenheit nur bei den CFL zu internen Zwecken und durch das Nachhaltigkeitsministerium Jahr für Jahr für den RGTR-Busdienst durch eine TNS-Ilres-Umfrage, deren Ergebnisse veröffentlicht werden. Eine laufende Analyse des Zwischenmenschlichen zwischen Passagieren und Bahn- und Buspersonal und wodurch es beeinflusst wird, fehlt ganz. Aber die gesetzlich geregelte Aus- und Weiterbildung der Busfahrer enthält auch Kundendienst-Lektionen und Deeskalations-Schulungen durch Psychologen. Dass im öffentlichen Busverkehr, in dem die meisten Passagiere befördert werden, ein Konfliktpotenzial besteht, ist den Betrieben klar. Obwohl beispielsweise laut einer staatlichen Verordnung jeder Busfahrer Tickets kontrollieren kann, wird das kaum noch gemacht. „Der Chauffeur soll sich vor allem aufs Fahren konzentrieren und seinen Fahrplan einhalten“, erklärt die Pressesprecherin des Nachhaltigkeitsministeriums. Beim AVL sei, so Direktor Laurent Hansen, „nach langen Diskussionen über die Option ‚kontrollierter Einstieg’“ entschieden worden, Kontrollen seien nicht Sache des Fahrers. Deshalb würden an den Haltestellen „im Prinzip immer alle Türen geöffnet“. Lediglich beim Süd-Bussyndikat Tice wird nach wie vor nur die Vordertür geöffnet, damit der Chauffeur die Fahrscheine inspizieren kann. Tice-Busfahrer Mike Detrang aber berichtet: „Wir machen das nicht unbedingt.“ Dafür sei nicht genug Zeit und vor allem könne es „zu Konflikten führen“.
Was dann doch darauf hindeutet, dass beziehungsmäßig zwischen Chauffeuren und Passagieren nicht alles im Lot ist. Im Überlandverkehr hielten, der jüngsten RGTR-Umfrage nach, nur sechs Prozent der Befragten die Freundlichkeit der Fahrer für „schlecht“ bis „sehr schlecht“ und vier Prozent deren Bereitschaft, Informationen zu erteilen. Dem AVL dagegen wurde dieses Jahr durch ein Kundenbarometer bescheinigt, dass „relativ große Unzufriedenheit“ herrscht, so Direktor Hansen. 28 Prozent fanden die Chauffeure nicht freundlich und zuvorkommend genug; 34 Prozent waren unzufrieden mit dem Fahrstil. Bei 36 Millionen Passagieren, die der Hauptstadt-Busdienst 2012 insgesamt beförderte, fallen die Prozente ins Gewicht. Aus den Reklamationen, die beim AVL eingingen – vergangenes Jahr 440 und dieses Jahr 450 –, ergibt sich ein ähnliches Bild: „Bemängelt wird vor allem die zwischenmenschliche Seite“, sagt Hansen, „und außerdem technische Fehler. Zum Beispiel, dass die automatische Türschließung zu früh ansprang.“ Die sei lichtschrankengesteuert und vom Fahrer nicht zu beeinflussen. Beim AVL würden jetzt an allen mit der Automatik versehenen Bussen die Lichtschranken nachjustiert.
Schon möglich, dass das die Fahrgäste zufriedener macht. Aber die Problemlage ist vermutlich noch komplexer. Busfahrer beklagen wachsenden Stress: „Der Verkehr wird immer dichter, die Autofahrer werden immer aggressiver“, stellt Tice-Fahrer Detrang fest. „Dabei haben wir im Süden nicht so viele Busspuren wie Luxemburg-Stadt. In Esch gibt es eine einzige; man steht also mit dem Bus quasi immer mitten im Verkehr.“ Gebe es dann Verspätungen, verstünden die Fahrgäste das „nicht unbedingt“.
