655 Fahrer, teilten Justiz- und Polizeiminister vergangene Woche mit, hat die Polizei innerhalb des vergangenen Jahres ohne Führerschein hinter dem Steuer erwischt – erstaunlich viele! Im Jahr davor, 2016, waren es sogar 725 und 2015 immerhin 703. Da nicht alle Fahrer ständig kontrolliert werden, liegt die Dunkelziffer derer, die ohne Erlaubnis fahren, wahrscheinlich noch höher.
Angesichts dieser Zahlen muss man sich fragen, wo die Ursachen für dieses Massenphänomen der bewussten Gesetzesmissachtung liegen.
An erster Stelle eindeutig bei der Polizei. Immerhin ist sie es, die den betroffenen Fahrer ihren Führerschein abgenommen hat. Und bei der Politik, die mit immer strengeren Vorschriften, niedrigeren Alkoholtoleranzen und Geschwindigkeitsbegrenzungen der Polizei überhaupt erst die Instrumente an die Hand gibt, um die Führerscheine (ansonsten unbescholtener und respektierter Bürger) einzukassieren. So zumindest erklären dies Leute, die persönliche Erfahrung mit Fahrverboten haben.
Oft ist wohl auch eine ungünstige Anordnung der Himmelskörper Schuld, die dafür sorgt, dass immer die Gleichen das Pech haben, in Kontrollen zu tappen. Es ist durchaus möglich, dass dies keine bloße Ausrede notorischer Raser und Trunkenbolde ist, sondern, rein rechnerisch gesehen, die Wahrheit. Wie anders ist es zu erklären, dass manche Fahrer immer wieder an die Seite gewinkt werden, während andere Fahrer in 20, 30 oder mehr Jahren Führerscheinkarriere höchstens ein- bis zweimal durch eine Kontrolle fahren? Und ist etwa belegt, dass Letztere immer nüchtern und nie zu schnell unterwegs sind? Angesichts einer derartigen Ungleichbehandlung durch die Staatsgewalt muss man sich nicht wundern, wenn die Betroffenen anfangen, sich zu wehren.
In diesem Sinne lässt sich das Fahren ohne Führerschein als Protest verstehen, als eine Form zivilen Ungehorsams gegen die zunehmende Bevormundung durch den Staat. Man soll nicht mehr rauchen, man soll weniger trinken, Fett und Kohlenhydrate soll man auch keine essen und dann soll man noch nicht einmal mehr fahren dürfen? „Nicht mit uns!“, mögen sich da wohl die Luxemburger sagen, die sich gerne als Bonvivants französischer Art verstehen, auch wenn sie beim Auto meist deutsche Wertarbeit bevorzugen.
Obwohl französischer Wein und deutsche PS eine Mischung sind, die notwendigerweise Richtung Führerscheinentzug führt, bleibt das Autofahren für diejenigen, die sich noch an die letzte Tramfahrt in den Sechzigern erinnern können, Ausdruck ihrer individuellen Freiheit, die sie sich auch angesichts der ersten Fahrt der neuen Trambahn nicht nehmen lassen wollen. So betrachtet, hat das Phänomen möglicherweise eine gewisse demografische Komponente, die mit der Vergreisung der Gesellschaft Hand in Hand geht. Denn während Soziologen feststellen, dass jungen Leuten ihr Smartphone wichtiger ist als ein Auto, können sich die anderen noch an die guten alten Tage erinnern, als der Dorfpolizist an der Kneipe mit am Tresen stand und deshalb bei der Kontrolle danach auch mal ein Auge zudrückte.
Das waren andere Zeiten. Heute hat der Polizeiminister Etienne Schneider (LSAP) nicht nur die Kommissariate umstrukturiert, so dass man die Polizisten nicht mehr kennt, die die Fahrzeugpapiere verlangen. Weil Schneider in Personalunion Polizei- und Wirtschaftsminister ist, haben ihn manche im Verdacht, die Bekämpfung von Verkehrsdelikten zu einem gesonderten Wirtschaftszweig erklärt zu haben, dessen Wachstum er nicht nur durch die Einführung schriller Logos vorantreibt.
In Wirtschaftskreisen würde man vom gelungenen Aufbau eines „Ökosystems“ reden. Denn um die 655 führerscheinlosen Fahrer zu entlarven, führte die Polizei vergangenes Jahr 39 081 Kontrollen durch. Dabei fallen auch andere Verstöße auf, und berücksichtigt man zusätzlich die Unfallstatistiken, erklärt sich, wieso im Sitzungskalender der Bezirksgerichte dermaßen viele Verkehrsdelikte auftauchen, dass man sich fragt, woher die Richter die Zeit nehmen, noch andere Kriminelle zu verurteilen. Es ist ein geschlossener Kreislauf, in dem vorwiegend junge Menschen Arbeit als Polizisten finden, die Gerichte beschäftigt sind, was Anwälten Honorare verschafft und Taxifahrern Fahrtgelder. Doch bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, wie abhängig das „Cluster“ Verkehrsjustiz davon ist, dass jemand die Verkehrsordnung missachtet. So gesehen, hängen hunderte, wenn nicht tausende Jobs von diesen unerschütterlichen und unverbesserlichen Wiederholungstätern ab, die ihren Führerschein und die Sicherheit ihrer Mitbürger riskieren.
Mag sein, dass mancher von ihnen einen Groll gegen Uniformierte entwickelt, die sein Fahrzeug beschlagnahmen. Vielleicht gibt ihnen der Gedanke daran, dass die Polizisten gerade zu den ersten Opfern der dritten industriellen Revolution werden, ein wenig Genugtuung. Gemäß der Rifkin-Prinzipien zur Digitalisierung und Robotisierung von Ökonomie und Gesellschaft hat die Regierung in die Prozessautomatisierung investiert und die Polizisten am Straßenrand durch Radarfallen ersetzt. Die messen auch spät abends die Geschwindigkeit, ohne Nachtschichtaufschlag.