Nicht unbedingt gekannt werden von den Passagieren auch die Regeln, die im Busdienst gelten. Im Süden kann es schon mal hoch hergehen. „In Düdelingen stand ein Bus an einer Bahnschranke und ein Fahrgast wollte eingelassen werden. Als der Fahrer die Tür nicht öffnete, legte der Mann sich 30 Minuten lang vor den Bus“, berichtet der Tice-Direktor von einem Vorfall, der dieses Jahr auch auf Facebook die Runde machte. Außerhalb einer Haltestelle aber dürfe kein Busfahrer einen Passagier aufnehmen, das sei versicherungsrechtlich untersagt. Selbst der damalige Tice-Präsident und Rümelinger Bürgermeister Will Hoffmann sei von einem Busfahrer nicht eingelassen worden, als er an einer roten Ampel am Escher Bahnhof Einstieg begehrte: „Hoffmann regte sich ganz schön auf, aber der Fahrer war im Recht.“
Anders ist es an einer Haltestelle wie dem Pariser Platz in der Hauptstadt: In Fahrtrichtung Hauptbahnhof steht eine Verkehrsampel unmittelbar am Bushalt. Wer sich die Mühe macht, die Fahrer zu beobachten, kann sehen, dass Rotlicht für so manche bedeutet, die Türen für Fahrgäste nicht mehr zu öffnen, obwohl das laut Straßenverkehrsordnung und Versicherungsbestimmungen nur dann so zu sein hat, wenn der Bus schon ein Stück aus der Haltestelle herausgefahren ist. Chauffeure, die dann stur geradeaus schauen, handeln nicht fahrgastfreundlich.
Oder kann es dafür auch allzu menschliche Gründe geben? Schon möglich. Vielleicht vor allem, wenn es sich um einen Bus einer Privatfirma handelt, die auf Stadtbuslinien als Subunternehmer auftritt. Was die meisten Busbenutzer vermutlich nicht wissen: Die Arbeitsbedingungen im privaten Personentransport sind ganz andere als in den öffentlichen Busbetrieben AVL, Tice und CFL. Dort haben die Chauffeure eine 40-Stundenwoche und Schichten von 7,75 bis 8,5 Stunden. Im Privatbereich sind es elf bis 13 Stunden.
Klar müsse man zu den Fahrgästen freundlich sein, warten, bis noch der letzte seinen Sitzplatz gefunden hat, sofern noch welche frei sind, und auf herbeieilende Passagiere warten, sagt ein Busfahrer eines Privatbetriebs, der lieber nicht namentlich genannt werden möchte. Doch sei man von sechs bis 18 Uhr mit einem zwölf bis 16 Meter langen Gelenkbus im immer dichter werdenden Verkehr unterwegs, gelinge das nicht immer jedem. Hinzu kommt die besondere „Amplitude“ in den Privatfirmen. Der Fahrer berichtet: „Weil in Luxemburg der Busverkehr auf die Hauptstadt konzentriert ist, fährt man von der Busgarage seiner Firma aus zunächst morgens eine Überlandtour in die Stadt. Danach typischerweise einen Schülertransport innerhalb der Stadt und vielleicht noch einen Liniendienst im AVL-Ersatz. Anschließend ist meistens erstmal Pause.“
Und diese Pausen sind es, die den RGTR-Fahrern zu schaffen machen: Vier bis fünf Stunden kann der Bus auf dem Glacis-Parkplatz oder am Parking Bouillon stehen, ehe die nächste Tour fällig ist. „Wer in der Stadt wohnt, könnte in der Zeit nach Hause gehen, aber wer wohnt schon in der Stadt?“ So dass die Chauffeure dann „herumhängen“. Dass der Arbeitgeber bis zu vier Stunden solcher Pausenzeiten nicht bezahlen muss, sei nicht das Schlimmste. „Das Rumhängen macht einen fertig.“ Gegen Nachmittag stünden dann wieder AVL-Ersatz und Schulbustouren an und gegen Abend Überlandverkehr, zum Schluss in Richtung Bushangar der Firma. Und nicht selten gebe es kein richtiges Wochenende: „Der Gesetzgeber geht von 45 Stunden Erholungszeit aus. Hat man bis samstags gearbeitet, was immer öfter der Fall ist, und kommt mittags nach Hause, hat man nur den Sonntag zum Zusichselberkommen. Montagfrüh geht alles wieder los.“
Da sind es vielleicht insbesondere die Privat-Busfahrer, die besonderen Wert darauf legen, vom zusteigenden Passagier gegrüßt zu werden. Tice-Busfahrerin Karin Schuck wünscht sich das zwar auch: „Moien und Merci werden in der Gesellschaft sowieso immer seltener, aber wenn ich zum Bäcker gehe, grüße ich. Wieso sollte das ein Buspassagier nicht tun, es ist doch das Mindeste an Respekt!“ Der RGTR-Chauffeur dagegen erklärt, ein „Moien“ der Fahrgäste würde „immens geschätzt“. Denn „als Chauffeur kommt man sich mehr und mehr vor wie ein Teil des Busses“.
Fahrer, die sich vorkommen wie Maschinen und während stundenlangen Zwangspausen „rumhängen“, sind aber vielleicht genau wie Passagiere, die mit der Qualität unzufrieden sind, auch Ausdruck der besonderen Verkehrslage hierzulande, wo Stoßzeit vor allem im Berufsverkehr und noch nachmittags im Schülertransport herrscht. 92 Prozent der Verspätungen im RGTR, das ergab die letzte Erhebung, entstehen durch im Stau oder Stop and Go steckengebliebene Busse. Aber anscheinend hat das nicht nur mit der starken Zersiedelung des Landes zu tun und damit, dass das Gros der Arbeitsplätze in der Hauptstadt konzentriert ist. Sondern auch mit Koordina-tionsproblemen, die kurzfristiger lösbar sein könnten als mit einem IVL-Konzept eines Tages ein „Luxemburg der kurzen Wege“ anzustreben.
Beim Mouvement écologique zum Beispiel, der vor ein paar Jahren eine Facebook-Kampagne über die Kundenzufriedenheit im öffentlichen Transport angeschoben hatte, gehen über das soziale Netzwerk, obwohl die Kampagne längst beendet ist, noch immer Reklamationen ein. „Darunter sind solche, die eindeutig keine Egoismen sind“, unterstreicht Béa-trice Kieffer von der Umweltorganisation. So habe sich gezeigt, dass die Busse der RGTR-Linie 255 Septfontaines-Luxemburg neuerdings eine zusätzliche Haltestelle an der neuen Mamer Europaschule anfahren. „Um von dort wieder wegzukommen und in die reguläre Busspur zu gelangen, müssen die Busse sich aber in den Stau durch die Gemeinde einreihen. Das kostet unseren Informationen nach 20 Minuten und hat viele ehemalige Benutzer der Linie dazu gebracht, wieder aufs Auto umzusteigen. Weshalb lässt man die Europaschüler nicht an der nahegelegenen Haltestelle aussteigen, die es schon immer gab?“
Ein anderes Problem betreffe die Baustelle in Luxemburg-Pulvermühle, durch die es zu regelmäßigen Anschlussproblemen zwischen Bussen und Zügen in Dommeldingen komme. „Warum wurden die Fahrpläne nicht angepasst, wenn man weiß, dass es sich hier um eine längerfristige Baustelle handelt?“
Briefe des Mouvement écologique dieses Jahr an den damaligen Transportministrer Claude Wiseler (CSV) seien ohne Antwort geblieben. Aber offenbar blieb der Minister nicht nur eine Antwort an die Umweltorganisation schuldig, die ihn während seiner Amtszeit vielfach kritisiert hatte, sondern auch einer seiner Partei nahe stehenden christlichen Gewerkschaft wie dem Syprolux. Alex Alegria vom Syprolux berichtet, man habe das Ministerium auf Probleme mit der RGTR-Linie 500 Echternach-Ettelbrück aufmerksam gemacht. „Im Berufsverkehr bleiben die Busse im Stau stecken und die Leute riskieren, in Ettelbrück ihren Anschlusszug zu verpassen. Man müsste die Fahrpläne korrigieren, das ist Sache des Ministe-riums.“ Leider aber blieben die Hinweise des Syprolux „ohne Echo“. Wie auch die, dass auf verschiedenen Eurobuslinien ebenfalls Fahrplankorrekturen helfen könnten, Anschlüsse zu sichern und für zufriedenere Buskunden zu sorgen.
So dass Verbesserungen im Busdienst und im öffentlichen Personentransport generell wohl auch eine politische Herausforderung sind – und der neue Minister und frühere Stater Mobilitätsschöffe François Bausch von den Grünen Gelegenheit erhält, sich darin zu beweisen. An der Spitze des Hauptstadt-Busdiensts AVL ist man übrigens nicht unbedingt der Meinung, dass es am Passagier sei, den Busfahrer zu grüßen, sondern eher umgekehrt: „Der Fahrgast ist unser Kunde“, erklärt AVL-Direktor Hansen, „und die Fahrer müssen verstehen, dass vor allem die Passagiere den Busdienst bezahlen.“